© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2006

Ausstellungsansicht in der Schirn Kunsthalle, 2006
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2006
Foto: Norbert Miguletz


Anonym
In the Future No One Will Be Famous



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Mit "Anonym" zeigt die Schirn Kunsthalle ein Projekt, das auf die Ausstellungspraxis und deren Ökonomie von Daten und Namen reagiert.


Mit dem programmatischen Titel "Anonym - In the Future No One Will Be Famous" zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt eine Ausstellung mit Werken von 11 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die wie die zuständige Kuratorin oder der zuständige Kurator ungenannt bleiben werden. Die Anonymität der Künstler setzt sich in unterschiedlichen Aspekten innerhalb der gezeigten Werke fort. Die Ausstellung wirft die Frage auf, was geschieht, wenn Kunstwerke die Autorschaft verweigern oder sich davon befreien. Die Urheber der Ausstellung behaupten: "Anonyme Künstler wollen den Status quo in einen Status incognitus umbiegen. Ihr Ziel ist es, mit der zunehmenden Barbarisierung des Denkens durch Kurzschlüsse und Schnellschüsse aufzuräumen, die im Zuge der Verwertung von Künstlern als Markenzeichen geschaffen werden beziehungsweise auf Künstlern fussen, deren Werke Meisterstücke in philosophischer Unkenntnis bilden."


In letzter Zeit nehmen die kritischen Beobachtungen des Kunstmarkts wie sein Einfluss auf den Diskurs der zeitgenössischen Kunst merklich zu. Das künstlerische Werk werde zur Marke, wobei der Name der Künstlerin oder des Künstlers als primäres Unterscheidungsmerkmal hervortrete. Ausstellungskuratoren würden zu Impresarios, die mit ihrem Namen und den damit verbundenen Themen bereits die Rezeptionsrichtung vorgeben. Das Kunstwerk trete dabei zwangsläufig in den Hintergrund und müsse sein verstörendes und subversives Potenzial verlieren. Eine Ausstellung, bei der keine Autoren genannt werden, stellt sich der gesellschaftlichen wie der ästhetischen Aufgabe, den Zugang zur Kunst und die individuelle Erfahrung durch Weglassen der quasi primären Kunstorgane neu zu beleben und das Werk in erster Linie nach werkimmanenten Kriterien zu beurteilen, statt es innerhalb eines bekannten künstlerischen Œuvres oder mit der Information von Künstlernamen und -vita einzuordnen.


Die riesige Datenmenge, mit der das zeitgenössische Kunstsystem operiert, kann weder ausser Acht gelassen noch einer wie auch immer zeitgemässen Umwandlung in Markennamen, Tendenzen oder Trends überlassen werden. Was heute Kunst ist und wie darüber gedacht und gesprochen wird, hängt nicht zuletzt vom Umgang mit diesen Daten und davon ab, welche Gewichtung den unterschiedlichen Daten beigemessen wird. Ob eine bestimmte Kunstrichtung, ein bestimmter Künstler oder eine bestimmte Künstlerin, die Darstellung eines bestimmten Themas - immer hat es die Kunst mit einer bereits gemachten Erfahrung zu tun, die als eine bestimmte Sicht auf die Daten im Kunstwerk oder in der Ausstellung vorliegt. Dass das Kunstsystem darauf rekurriert und Namen bereithält, welche die subjektive Erfahrung strukturieren, verdeckt bisweilen die spontane Reaktion und ästhetische Erfahrung bei der Betrachtung von Kunst.


Die Anonymität der Künstler wird in den gezeigten Werken in unterschiedlicher Weise aufgegriffen. Wer ist der Urheber eines Brunnens in der Stadt? Oder warum sind fünf gleichfarbige Autos hintereinander geparkt? Worin liegen die konspirativen Gemeinsamkeiten von Reisenden, die für kurze Zeit in ähnlich eingerichteten Hotels in ähnlich leuchtenden Städten dieser Welt übernachten? Welche unterschiedlichen Erinnerungen werden durch eine Seifenblase ausgelöst, die wie ein seltener Vogel langsam durch den Raum fliegt und schliesslich spurlos verschwindet? Die Anonymität ist in der Normalität, die keiner expliziten Erwähnung bedarf, weil sie der allgemeinen Erfahrung angehört und jeder ihre Symbolträchtigkeit versteht. Die Fragen, die in den Arbeiten aufgeworfen werden, sind gleichermassen Produkte eines Zufalls, sind ziellos und verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Hierdurch wird die Thematik der Anonymität innerhalb der Ausstellung auf eine weitere Ebene transponiert, die wiederum mit den Erfahrungen des Betrachters spielt.


