![]() gelatin: Performance, 2002 Schirn FORUM002 Auf eigene Gefahr Installationen für Risikobereite Christoph Büchel, Critical Art Ensemble, Camilla Dahl, gelatin, Jeppe Hein, Carsten Höller, Ann Veronica Janssens, Sven Påhlsson, Henrik Plenge Jakobsen, Julia Scher, Ana Maria Tavares Click for english text Martina Weinhart, Kuratorin der Schirn Kunsthalle Frankfurt und Markus Heinzelmann, Kurator des Siemens Arts Program: "Seit in den 60er Jahren der "Tod des Autors" auch in der bildenden Kunst ausgerufen wurde, haben sich stärker benutzerorientierte Formen wie Happening, Public Art und Kunst als Dienstleistung herausgebildet, die die Grenzen zwischen Kunst und Realität durch die Integration der menschlichen Präsenz in das Werk verwischen. Der Prozess ist wichtiger als das Kunstobjekt, zentral ist die Erfahrung, die in der Ausstellung als Option bereitgehalten wird." "Auf eigene Gefahr" betreibt eine thematische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Risikos und benennt einerseits Felder, in denen wir einem solchen Handeln im Alltag unterworfen sind: Drogen, Sexualität, Geschlechterbeziehungen. Andere Arbeiten zielen stärker auf eine metaphorische oder erkenntnistheoretische Bearbeitung des Themas. Eine dritte Ebene ist in der spielerischen Erfahrung gegeben. Wie gering die Spielräume für Kontrolle, Handlung und Entscheidung im täglichen Leben sein können, zeigt vielleicht am deutlichsten die Arbeit der US-Aktivisten-Künstlergruppe Critical Art Ensemble, die sich in ihrer für die Ausstellung geschaffenen Arbeit mit den Praktiken der "Biopolitik", dem Zugriff von staatlichen und ökonomischen Strukturen auf den Körper des Einzelnen und der Bevölkerung, befassen. In einem mobilen öffentlichen Labor werden die Besucher aufgefordert, Lebensmittel auf deren genetische Manipulation zu testen und letztlich den Konsum "auf eigene Gefahr" zu reflektieren. Um das Phänomen der Kontrolle und Überwachung geht es in der Installation "Embedded" von Julia Scher: An Betten montierte Kameras filmen alles, was sich auf ihnen abspielt, und geben es zeitverzögert auf Monitoren wieder. Entscheidet sich der Besucher in einem exhibitionistischen Akt, näher auf das Kunstwerk einzugehen, erfährt er, wie ihm die Herrschaft über das eigene Bild auf plakative Weise entzogen wird. Er überantwortet sich freiwillig einem Überwachungssystem eine Entscheidung, die einem in der Realität nicht immer so eindeutig in die Hände gegeben wird. Die Aufhebung physischer und psychischer Distanz fordert Camilla Dahl mit der Arbeit "Champagne Bar" heraus. Eine Theke in anatomisch fliessender Form bietet den Besuchern die Möglichkeit, mittels Saugern Champagner zu konsumieren, gleichzeitig zwingt sie sie bei der Einnahme in eine Haltung der Unterwerfung. Dieses Spiel ist ebenso dekadent und regressiv wie betont voyeuristisch riskiert wird die eigene Identität innerhalb der sozialen Regeln und Konventionen. Eine andere Art der Selbstreflexion bietet die Arbeit "Landscape with Exit and Exit II (Rotterdam Lounge)" von Ana Maria Tavares. Zwei Rollfeldtreppen flankieren einen grossformatigen, auf dem Boden liegenden Spiegel. Schwankende Stufen führen den Besucher nach oben und dazu, sich selbst zu exponieren. Langt er dort an, erwartet ihn wahlweise die Konfrontation mit dem Gegenüber auf der anderen Treppe oder mit sich selbst im Spiegel. Letzteres zwingt ihn jedoch in die Instabilität. Einmal mehr wird "Ich sehe mich selbst sehend" zu einer riskanten Erfahrung. Dem Sog der Tiefe in Form einer virtuellen Achterbahnfahrt mit sich rasant windenden Schienen wird der Besucher in der Computeranimation "Funhouse" des Norwegers Sven Påhlsson ausgesetzt. Die raumgreifend projizierten Bilder vermitteln eine unheimliche Atmosphäre latenter Bedrohung. Der Betrachter wird ins Bild hineingezogen, zwischen "real" motivierter Angst und durch computergenerierte Welten hervorgerufenen Empfindungen gibt es kaum noch einen Unterschied. Um die Aufhebung von Grenzen geht es auch bei der Arbeit von Christoph Büchel. Wer seine Montage aus mehreren Räumen betritt, wird von dem chaotischen Zustand erfasst und Teil eines überbordenden Etwas, das die Autonomie des Besuchers systematisch untergräbt. Am Ende erscheint selbst die Alltagswirklichkeit als bedrohliche Kulisse, denn es lässt sich nur schwer entscheiden, wo das simulierte Chaos aufhört und die reale Welt beginnt. Ein Raumgefühl anderer Art evoziert die Installation von Ann Veronica Janssens. Der Betrachter steht durch eine Glaswand getrennt einem mit dichtem Nebel gefüllten Raum gegenüber. Er hat die