© 2004 Haus der Kunst, München

Dispersion Room, 2004
Video still 3
© 2004 Haus der Kunst, München


Aernout Mik
Dispersionen


Videoinstallationen - Passage 2


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Das Haus der Kunst in München zeigt als erste deutsche Institution eine umfangreiche monografische Ausstellung des niederländischen Künstlers Aernout Mik. Ausgangspunkt der Ausstellung ist seine neueste, eigens für das Haus der Kunst konzipierte Videoinstallation "Dispersion Room" (2004). In ihr verdichtet sich ein Thema, das Verhältnis von Individuum und Masse, das Mik in Arbeiten der letzten acht Jahre (1996 - 2004) auf unterschiedliche Weise untersucht hat.


Ort des Geschehens in "Dispersion Room" ist ein Grossraumbüro. Personen laufen hin und her, sitzen an ihrem Schreibtisch vor dem Computer, telefonieren oder sortieren Akten. Auf den ersten Blick eine ganz alltägliche Bürosituation. Aber die Handlungen der Protagonisten sind scheinbar nicht vernetzt, nehmen nicht aufeinander Bezug. Sie bekommen wegen ihrer offenkundlichen Ziellosigkeit einen absurden Charakter. Die Logik verflüchtigt sich mehr und mehr. Das Verhalten der Figuren erinnert an Momente der Krise oder Katastrophe; an die magische Ruhe und Stille, die sich nach der ersten Panik ausbreitet. Sie wirken, als stünden sie unter Schock, als wären sie nur imstande, sich auf das Notwendigste zu konzentrieren, auf den nächsten Schritt. Sie wirken ferngesteuert.


Schon lange beobachtet Mik interessiert die Kräfte, die im sozialen Feld auf das Individuum einwirken. In all seinen Videoinstallationen erforscht Aernout Mik das menschliche Verhalten in krisenähnlichen Situationen.


Früher standen (wie bei "Lick", 1997 oder "Fluff", 1996) überwiegend einzelne Personen oder kleinere Gruppen im Zentrum; später dann wandte sich Mik grösseren Menschenmengen ohne benennbares Zentrum zu (wie bei "Pulverous", 2003 oder "Zone", 2002). Seine Arbeiten beziehen sich auf gesellschaftliche Prozesse: Sie zeigen instabile Systeme. Dabei weisen sie nicht auf ein bestimmtes Ereignis, sondern auf politische Ereignisse im Allgemeinen hin. Gerade wegen ihrer Unbestimmtheit wirken die Bilder von Aernout Mik fast archetypisch.


"Dispersion Room" ist im künstlerischen Schaffen Aernout Miks tief verwurzelt. Tonlosigkeit und Projektion in Endlosschleife sind ebenso feste Bestandteile seines Vokabulars, wie die Art der Präsentation: Er umgibt den Betrachter mit niedrigen, raumschaffenden Wänden; die Projektionsfläche reicht bis zum Boden und ist so breit, dass sie das Blickfeld des Betrachters sprengt - er verliert im wahrsten Sinne des Wortes den Überblick. Mit "Dispersion Room" überschreitet Aernout Mik sogar die gegebenen Grenzen des Ausstellungsraumes, der ehemaligen Ehrenhalle. Er öffnet einen weiteren Durchgang in den Kassenraum und schärft den Blick für die ursprünglichen Proportionen der Halle. Seine künstlerische Aussage und seine Binnengliederung der Halle bilden zur NS-Architektur jedoch den grösstmöglichen Kontrast.


Im Video tauchen Büromöbel auf, und die gleichen Möbel - allerdings mit gekürzten Beinen - finden sich im Ausstellungsraum wieder. Der Bildraum verschmilzt mit dem Realraum. Darin offenbart sich eine herausragende Stärke seiner Arbeit: Mik zieht den Betrachter in das Geschehen hinein. Lässt man dies zu, kann man sich diesem Sog und der im Video dargestellten Gruppendynamik nicht mehr entziehen. Man wird Teil des Geschehens, man hört auf, anonymer Bestandteil einer Menge zu sein, sondern fühlt sich dazu aufgefordert, die eigene Individualität als Teil der gemeinsamen sozialen Existenz zu gestalten.