Im Fall von "Anonym" verlagert sich die Fähigkeit, Kunst anhand ihrer Metadaten zu lesen, auf eine darunter liegende Ebene. Der Betrachter wird zunehmend auf sich selber, auf die eigenen Beobachtungen zurückgeworfen und mit den Werken verbunden, an deren Realität ihre Wahrnehmung und eine sie erklärende Sprache massgeblich mitarbeiten. Bekannte künstlerische Strategien wie Appropriation oder Concept Art rücken an den Rand der Wahrnehmung, sie gehören nur mehr in das Vokabular der Metasprache und durchdringen und verwalten längst seine künstlerischen Werke. Sämtliche Begriffe, so sehr sie unabwendbar sind, erscheinen im hellen Licht der ästhetischen Wahrnehmung als störende Prothesen, eine Art zusätzlicher Glieder, die vor dem Fall in die Begriffslosigkeit schützen. In diese Lücke stellen sich die anonymen Werke.


Das Bekannte und das Unbekannte ist für die Kunst kein Paar einander ausschliessender Gegensätze. Es gilt nicht selten, das Unbekannte einer bekannten Künstlerin oder eines bekannten Künstlers in den Vordergrund zu stellen, eine unbekannte Seite dieser Künstlerin oder dieses Künstlers mit der bekannten zu konfrontieren und damit die Bedeutung ihres oder seines Werks zu vergrössern. Das legitimiert nicht nur die immer wiederkehrenden Ausstellungen so genannter "Klassiker", sondern resultiert gleichzeitig aus der Vielfalt der Perspektiven und Interpretationen eines Kunstwerks, wodurch seine Bedeutung nicht ein-, sondern ausgegrenzt (entgrenzt) wird. Schwieriger, wenngleich im Wettkampf der zeitgenössischen Galerien und Ausstellungsräume mit grossem Ehrgeiz betrieben, gestaltet sich das Bekanntmachen von bislang unbekannten Künstlerinnen und Künstlern, deren Erfolgschancen nicht zuletzt von der Bekanntheit der Institution abhängen, in der das unbekannte Werk, der unbekannten Künstlerin oder des unbekannten Künstlers gezeigt wird. Das Unbekannte ist in beiden Fällen weniger ein Mangel der Kunst als geradezu die Garantie ihrer Fortsetzung.


Für die Kunst selbst, für ihre ästhetischen Kriterien, galt das Bekannte lange dem Ausserkünstlerischen zugewandt und markierte den Bereich des Trivialen. Mit der Pop-Art der 50er und 60er Jahre steht diese Wertung, die zwischen hoher und niederer Kunst unterscheidet, vor ihrer Auflösung. Das Alltägliche - und damit auch die populäre Kultur insgesamt - wird zum Gegenstand der Kunst, die damit zunehmend auch die gleichen Produktionsprozesse aufweist wie die industrielle Herstellung von Waren. Kaum jemand hat diese Maxime konsequenter und erfolgreicher beherzigt als Andy Warhol, dessen künstlerische Reproduktionen alltäglicher Bilder und bekannter Gesichter über die Kunstkennerschaft hinaus weltbekannt wurden. Sein Slogan von 1968 lautete prophetisch: "In the future every-one will be world-famous for 15 minutes", was heute der Entwertung des Status des Bekannten und der Fliessbandproduktion so genannter Stars überaus nahe kommt. Mit der Popularisierung von Bekanntheit steigt allerdings gleichzeitig der Druck nach immer neuen Bekanntheiten, die dadurch immer weniger der Aura des Bekannten bedürfen und schnell und einfach ersetzbar sind. Wer heute weltbekannt ist, so die tautologische Formel, wird morgen bereits vergessen sein.


Katalog: "Anonym - In the Future No One Will Be Famous", anonym und Max Hollein (Hg.), mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Dominic Eichler, Stephan Heidenreich, April Elizabeth Lamm, Eckhart Nickel und Hans Ulrich Obrist. Deutsch-englische Ausgabe, 160 Seiten, 32 Schwarzweissabbildungen, Snoeck Verlagsgesellschaft mbH, Köln, ISBN 3-936859-51-5, Hardcover, leinengebunden. Zusätzlich erscheinen 500 Blankokataloge mit 160 Leerseiten.



Ausstellungsdauer: 31.10.2006 - 14.1.2007
Öffnungszeiten: Di, Fr-So 10 - 19 Uhr, Mi/Do 10 - 22 Uhr


Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römberberg
D-60311 Frankfurt am Main
Telefon +49 69 29 98 82-0
Fax +49 69 29 98 82-240
Email welcome@schirn.de

www.schirn-kunsthalle.de





Anonym
In the Future No One Will Be Famous



With its presentation of the project "Anonymous", the Schirn investigates current exhibition practices and their economy of data and names.


Under the programmatic title "Anonymous: In the Future No One Will Be Famous", the Schirn Kunsthalle Frankfurt presents an exhibition with works by 11 international artists who - like the curator - will remain unnamed. In their Notes toward a Manifesto, the initiators of the exhibition proclaim: "Anonymous artists wish to wriggle the status quo into a status incognitus. Their aim is to remove the increasing barbarization of thought via short circuits and fast lanes created by the marketing of artists as brands whose works have become masterpieces in ignorance of philosophy."


Unlike other manifestations of anonymity in the current contemporary art scene - where artists take on pseudonyms - this exhibition is unique in gathering a group of artists who have put themselves undercover for a certain period of time (vaguely stated as "until the expiration date has been reached").


