© Evgeni Mokhorev

Evgeni Mokhorev: Andrei, 2002
s/w -Print, 40 x 50 cm


Bilder Nr. 192


Annabel Elgar
(GB), Ingar Krauss (D), Evgeni Mokhorev (RU), Marcelo Perocco (BRAS/A), Steven Tynan (GB)


Die beteiligten KünstlerInnen setzen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Adoleszenz auseinander. Sie gehen der Frage nach was diese Lebensphase auszeichnet, wie mit dem Erwachsen-Werden umgegangen wird und welche Probleme sich daraus ergeben können. Die KünstlerInnen arbeiten dabei zum Teil eigene Erfahrungen und Erinnerungen auf oder beziehen sich auf gesellschaftliche und politische Zusammenhänge.


Ingar Krauss
Seit einigen Jahren handeln meine Bilder von Kindheit und Adoleszenz. Mich interessiert dabei vor allem der Zustand des nicht klar definierten Körpers und Geistes, eine Art Zwischenzeit. Es geht mir dabei überhaupt nicht um das rein äusserlich spezifisch Jugendliche, wie bestimmte Kleidung o.ä., ich suche in meinen Portraits nach einem Ausdruck für die Psyche und biographische Prägung der Kinder. Ich möchte einen authentischen Moment der Intensität und Konzentration abbilden, und die Melancholie, die sich vor allem in Zeiten der Transformation zeigt. Der Moment des Fotografierens gleicht dabei einer Art heimlicher Übereinkunft, in Abwesenheit aller Sprache.


Marcelo Perocco
Teenagers. Oft frage ich mich selbst woher dieses Interesse, diese Besessenheit kommt. Ein Beispiel: ich steige in die U-Bahn und schon verfolge ich sie. Auch wenn ich müde bin, wenn ich mich lieber hinsetzen würde, bleibe ich doch stehen, um sie aus der Nähe beobachten zu können und vielleicht auch ihre Gedanken erraten zu können, um ihnen im Geiste in ihrer Unsicherheit und bei ihren Missgeschicken beizustehen.


Mich interessieren die Charakteristika eines jugendlichen Gesichts, noch nicht festgelegt durch die Spuren der Zeit, sich der unwiderstehlichen Schönheit des Unberührten nicht bewusst. Das Schöne als Inhalt seiner selbst.


Was ich einfangen, was ich sichtbar machen will ist die Zartheit und Zerbrechlichkeit ihrer Blicke, aus Augen die noch nicht viel gesehen haben, die hungrig sind und von Unbekanntem träumen - und in denen gleichzeitig schon das Wissen um die Zukunft liegt: ein Leben ohne Sicherheiten, ohne eine feste Basis an der man sich festhalten und gegen das Unerwünschte verteidigen kann. Die Zeit wird ihr Schicksal bestimmen.


Später, beim Durchsehen der Photos, hatte ich oft das befremdende Gefühl, dass diese Menschen gar nicht mehr physisch existieren. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ich durch Zufall auf der Strasse einige meiner Modelle wiedertraf: jemand, der in meinem Kopf schon Teil einer fiktionalen Welt geworden war, verwandelte sich plötzlich zurück in ein körperliches, reales Wesen.


Die Fiktion vermischt sich mit der Wirklichkeit, wie ein Traum von dem man nicht mit Sicherheit weiss, ob er gelebt oder doch nur geträumt wurde.


Steven Tynan
Der Fotograf Steven Tynan arbeitet seit bald sieben Jahren an seinem persönlichen Projekt. Seine fortlaufende Serie von grossformatigen Polaroid-Einzeldrucken umfasst bereits mehr als 175 Bilder, auf denen der oft nackte oder nur leicht bekleidete Körper des Fotografen an unterschiedlichen Orten im Freien und im häuslichen Rahmen gezeigt wird. Schonungslos offen und stellenweise sehr witzig, beschreibt der Künstler seine Selbstportraits als Erkundungen "des Gefühls der Scham, der Verletzlichkeit und der Verantwortung", die einem als Mann mittleren Alters in der heutigen Zeit begegnet. Gelegentlich von seinen eigenen Kindern oder deren zwei Hunden begleitet, scheinen Tynans emotions- und ausdruckslose Art und die erbärmliche Hilflosigkeit seines exponierten, übergewichtigen Körpers das Werk für Interpretationen offen zu halten, wobei die BetrachterInnen, die Bilder mit den jeweils eigenen Geschichten und Assoziationen belegen können. Auf diese Weise wird die Arbeit, trotz der makellosen Unschuld der Thematik, zu einer Folie für hypersensibelste Geschichten, die um Familie, Sexualität und den männlichen Körper kreisen.


Indem er die Kamera auf sich selbst richtet, macht sich Tynan selbst "zum Opfer" des fotografischen Blicks und somit unzähliger sozialer Projektionen.


