Belonging: Melinda&Jurczok
"Bünzlihöck Kern27, 2002"

300 Mäuse
Vom persönlichen Umgang mit dem Phänomen Geld


Ian Anüll, David Chieppo, Laurent Goei, San Keller, Jason Klimatsas, Serguei Nikokochev, Marion von Osten, Niklaus Rüegg, Lisa Schiess, lego starferry, Susann Walder

Praktisch alles auf der Welt findet in den klingenden Münzen seine wertemässige Äquivalenz. Als universelles Tauschmittel reduziert Geld also Gegenstände, wie auch allerlei menschliche Handlungen, auf eine allgemein verständliche Formel. So wird theoretisch alles mit allem vergleichbar, obwohl wir im Alltag nicht eine Hotelübernachtung in Kilo Brote umrechnen oder das Bruttosozialprodukt in Kilo Trockenmilch. Dementsprechend zeigt lego starferry die verwirrende Vernetzung des Marktes und wie beispielsweise die Barbie in direkter Verbindung mit der durch Klimaveränderungen existenzgefährdeten Insel Tuvalu steht.

Geld ist nicht nur ein praktisches Tausch- und Verrechnungsmittel, sondern wirft auch Fragen kultureller, sozialer und psychologischer Art auf. Genau solche Fragen werden in 300 Mäuse aufgegriffen und in spielerischer, kritischer Distanz auf den Punkt gebracht. So thematisiert Susann Walder mit viel Ironie das Geldmittel, sei es der neue Euro oder das sogenannt primitive Muschelgeld, als kulturellen Wert.

Man sagt, dass Geld Bedürfnis mit Verlangen ersetzt. David Chieppo zeigt, wie Verlangen zu Hoffnung und Hoffnung zur Erwartung wird – und wie Erwartung zur Absurditäten führen kann. Dies verdeutlicht auf amüsante Weise die 20 Meter lange Karawane aus Sparschweinen von Lisa Schiess. Auch San Keller spielt gerne mit unseren Erwartungen in seinen Aktionen. Er lässt einen Zehntel seines eigenen Januar-Lohnes, wie auch denjenigen des mitmachenden Publikums, in 5 Rappen Münzen auf der Strasse liegen. In einem Umkreis von einem Kilometer rund um das Bankzentrum Paradeplatz macht er so einen perfekten goldenen Kreis.

Geld scheint der einzige Allgemeinbegriff zu sein, der die Vielfalt und Gegensätze der modernen Welt in eine abstrakte Einheit zu bringen vermag. Wir glaubten bis vor kurzem, dass die Noten, Münzen, Wertepapiere und das elektronische Geld ihre gesellschaftlichen Versprechen halten und sich unmittelbar umsetzten lassen. Im Moment des Zweifels beziehungsweise Unglaubens bricht das System bekanntlich zusammen, wie etwa jetzt in Argentinien. Ein installatorisches Wandbild von Ian Anüll zeigt genau diesen Moment des Umkippens, wo das Wertesystem versagt und alles verworfen wird. Er zeigt zugleich den Neuanfang in einer Weiterverabeitung seiner Aktion "Give me a chance. Give me five cents". Serguei Nikokochev dagegen, erzeugt mit Videoloops die absurde Ökonomie einer Wunschvorstellung: Ein 5 Franken Stück dreht sich im Unendlichen und kann somit nie fallen, nie versagen. Als Gegensatz zum Schweizer Geldmittel steht eine russische Puppe. In ihrem Bauch befindet sich ein winziger Monitor mit Aufnahmen von ihr selbst, unaufhörlich schwankend.

Die allmähliche Virtualisierung des Geldes scheint unseren Glauben nicht zu erschüttern. Doch dem haptischen Geld wird immer noch magische Kraft zugeschrieben. So heisst es jetzt im populär-politischen Diskurs, dass mit der Einführung des Euros alle Bürger und Bürgerinnen ein Stück Europa in ihren Taschen tragen und so den europäischen Gedanken verinnerlichen.

Die Kraft des haptischen Geldes kommt in den Wogen aus Dagobert'schen Talern von Niklaus Rüegg zum ästhetischen Ausdruck. Wie nach der Devise "Disney meets Hokusai" hat der Künstler das Motiv des Ausstellungsplakates entworfen und auf die Wände der Bibliothek als schwarze Schatten wiederholt. Das Studium wird zur Schattenökomomie der Ausstellungspraxis.

Die Tatsache, dass Geld in abstrakter Weise vereint, bedeutet aber nicht, dass es nicht auch eine reale Teilung bewirkt. Die ökonomischen Ungleichheiten der Welt werden immer ausgeprägter und ihre Auswirkungen krasser. So kann man auch den gegenwärtigen Terror unter dem Aspekt der globalen, ungerechten ökonomischen Verteilung sehen. Die mentalen Folgen des sogenannten Krieges gegen Terror sind unter anderem in der Ausstellung ein spürbares Thema, das poetisch wie provokant verhandelt wird. Solche Empfindungen verdichten sich, wenn Jason Klimatsas zwei junge Bäume in Ölfäsern einbetoniert und ein starkes Licht darauf werfen lässt, wodurch eine doppelte Zwillingsgestalt entsteht, ebenso wie in Laurent Goei's rauchendem, rotleuchtendem Tipi aus beinahe respektlos schnell gemalten amerikanischen Flaggen.

Im persönlichen Umgang mit Geld erscheint der Einkauf von Lebensmitteln als einer der profansten. Kaum jemand macht diese Arbeit gerne. Der öde Vorgang scheint uns allen bekannt. Dennoch versteckt sich hinter dieser immer gleichen Alltagshandlung eine unsichtbare Ökonomie des vorhandenen oder nicht vorhandenen Geldbesitzes und des subjektiven Begehrens (Personen und Waren).

Im Video von Marion von Osten bleiben die Fragen, wessen Geld ausgegeben wird, wie es verdient wird und von wem, also welche Beziehungen sich hinter dem Geldausgeben verbergen, nur durch eine Hand angedeutet, die nach und nach den Wagen mit Waren füllt. Der Konsumakt selbst bestimmt mit der Suche nach spezifischen Waren die Kamerafahrt und wird zum eigentlichen Bildproduzent. Konsumarbeit wird somit nicht allein traditionell mit Weiblichkeit assoziiert, sondern das scheinbar subjektive Begehren der Einkaufenden wird in einen grösseren ökonomischen Zusammenhang eingebettet dargestellt. Zwischenmenschliche Beziehungen ebenso wie gesellschaftlicher Status,- und auf den Film bezogen die Bildproduktion - können in einer von vorallem ökonomischen Parametern beherrschten Gesellschaft von ihrer Warenförmigkeit nicht losgelöst betrachtet werden.

Ausstellungsdauer: 15.2. - 7.4.2002
Oeffnungszeiten: Mi/Fr 14 - 17 Uhr, Do 14 - 19 Uhr
Sa/So 12 - 18 Uhr

Shedhalle
Seestrasse 395
8038 Zürich
Telefon: 01-481 59 50
Fax: 01-481 59 51
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