© ProLitteris, 2003

Cold Mountain I (Path), 1988-1989
Oel auf Leinen / Oil on linen
274 x 366 cm / 108 x 144 inches
Daros Collection, Schweiz/Switzerland
© ProLitteris, 2003, CH-8033 Zürich


Brice Marden


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Brice Marden wurde 1938 in Bronxville, N.Y., geboren und wuchs in Briarcliff Manor, N.Y., auf. 1963 schloss er die Yale University in New Haven mit dem Master of Fine Arts ab. Den Auftakt zur Ausstellung bilden Gemälde, die zwischen 1964 und 1976 entstanden sind und sich durch eine strenge kompositionelle Syntax und sparsam eingesetzte gestalterische Mittel auszeichnen. Diese frühen, abstrakten Arbeiten beziehen sich auf Mardens Umfeld, seinen persönlichen Lebens- und Erfahrungsraum. Sie setzen sich aus einer oder mehreren monochromen Bildtafeln zusammen und zeigen eine nuancierte Palette von Grautönen. Grösste Sorgfalt verwendet der Künstler auf den Farbauftrag, dessen Opazität und Sensibilität durch die Zugabe von heissem Wachs ab 1966 noch gesteigert wird.


In "Long Gulf", 1971, erinnert Marden den Blick auf den Golf von Mexiko. Das Bild konstituiert sich im Wesentlichen über ein ausgeprägtes Querformat und eine Horizontlinie, die eine dunkel- von einer hellgrauen Bildtafel trennt. Bei "Star" (for Patti Smith), 1972, hingegen bestimmen das tiefschwarze Haar und der helle Teint der Sängerin die Farbgebung des dreiteiligen Hochformates. Die weit gehend reduzierte Bildsprache der Gemälde verbindet sich mit den persönlichen Eindrücken und Empfindungen des Künstlers. Marden setzt intuitives Erfassen über intellektuelles Erkennen, weiss aber gleichzeitig um ihre Wechselbeziehung.


Eine weitere Gruppe von Exponaten dokumentiert seine Beschäftigung mit der Antike. Intensiv studierte Marden unter anderem die Schriften des Lyrikers Robert Graves. In "The White Goddess" beschäftigt sich Graves mit dem Mythos matriarchaler Kultur und beschreibt die "Triple Goddess" als Mutter, Geliebte und Zerstörerin in einem. Mardens "addierte" Tafeln verbildlichen diese existenzielle Trias, äusserlich wie innerlich, räumlich wie begrifflich: "For Hera" richtet sich am Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt aus, "Moon III" veranschaulicht die Phasen des Mondes, die von der Konstellation Mond – Sonne – Erde abhängen.


In der Folge findet Marden zu immer komplexeren gemalten Architekturen. "Elements I", 1981–1982, etwa besteht aus vier Bildtafeln in den Farben Grün, Blau, Rot und Gelb. Erstmals verbindet sich in einem addierten Gemälde das Vertikale mit dem Horizontalen, die Säule mit dem Gebälk. Obwohl der Architekturbezug offensichtlich ist, legt der Titel eine Lesart nahe, in den Elementen antike naturphilosophische Symbole – Erde, Wasser, Feuer und Luft – zu sehen. Und er verweist darauf, dass es Marden darum geht, aus einer gemalten Komposition mehr als bloss die Summe ihrer Teile werden zu lassen.


Im Herbst 1978 wird Marden damit betraut, neue Glasscheiben für den Chor des Basler Münsters zu entwerfen. Dieses Projekt, das ihn bis 1985 beschäftigt, aber nicht zur Ausführung gelangt, konfrontiert ihn mit Formproblemen, die ihn dazu führen, den strengen Kanon seiner Malerei aufzubrechen. Diesen Wandel dokumentiert unter anderem "Athenas Notebook", 1979–1981. Auf insgesamt dreissig Zeichnungen wird die "absolute Verbindlichkeit der Fläche" (Marden) hinterfragt und erstmals mit der Diagonalen experimentiert. Die fünf Paneele des friesartigen "Second Window Painting", 1983, sind von diagonalen, vertikalen und horizontalen Linien durchzogen und geometrisch unterteilt. In Verbindung mit einem durchdachten Farb- und Elementenspiel gewinnt die Komposition einen perspektivischen Fokus, eine neue Räumlichkeit.


Unter dem Einfluss fernöstlicher Kalligrafie und Dichtung gewinnen das Zeichnerische und das Zeichnen ab 1984 noch grössere Bedeutung. Im Rahmen der Ausstellung legt "Untitled #1", 1986, ein erstes Zeugnis von der "gezeichnet-gemalt-geschriebenen" Vertiefung in die Kunst Ostasiens ab; im Rahmen von Mardens Œuvre erlebt dieser Ansatz mit der Serie "Cold Mountain", 1988–1991, einen ersten und mit der Gruppe "The Muses", 1991–1999, einen zweiten Höhepunkt.


Auch in "Cold Mountain I (Path)" finden sich Parallelen zu ostasiatischer Schriftkunst. Der Titel erweist dem berühmten chinesischen Dichter des 7. Jahrhunderts Reverenz, der als Einsiedler in der Wildnis des Hanshan, des Kalten Berges, gelebt hat. Zudem nimmt die Bildanlage den kalligrafischen Raster auf. Die Zeichen sind in stark verdünntem Schwarz mit Pinsel auf die weisse Leinwand gezeichnet und von oben nach unten und von rechts nach links niedergeschrieben. Im Laufe eines intensiven Arbeitsprozesses löst sich Marden schrittweise von dieser strengen Struktur. Die Zeichen einer Kolonne verbinden und durchdringen sich; die einzelnen Linien fliessen dabei ineinander, verselbständigen sich, werden ausgelöscht oder übermalt, so dass die Schrift- zu Bildzeichen werden.