Tynans Selbstportraits wollen zeigen, wie wir uns alle aktiv mitschuldig machen an der sozialen Kontrolle des Körpers. Von allen Körpertypen, die in der zeitgenössischen visuellen Kultur zur Schau gestellt werden, ist der plumpe weisse männliche Körper der am wenigsten sichtbare, trotz seiner privilegierten Machtposition innerhalb der sozialen Hierarchie. Indem er sich selbst exponiert, durchkreuzt er die in der zeitgenössischen Fotografie vorherrschende Art der oberflächlichen Darstellung mit ihrer Fassade von Unverletzlichkeit, um die eigentlichen Themen und Emotionen anzusprechen, die unser Gefühl für uns selbst formen.


Gleichzeitig beziehen sich die Bilder auf subtile Weise auf eine Reihe historischer und medialer Konventionen: die /der sich aufstützende Nackte, das häusliche Interieur, Pornografie, Katholische Ikonografie (Der Heilige Sebastian, Der Heilige Christoph) und verschiedene Zugänge zur Dokumentarfotografie.


Tynan wuchs in Manchester auf. In London arbeitete er lange in der Welt der redaktionellen und der Dokumentarfotografie bei grossen Magazinen, unter anderem als ständiger Mitarbeiter von The Face und The Sunday Times, bis ihm bewusst wurde, dass er es nicht länger rechtfertigen könne, auf Kosten anderer Leute Bilder zu leben. Ab dem Zeitpunkt beschloss Tynan, sich selbst zum "Opfer" zu machen.


Annabel Elgar
In meiner Arbeit konstruiere ich Szenen, die den Verlust der Unschuld auf abrupte, schockartige Weise bewusst machen. Mich interessiert, wie ich mich in diesen Geschichten wiedererkenne beziehungsweise mich von ihnen entferne. Es ist wichtig, dass die Personen einen befrachteten und ambivalenten Raum einnehmen, der die Widersprüche im darauffolgenden Spektakel bestätigt. Die Geschichten enthalten einen komplexen Code von Details, der sich langsam als unvorhergesehenes Gegenmittel gegen das vermeintliche Drama, dessen ZeugInnen wir sind, entpuppt. Ich möchte Fotografien machen, in denen das Hauptaugenmerk auf der Enthüllung der Verletzlichkeit in seinen verschiedenen Facetten liegt.


Die Personen sind oft durch eine den BetrachterInnen verborgene Quelle abgelenkt oder einfach in ihrem eigenen Raum versunken, wobei man sie nur von hinten oder mit unkenntlich gemachten Zügen sieht. Sie erkennen nur langsam, wo sie sich befinden und sind sich unserer Position als ZuschauerInnen und oft auch einander nicht bewusst. Sie bieten uns ein Spektrum an geteilten und losgelösten Erfahrungen anstelle eines einheitlichen Ganzen. Es ist mir wichtig, dass die Bilder diese Schichtung verschiedener Welten der Introspektion vermitteln. Der Fokus richtet sich allmählich auf kleine und unauffällige Details, die auf vergangene Geschehnisse hinweisen und als Metapher funktionieren, durch die wir ein Halbwissen über das, was wir sehen, entwickeln können. Ein Ballon mit herausgelassener Luft, faulendes Obst, Partyfähnchen und eine Blutkruste am Knie werden zu potentiellen Bedeutungsträgern, die, obwohl sie ein Gefühl der Ruhe und Feinheit vermitteln, gleich wichtig wie das vorrangige Bild sind.


Ein grosser Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit meiner persönlichen Mythologie.
Indem ich verschiedene Quellen wie etwa Kindheitserinnerungen, Malerei, Film und allgemeines Volkstum erkunde, möchte ich eine Ästhetik kreieren, die meine Vergangenheit innerhalb eines poetischen und gleichzeitig kritischen Diskurses beschreibt.


Evgeni Mokhorev
Mokhorev, der in jüngster Zeit zum "Shooting-Star" der St. Petersburger Kunstszene avancierte, thematisiert in seiner Arbeit die Situation russischer Strassenkinder. Die Kinder inszenieren sich selbst - der Künstler nimmt dabei die Rolle des stillen Beobachters ein. Mokhorev stellt die Zerbrechlichkeit dieser Kinder, die - völlig auf sich allein gestellt - ein Leben wie Erwachsene führen müssen, in den Vordergrund. Dieses Erwachsen-Sein verkörpern diese sehr jungen Menschen auch in den Haltungen, die sie für die Aufnahmen einnehmen.


Ausstellungsdauer: 2.3. - 31.3.2004
Oeffnungszeiten: Di-Fr 14 - 19 Uhr, Sa 10 - 14 Uhr


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