In recent years, critical observations of the art market and its influence on the discourse of contemporary art have increased noticeably. Artworks have turned into branded commodities and the artist's name has become the primary means of distinction. Content fades into the fog, magazines feature artists who have not even graduated from art school, and dealers purchase works en masse in advance. Exhibition curators have changed into impresarios setting the tenor for the reception of the work with their names and the themes associated with them. Under such circumstances, the work of art is forced into the background and loses its disturbing and subversive potential. An exhibition in which the artists remain unnamed, however, takes on the social and aesthetic task of revitalizing access to art and individual experience by leaving out certain codes that have become primary, as it were. A playful situation is created where the work can be critiqued ad hoc without having to read the label.


The enormous quantities of data with which the contemporary art system operates today is difficult to ignore. What art is today and how we think and talk about it is dependent not least on how we deal with this data and what weight is given to various bits of information.


Whether it is a specific artist or the depiction of a certain theme, the perception of an artwork is immanently informed by the prior experience one brings to the exhibition. Artist names inevitably structure subjective experience and, at times, even hinder spontaneous reactions and aesthetic encounters.


In addition to keeping the artists' names undercover, the exhibited works have been placed within an architectural puzzle piece, a labyrinth of deferred meaning. By taking up the theme of anonymity as well, the exhibition transposes the subject of hidden authorship onto another level. Is there an author of the five white cars mysteriously parked one after the other? Has the hand of the artist intervened within recognized "acts of nature" - is the bird's song making that branch move? Did the dog's bark spark a fire? Why are the authors of city fountains most always anonymous, and was Duchamp cognizant of this fact when he titled his famous pissoir "Fountain"? And what happens to the notion of sculpture when the sculpture begins to drip? The phenomenal questions raised by these works yield to an unparalleled autonomy of the spectator.


In the case of an exhibition that casts an opaque veil over names and whose works not only communicate this enigma but themselves contain traces of anonymity - laying a trail replete with mysteries and myths - the ability to read art by means of its metadata shifts to a lower-lying level. As if a space has been folded into multiple strata, in which the ceiling becomes the floor and the window only lets in that which already exists inside, viewers are continually cast back on themselves, on their own observations, and they are, thus, connected with the works whose reality is shaped in part by their perception and a language that explains them.


Well-known artistic strategies like Appropriation or Conceptual Art recede to the periphery of perception - and the metalanguage that has long since permeated and "managed" artistic works (or manipulated the reception thereof) undergoes a recession. Under the bright light of aesthetic perception, the names of the artists appear as distracting prosthetics, supplemental limbs that keep us from falling into a conceptual void. It is precisely this gap that anonymous works seek to fill. Removing the names produces a strange chaos, a game that is more than an obvious trick and also more than a deliberate deception. As viewers, we stand at the edge between knowing and not knowing the work, and at the same time we see the names that appear in our consciousness and their meaninglessness, and stand in the center of a mysterious or rather unknown language.


In art, the known and the unknown are not mutually exclusive opposites. Not infrequently, the idea is to foreground the unknown aspect of a known artist, to confront the unknown side of an artist with what is known about him or her, increasing the significance of his or her work. This legitimizes not only the repeated exhibitions of so-called classics but also results from the variety of perspectives and interpretations of a work of art that ensures that its meaning is not restricted but demarcated (or stripped of its boundaries). It proves more difficult - though many ambitiously contemporary galleries and exhibition spaces pursue competition on this front - to make previously unknown artists known, and the chances of success in that venture are in no small measure based on how well the institution - or curator - is known that shows the unknown artist's work. In both cases, the unknown is less a failing of art than a guarantee of its continuation.


Andy Warhol - whose artistic reproduction of everyday images and celebrated faces became world-famous even beyond connoisseurs of art - made the prophetic statement in 1968: "In the future everyone will be world-famous for 15 minutes." Undoubtedly, this certainly approximates the truth of the devaluation of the status of fame and the assembly line production of so-called art stars. With the popularization of fame, however, comes an unwieldy hunger for fame that must be fed - a vicious circle as more and more famous people are fabricated, who, likewise, possess less and less of the "aura" of fame and, consequently, are quickly and easily replaced. Anyone who is world-famous today, thus the tautological formula, will be soon forgotten tomorrow.


Catalogue: "Anonym /Anonymous - In the Future No One Will Be Famous," anonymous and Max Hollein (eds.), with a preface by Max Hollein and texts by Dominic Eichler, Stephan Heidenreich, April Elizabeth Lamm, Eckhart Nickel, and Hans Ulrich Obrist. German/English edition, 160 pages, 32 b/w illustrations, Snoeck Verlagsgesellschaft mbH, Cologne, ISBN 3-936859-51-5, hardcover, linen. In addition, 500 blank catalogues with 160 empty pages will be published.



Exhibition: 31 October 2006 - 14 January 2007
Opening hours: Tues, Fri-Sun 10 am - 7 pm,
Wed/Thu 10 am - 10 pm