In "Dispersion Room" zeigt Mik, wie das Individuum mit seinen Mitmenschen zusammenwächst und einen Organismus bildet. Aber nicht nur die Figuren in "Dispersion Room" bilden einen Organismus, sondern auch die verschiedenen Videoinstallationen der Ausstellung. Der Besucher schreitet durch die einzelnen Teile dieses Organismus und sieht sich jedesmal mit einer anderen Dynamik konfrontiert. Dabei drängen sich Fragen auf, die auf das Wesen der mitmenschlichen Verständigung zielen: Was zeichnet die menschliche Interaktion aus? Wodurch ist das soziale Feld gekennzeichnet, in dem die Menschen sich aufhalten? Welche Bedeutung kommt der Tatsache zu, dass Individuen vorübergehend einen Organismus bilden, der mit einer tonlosen Stimme zu uns zu sprechen scheint?


Miks Werke entführen auf eine Reise durch die verwirrende Geschichte der Wechselwirkung von Identität und Nachahmung, von Wirklichkeit und Kopie, von Fremd-wahrnehmung und Selbstinszenierung.


Mit der Ausstellung Aernout Miks setzen wir nach Droog Design unsere Präsentation holländischer Protagonisten fort, die mit der Ausstellung Rem Koolhaas im Herbst 2004 ihren Abschluss finden wird. Nicht die Nationalität ist es, die uns dazu motiviert, sondern die Tatsache, dass allen drei Ausstellungen die Auseinandersetzung mit der Realität bzw. deren Gestaltung gemein ist. Sie haben den Menschen und sein räumliches und dingliches Umfeld im Fokus.


Aernout Mik (*1962 in Groningen) lebt und arbeitet in Amsterdam. Seine Videoarbeiten sind seit 1987 in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen gewesen, zunächst in den Niederlanden, später auch international: u.a. auf den Biennalen von São Paulo (1991), Venedig (1997 und 2001), Melbourne (1999), Berlin (2001), Istanbul (2003). Im Sommer 2003 zeigte die Fundació la Caixa in Barcelona eine Einzelausstellung des Künstlers.


In Zusammenarbeit mit dem Museum Ludwig, Köln, kuratiert von Stephanie Rosenthal für das Haus der Kunst, München.


Mit freundlicher Unterstützung der Mondriaan Stichting.


Ausstellungsdauer: 2.7. - 12.9.2004
Öfffnungszeiten: täglich 10 - 20 Uhr


Haus der Kunst
Prinzregentenstrasse 1
D-80538 München
Telefon +49 (0)89 21127-113
Fax +49 (0)89 21127-157
Email mail@hausderkunst.de

www.hausderkunst.de





Aernout Mik
Dispersions


Passage II - Video Installations


Aernout Mik was born in Groningen in 1962 and lives and works in Amsterdam. Since 1987 his video works have been seen in numerous solo and group exhibitions, initially in the Netherlands, later also internationally, for example at the Biennales of Sao Paulo (1991), Venice (1997 and 2001), Melbourne (1999), and Berlin (2001). In spring 2002 the Fundació Miró in Barcelona presented a major solo exhibition by the artist.


In summer 2004 the Haus der Kunst will mount the first comprehensive solo exhibition in Germany of the highly regarded Dutch artist. He has been invited to present both old and more recent video installations over an area of 900 square metres. The centrepiece will be a video work conceived especially for the Haus der Kunst and produced in co-operation with the Museum Ludwig.


Aernout Mik's grotesque, amusing, and at the same time serious films deal with the behaviour of people in a group, with their actions and reactions, although the reasons for their behaviour usually remain unclear. His figures move, apparently aimlessly, through the specially constructed rooms, perform certain actions with total concentration or interact with other people. While at first the actions appear logical and comprehensible, their meaninglessness quickly becomes apparent. This impression is reinforced by various tics on the part of the protagonists. The silence of Mik's work emphasises their strange, unknown character, but at the same time allows them to integrate better into the space provided.


Of central importance for the artist are the architectural surroundings, which his works react to, or which he interferes with by adding extra architectural elements. The production of his works transforms the exhibition rooms into experience rooms; the visitors become part of his study, the exhibition area becomes a laboratory.


The point of departure for his new installation is the former "Hall of Honour" (Ehrenhalle) in the Haus der Kunst. Against the background of a critical restoration Mik comes to terms with this place, spatially as well. He will transcend the existing limits, and his installation will encroach on the foyer, integrating it and making visible the original proportions of the hall, which have been altered by various phases of reconstruction since 1952.


In collaboration with the Museum Ludwig, Cologne, curated by Stephanie Rosenthal.


July 2 - September 12, 2004


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