© Christian Andersen

Christian Andersen: aus der Serie "Lick the Wick", 2003
Light-Jet Print, 90 x 123 cm


Back to Nature

Christian Andersen
, Thomas Huber, Rockmaster K.


Die Ausstellung "Back to Nature" vereint fotografische Arbeiten von drei Zürcher Künstlern, welche auf sehr unterschiedliche Art und Weise die Kategorien von Authentizität und Artifizialität hinterfragen.


Der Titel der Ausstellung "Back to Nature" evoziert den Slogan "Rückkehr zur Natur", den sich verschiedene ideologische Gruppierungen zu unterschiedlichen Zeiten zum Leitmotiv gemacht hatten. Als der Aufklärer Rousseau Mitte des 18. Jahrhunderts für die Rückkehr zur Natur plädierte, glaubte er, dass von Natur aus alles gut sei und nur in den Händen der Menschen mit dem Fortschritt der Wissenschaften und Künste korrumpiert werde und degeneriere. Für ihn stand die Authentizität der Natur gegen die Artifizialität der Kultur. Die Vorstellung dessen, was ursprünglich, was authentisch, bzw. was künstlich ist, hat sich stark verändert und ist heute im Zuge der fortschreitenden Wissenschaft, Technik und Medizin kaum mehr definierbar. Was bedeutet "Natur" in einer Welt, in welcher der Mensch so stark eingegriffen hat, dass kaum mehr ein Fleckchen Erde existiert, auf dem die Präsenz des Menschen nicht sicht- oder zumindest spürbar ist? Und was kann heute noch als authentisch bezeichnet werden, wenn wir körperliche und geistige Individualität durch chirurgische Eingriffe, Psychopharmaka und Gentech nach unserem Gusto verändern können?


Im Feld der visuellen Kultur stellt sich die Frage der Authentizität grundsätzlich, sind wir uns doch bewusst, dass wir heute kaum mehr eine Fotografie zu sehen bekommen, die nicht computermanipuliert und nachbearbeitet wurde. Die drei Fotografen der Ausstellung "Back to Nature" nehmen zwar nicht explizit Bezug auf diese Fragestellungen, spielen jedoch auf der Ebene des Bildinhaltes und/oder der fotografischen Umsetzung mit dem Verschieben dieser Grenzen.


Christian Andersen (*1974, lebt in Zürich) schafft mit seinen Bildern urbane Mythologien. Der Künstler, der bis Ende der 80er Jahre in der Graffiti-Szene aktiv war, siedelt die Settings seiner Bildmotive oft in Grenzgebieten zwischen Zivilisation und Natur an, in heruntergekommenem, urbanem Niemandsland oder an menschenleeren Orten am Rand einer städtischen Zone. Es sind düstere, etwas trostlose Orte, die jedoch die Faszination von verlassenen Filmkulissen besitzen, in denen nichts passiert, eine Handlung aber imaginiert werden kann. Der präzise Bildaufbau, die dunkle, kühle Farbgebung, die dramatische Lichtführung lassen die Bilder wie erstarrt erscheinen - eine Momentaufnahme kurz bevor etwas geschieht.


Christian Andersens Bildwelten wirken inszeniert und erschliessen sich dem Betrachter auf den zweiten Blick als am Computer erschaffene Bilder. So erscheint z.B. der grosse, besprayte Findling im Wald bei näherer Betrachtung als doppelte Inszenierung: Gesteinsbrocken dieser Grösse haben in Wirklichkeit nie die Form eines glattpolierten Flusssteines und sind nie an einer solchen Stelle zu finden. Der Findling wirkt als wäre er von einer übermenschlichen Kraft an diesen Ort - einen asphaltierten Weg, genau an der Waldgrenze - katapultiert worden. Die Graffitis und Tags, mit denen der Stein besprayt ist, bringen ein städtisches Moment in die natürliche Szenerie ein.


Graffitis scheinen bei Andersen nicht nur als selbstbewusste urbane Strategien der territorialen Markierung oder des künstlerischen Ausdrucks einer Underground-Szene zu lesen zu sein, sondern auch auf menschliche (städtische) Präsenz zu verweisen an einem (nicht-städtischen) Ort, der inzwischen verlassen und menschenleer ist. Sie sind vielleicht ein Sinnbild für die kurzfristige in Besitznahme eines Ortes (z.B. eines Schuppens, der später zerstört worden ist) und das Verlassen desselben. Christian Andersens Motive sind in diesem Sinne romantisch, als dass sie immer wieder mit dem Bild der "modernen Ruine" arbeiten.


Anders als bei Christian Andersen, dessen Bildmotive eher in den Kategorien von Landschaftsbild und Stillleben anzusiedeln sind, stehen in Rockmaster K.s (*1962, lebt in Zürich) Arbeit Menschen im Zentrum. Der im Zürcher Underground als Kultfigur geltende Allrounder, der sein Talent als Musiker, Gestalter und Künstler seit Anfangs der 80er Jahre in Beweis gestellt hat, zeigt in der Ausstellung "Back to Nature" eine Serie von Porträts. Rockmaster K. macht sich Bildmaterial jeglicher Herkunft - Zeitschriften, amerikanische College-Jahrbücher etc. - zu eigen und kombiniert es mit eigenen Fotografien. Diese Appropriationsstrategie erklärt die stilistische Heterogenität der Porträts. So schwierig es für Nicht-Eingeweihte zu eruieren ist, welche Fotos von ihm selber stammen und welche nun als Found Footage zu interpretieren sind, so wenig lässt sich beurteilen, wie stark die einzelnen Porträts vom Künstler (mittels Computer) bearbeitet wurden. Manchmal scheinen die Hintergründe nicht zur Person im Bild und der Art der fotografischen Abbildung zu passen; dann sind es wieder seltsame Lichteffekte im Vordergrund, welche das eigentliche Bild zu stören und ihm gleichsam eine ausserbildliche Ebene vorzulagern scheinen.


