© Andrea Zittel

A-Z Cellular Compartment Units Customized By Sammlung Goetz, 2002;
A-Z Cellular Compartment Communities, 2002
Photo: Wilfried Petzi


Andrea Zittel


"Ich glaube, dass die "einsame Insel" unsere grösste Angst und unsere grösste Phantasie repräsentiert und wegen der Komplexität und den Widersprüchen unserer Bedürfnisse fühle ich mich gezwungen, einen Werkkomplex zu schaffen, der diese Bedürfnisse erforscht und anspricht". (Andrea Zittel)


Das Bild der einsamen Insel als Sehnsuchtsprojektion, die auf die in der jeweiligen Gesellschaft ausgeklammerten Bedürfnisse verweist, ist alt. Mehr denn je aber scheint in der durch neue Kommunikationsmittel, Massenmedien und uneingeschränktere Mobilität geöffneten Welt diese Symbolik gebraucht zu werden: Persönliche Freiheit und Autonomie, Flucht in ein handhabbares, überschaubares Universum, ein klarer Rahmen, in dem man seine persönlichen Möglichkeiten, seine Persönlichkeit, erforschen kann.


Die künstlerische Laufbahn Andrea Zittels begann, als sie als junge Künstlerin anfing, aufgrund beengter Wohnverhältnisse in New York Möbel zu entwerfen, die ihren Bedürfnissen entsprachen und Platz sparten. Bei der Suche nach Organisationssystemen für alle Bereiche des Lebens sieht sie sich gleichzeitig als Forscherin und Testperson, beobachtet sich in ihrer täglichen Routine und setzt sich Versuchanordnungen aus, um herauszufinden, wie Lebensumfeld und Besitz Ansichten und Verhalten einer Person ändern.


Mit den "Living Units" entstehen zunächst kleine kompakte Einheiten zur Rationalisierung und Strukturierung alltäglicher Tätigkeiten mit Bereichen für Essen, Schlafen, Waschen, Aufbewahrung, soziale Aktivitäten. Als sich eine Nachfrage für ihre "Life Management" Modelle ergibt, gründet Andrea Zittel "die A-Z Administrative Services", zugleich konzeptuelle Organisation, Büro, Laden, Labor, Wohnung (Mittlerweile gibt es neben der Niederlassung in New York auch eine Zweigstelle in Los Angeles).


Neben den stationären "living structures", zu denen beispielsweise auch Kleidungsstücke und Teppiche gehören, entstehen mobile "living arrangements", die den Traum von Freiheit, ohne je das zuhause verlassen zu müssen, aber auch die Wahrnehmung des privaten Innenraums in Abhängigkeit des sich ändernden öffentlichen Raums thematisieren.


Werke von Andrea Zittel befinden sich seit 1994 in der Sammlung Goetz. Die Einzelausstellung, die ihr nun gewidmet wird, gibt anhand der gezeigten Objekte, der Studien auf Papier und der Arbeiten auf Sperrholz einen ausführlichen Einblick in die Produktion der "A-Z Administrative Services" von 1992-2003.


Einen wichtigen Komplex in der Sammlung nehmen die "Personal Panels" ein: Kleidungsstücke, die sich, unter Beibehaltung des dem Stoffballen zugrundeliegenden rechteckigen Formates, der Abhängigkeit von Modediktaten entziehen und dabei variantenreiche Verwendungsmöglichkeiten entwickeln. Fündig geworden auf der Suche nach Regeln, die den Entwurf von Kleidungsstücken vereinfachten, war die Künstlerin bei den russischen Konstruktivisten und ihrer Auffassung, die Webform des Stoffes nicht abzuändern.


Wie fast alle Arbeiten Andrea Zittels können die "Personal Panels", abhängig vom Kontext, als Gebrauchsgegenstand oder als Kunstwerk behandelt werden, als Kleidung getragen oder als geometrisch-abstrakte "Bilder" an die Wand gehängt werden.


So wie diese Werkserie gehen auch die meisten anderen gezeigten Arbeiten, (u. a. Cover, Dining Room Carpet, Perfected Pillow, Carpet Bed, Chamber Pot, Dishless Dining Table) von der Annahme aus, dass Architektur, Design, Mode unsere Wahrnehmung und unser Verhalten grundlegend beeinflussen.


Die Arbeit "Free Running Rythms and Patterns" entstand jedoch aus einer Aktion, die Andrea Zittel 1999 in Berlin unter der Fragestellung durchführte, inwieweit sich einengende Zeitstrukturen umgehen lassen. Die "Free Running Rythms and Patterns" sind das Protokoll einer Woche, in der die Künstlerin, abgeschottet von äusseren Licht- und Geräuschquellen, ohne Hinweise auf Zeitabläufe, in ihrer eigenen Zeit lebte.


Neu in der Sammlung und anlässlich der Ausstellung fertig gestellt, ist "A-Z Cellular Compartment Units Customized By Sammlung Goetz", eine Wohneinheit mit 6 Abteilen. Beeinflusst bei der Konzeption dieser Serie wurde Andrea Zittel durch die Architektur des Sammlungsgebäudes von Herzog und De Meuron. Die Inneneinrichtung und damit die Funktion der Einheit entsteht in enger Zusammenarbeit zwischen Künstlerin und Sammlerin. Nach deren Wünschen, auch unter Beisteuerung bestimmter Einrichtungsgegenstände, werden diese "Cellular Compartment Units" nach einer vom Zen-Buddhismus inspirierten Vorstellung gestaltet.


Die "einsame Insel", auf die Andrea Zittel in ihren Arbeiten auf vielen Ebenen Bezug nimmt, ist für sie auch Bild für ein Gebiet, ein Territorium, das nicht durch Design oder Architektur bestimmt, aber auch kein offen unbestimmtes Umfeld ist, sondern ein durch den Körper besetzter Ort mit Bezug zu psychologischen und sozialen Bedürfnissen.


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Abbildungen aller gezeigten Arbeiten. Ein Text von Rainald Schumacher bespricht die einzelnen Arbeiten und Andrea Zittels Verfahren der Grenzüberschreitung zwischen Kunstobjekt und Gebrauchsgegenstand und die Auswirkungen auf Kunstbegriff und Ausstellungsraum. Mimi Zeiger (Kunst- und Architekturkritikerin, Herausgeberin von Loud Paper, Magazin für Architektur, Design, Kunst und Musik) setzt in ihrem Essay kunsthistorische Bezüge zu Tendenzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zum Begriff des Gesamtkunstwerks, zu Jugendstil und Art Nouveau und erläutert die Unterschiede. Abschliessend geben Auszüge aus der E-Mail Korrespondenz zwischen Andrea Zittel und Rainald Schumacher Einblick in den Entstehungsprozess der "A–Z Cellular Compartment Units Customized By Sammlung Goetz".


Ausstellungsdauer: 18.5. - 13.12.2003
Besuch innerhalb der Öffnungszeiten nach telefonischer Anmeldung:
Mo-Fr 14 - 18 Uhr, Mi 14 - 20 Uhr, Sa 11 - 14 Uhr


Sammlung Goetz
Oberföhringerstrasse 103
D-81925 München
Telefon +49 (0)89 95 93 96 90
Fax +49 (0)89 95 93 96 969
E-Mail info@sammlung-goetz.de

www.sammlung-goetz.de


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