Wahl, den Raum von aussen zu betrachten oder in das Innere vorzudringen und sich der irritierenden Atmosphäre, in der Raum und Zeit ihre Präzision verlieren, auszusetzen. Inmitten der Arbeit sieht auch Jeppe Hein den Besucher. Ein sechseckiger Brunnen, der eigens für die Rotunde im Aussenbereich der Schirn angefertigt wurde, bildet an jeder Seite eine senkrecht nach oben gerichtete Wasserwand. Immer wenn sich ein Besucher den kräftigen Wasserstrahlen nähert, versiegen diese und geben den Weg in das Zentrum des Brunnens frei. Ist er eingetreten, steigt hinter ihm die Wasserwand wieder empor. Erneut muss er sich dieser nähern, damit er den Brunnen trockenen Fusses verlassen kann. Der Einsatz des Körpers ist auch bei der Arbeit von Henrik Plenge Jakobsen gefragt. Auf dem Dachgepäcksträger eines Autos montierte Lachgasflaschen werden über Schläuche mit dem Wageninneren verbunden und bieten den "Fahrgästen" Gelegenheit, in den Genuss einer kurzen Euphorie zu kommen. Carsten Höller hingegen bietet dem Besucher an, sich eine von 20'000 weissen Placebotabletten, die durch ein gläsernes Aquarium fliegen, zu greifen und diese einzunehmen. Obwohl die "Kunstpatienten" wissen, worum es sich bei den Pillen handelt, wirken sie angeblich doch fragt sich, wie. Offen ist auch die Frage, was gelatin eigentlich machen wird. Die österreichische Künstlergruppe hat ihre Arbeit einmal als Ausdruck des Wunsches beschrieben, Situationen zu schaffen, die wir vermissen, in denen wir sein möchten. Und so bringen gelatin uns in Situationen, von denen wir nie im Leben gedacht hätten, dass wir sie vermissen könnten, die uns aber nachhaltig beeindrucken. Eine Ausstellungskooperation der Schirn Kunsthalle Frankfurt mit dem Siemens Arts Program. Ausstellungsdauer: 27.6. - 7.9.2003 Öffnungszeiten: Di, Fr-So 10 - 19 Uhr, Mi/Do 10 - 22 Uhr Schirn Kunsthalle Frankfurt Römberberg D-60311 Frankfurt am Main Telefon +49 69 29 98 82-0 Fax +49 69 29 98 82-240 E-Mail welcome@schirn.de www.schirn.de At your own risk Installations for risk takers Christoph Büchel, Critical Art Ensemble, Camilla Dahl, gelatin, Jeppe Hein, Carsten Höller, Ann Veronica Janssens, Sven Påhlsson, Henrik Plenge Jakobsen, Julia Scher, Ana Maria Tavares "Calculated" risks seem to be one of the crucial values of experience in today's Western society, which produces leisure time rituals such as bungee jumping, paragliding, and other extreme sports as its symptoms. Against the backdrop of this risk culture, the exhibition "At Your Own Risk", prepared by the Schirn Kunsthalle Frankfurt in cooperation with the Siemens Arts Program, highlights a particular form of art which, having emerged in the 1990s, turns the viewer into a user. Artists such as Carsten Höller, Christoph Büchel, Jeppe Hein, Ana Maria Tavares and groups like the Critical Art Ensemble or gelatin have created constellations for the show which are attractive enough to make the visitors abandon their passive consumer attitude and embrace the risk of participating. Incentives may either be an extraordinary experience such as crossing rooms full of fog or exploring mysterious labyrinths or be connected with a playful situation or expected findings. Max Hollein, Director of the Schirn Kunsthalle Frankfurt: "The optional character of the installations presented in the exhibition "At Your Own Risk" mirrors today's world that both promises a maximum of security and, with its demands for mobility and flexibility, requires a maximum of willingness to take risks and increasingly so without any safety net or second bottom. This is why it seems worth exploring artistic forms of tackling this phenomenon." Martina Weinhart, curator of the Schirn Kunsthalle Frankfurt, and Markus Heinzelmann, curator of the Siemens Arts Program: "Since the "death of the author" has also been proclaimed in the fine arts in the sixties, forms more clearly oriented towards the user such as happenings, public art, or "art as service" emerged approaches blurring the boundaries between art and reality by integrating the presence of people into the work. The process is more important than the art object; what matters is the experience the exhibition provides as an option." "At Your Own Risk" explores the concept of risk as a subject and, on the one hand, outlines the fields in which we are confronted with such a behavior in our everyday lives: drugs, sexuality, and gender relations. Other works are rather aimed at a metaphorical or epistemological understanding of the subject. A third level is given to playful experience. June 27 - September 7, 2003 |