Rockmaster K. konstruiert Identitäten, indem er aus dem Fundus der visuellen, amerikanisch-europäischen Populärkultur schöpft, diese miteinander kombiniert, überlagert, stört und mit karnevalistischen Elementen der Maskierung, Verkleidung und der Wertumkehrungen spielt (so ist z.B. bei genauerem Hinsehen im Hintergrund des unschuldig lächelnden Collegegirls ein futuristisches Kriegsflugzeug zu sehen). Immer wieder ist Rockmaster K. auch selber im Bild zu sehen. Seine Gesichtszüge hinterlassen einen visuellen Eindruck, der sich wie ein Phantombild über die anderen Porträts legt, so dass man meint, seinen Zügen auch in den anderen Gesichtern zu begegnen.


So offensichtlich sich diese Fotografien betreffend Motiv und Bildaufbau als Porträts ausgeben, so wenig sind sie als eigentliche Porträts zu interpretieren, denn es handelt sich ja nicht um existierende Persönlichkeiten, sondern um konstruierte Figuren ambivalenten Charakters. Sie tragen Insignien von Science Fiction-Kriegern im Retrolook, wirken wie die Mitglieder eines Geheimbundes oder wie moderne Musiker-Schamanen. Es sind urbane "Survival warriors" mit einer Natursehnsucht oder mit der Nostalgie einer vergangenen Zukunftsvision - Back to Future! -, wie etwa die hinter einer dunklen Sonnenbrille weinende Figur im Tarnhemd, welche, einem modernen Robinson Crusoe gleich, einen Papagei auf der Schulter trägt.


Rockmaster K. benutzt sich selbst, wie auch die gefundenen, anonymen Gesichter als weiterzubearbeitendes Rohmaterial und schafft damit verstörende Bilder zwischen Kitsch und Kult, wovon einige fast schon als trashige Popikonen gelesen werden könnten.


Thomas Huber (*1976, lebt in Zürich), Absolvent der Gerrit Rietveld Akademie in Amsterdam, führt den Betrachter seiner Fotografien genüsslich an der Nase herum. Seine Bilder wirken als wären es mit einer bescheidenen Hobbykamera aufgenommene, kaum nachbearbeitete Schnappschüsse, die auf den ersten Blick auch kaum von Amateurfotografie zu unterscheiden sind. Thomas Huber hat eine Vorliebe für seltsam handgestrickte und surreale Motive, die er oft im Freien - nicht selten im Wald - ablichtet. So begegnet man in seinen Bildern z.B. Wurzelmännchen, Käuzchen mit intensiven, fast menschlich wirkenden Blicken und nackten Männern, die im nächtlichen Wald in den Bäumen hängen. Die Natur wirkt hier wie eine Kulisse, eigens von Huber hingestellt, um seine ironisch gebrochenen Inszenierungen zu fotografieren. Anders als die durchgestylten Settings von Andersen aber, wirken Hubers Handlungsorte nicht filmisch, sondern eher zufällig und linkisch konstruiert.


Könnte der sich von Ast zu Ast hangelnde nackte Mann aus rousseauscher Perspektive als "homme naturel" interpretiert werden, also als Mensch, der seinen ursprünglichen und deshalb naturgemäss "guten" Instinkten folgt und noch nicht von den "hommes sociales" korrumpiert worden ist, wirkt bei Thomas Huber die Darstellung parodistisch. Die jungen Männer im Adamskostüm wirken vor allem fehl am Platz. Hier ist keine idealisierende Verbindung von Natur und Mensch dargestellt, sondern eher der Spleen eines Städters, der aus ungeklärten Gründen seine Kleider abgestreift hat, um im winterlichen Wald an Bäumen herumzuklettern. Ähnlich unbeholfen wirken auch die Männer im Wald, welche staunend, mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit etwas über ihren Köpfen beobachten, was sich dem Blick des Betrachters entzieht. Manchmal fühlt sich auch der Betrachter vor Hubers Fotografien etwas unbeholfen, wenn er sich z.B. mit einem hämisch grinsenden, an den Rübezahl erinnernden Mann im Tannenwald oder mit einem Eselsprofil konfrontiert sieht.


Thomas Hubers Bilder kitzeln die Sehnerven des Betrachters, weil sie sich bewusst einer Einordnung innerhalb eines professionellen Fotografiediskurses verweigern, um mit viel schrägem Humor und Ironie den Status des Bildes hinterfragen.


Text: Nadia Schneider


Kurator: Pietro Mattioli


Ausstellungsdauer: 4.5. - 10.7.2004
Oeffnungszeiten: Mo-Mi 8 - 19 Uhr, Do/Fr 8 - 22 Uhr
Sa 8 - 18 Uhr


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