Auf dem monumentalen Gemälde "The Muses", 1991–1993, versammeln sich die neun Töchter des Zeus, die mit ihrem Gesang und Tanz die Götter erfreuen. Die klare Struktur wandelt sich hier von disziplinierter Kalligrafie zu freier Choreografie. Die Körper zeigen sich nicht figurhaft und beschreiben keine äussere Realität, sondern notieren als Lineamente dynamische Bewegungen. Der Betrachter, der ihnen folgt, wird darin nicht die Musen an sich erblicken, sondern er wird sie als lebendige, tanzende Wesen erfahren. Folgen wir der Einladung des Künstlers und gesellen uns zu den Tanzenden, werden wir uns in Mardens künstlerische Haltung einfühlen können. Wie die Romantiker verspürt er das Interesse, das Dazwischen-sein, zwischen Wirklichkeit und Ideal, zwischen Form und Freiheit, realer Oberfläche und sinnhafter Tiefe. Wie sie will er die Gegensätze nicht aufheben, sondern sich gegenseitig durchdringen lassen.


Eva Keller, Kuratorin


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (d/e):
Brice Marden. Einführung von Eva Keller, Interview mit Brice Marden von John Yau.
Daros, Zürich; Scalo, Zürich/Berlin/New York, 2003
ISBN 3-908247-70-5


Ausstellungsdauer: 14.6.2003 - 4.1.2004
Oeffnungszeiten: Do/Fr 15 - 19 Uhr, Sa/So 13 - 17 Uhr


Eintritt
Der Eintritt von CHF 5.– kommt der ARCHE Kinderbetreuung Zürich zugute. Freier Eintritt für Personen in Ausbildung.


Daros Exhibitions
Löwenbräu-Areal
Limmatstrasse 268
CH-8005 Zürich
Telefon +41 1 447 70 00
Fax +41 1 447 70 10
E-Mail info@daros.ch

www.daros.ch




Brice Marden


Brice Marden was born in 1938 in Bronxville, N.Y., and grew up in Briarcliff Manor, N.Y. In 1963 he received his Master of Fine Arts from Yale University. The exhibition opens with paintings dating between 1964 and 1976 and characterized by a stringent compositional syntax and a sparing use of painterly means. These early abstract works make reference to Marden's surroundings, to his personal life and experiences. They consist of one or several monochrome panels, worked in a nuanced palette of grays. The artist devotes meticulous attention to the application of his paint, thereby generating an opacity and sensibility which has been heightened even more since 1966, through the addition of hot wax.


Marden's painting "Long Gulf", 1971, recalls the view of the Gulf of Mexico. It is distinguished by a horizontal format that is underscored by the line that separates the two panels, one dark gray, the other light gray. The palette of "Star" (for Patti Smith), 1972, a vertical work in three panels, is defined by the singer's pitch-black hair and light complexion. The much reduced visual vocabulary of the paintings is linked with the artist's personal impressions and feelings. Marden privileges intuition over intellectual knowledge, although fully aware of the interplay between the two.


Another group of works in the exhibition testifies to Marden's interest in antiquity. He has long cherished the writings of author and poet Robert Graves. In "The White Goddess", Graves examines the myth of matriarchy and describes the "Triple Goddess" as maiden, mother, and destructress. Marden's "additive" panels embody this existential triad, both externally and internally, spatially and conceptually. Thus, the three panels in "For Hera" indicate the cycle of birth, death, and rebirth, while those in "Moon III" refer to the phases of the moon, which are determined by the constellation of moon, sun, and earth.


In time, Marden produced increasingly complex painted architectures. "Elements I", 1981–1982, consists of four panels in green, blue, red, and yellow. For the first time, an additive painting unites the vertical and the horizontal, the column and the beam. Despite the obvious architectural implications, the title suggests an interpretation that embraces the elements of earth, water, fire, and air, as proposed by the philosophy of nature in antiquity. In addition, it indicates Marden's desire to transform a painted composition into more than the sum of its parts.


In the fall of 1978, Marden was commissioned to design new windows for the choir of the Basel Cathedral. This project, on which he worked until 1985, was never executed, but it confronted him with formal problems that ultimately led to a relaxation of the stringent canon of his painting. This change is documented, for instance, in "Athena's Notebook", 1979–1981. In a series of 30 drawings, the "indisputability of the plane" (Marden) is called into question and, for the first time, diagonals come into play. Similarly, diagonal, vertical, and horizontal lines crisscross and geometrically subdivide the five panels of the frieze-like "Second Window Painting", 1983. In conjunction with a reasoned play of color and elements, the composition acquires a perspectival focus and a new sense of space.


Under the influence of Far Eastern calligraphy and poetry, the quality and act of drawing have acquired an even increasing significance since 1984. "Untitled #1", 1986, is the first work in the present exhibition that testifies to a "drawn-painted-written" involvement with the art of the Far East. This approach has led to two highlights in Marden's oeuvre: the "Cold Mountain" series, 1988–1991, and "The Muses", 1991–1999.


"Cold Mountain I" (Path) shows parallels to the calligraphy of the Far East. The title pays tribute to the famous Chinese poet and hermit of the 7th century, Han Shan (Chinese for "cold mountain"), while the picture itself is laid out in the pattern of calligraphic writing. The signs, brushed in extremely diluted black on white canvas, are inscribed from top to bottom and right to left. Through intense reworking of the canvas, Marden gradually dissolved this strict structure. The signs in each column become a contiguous, linked assemblage; single lines flow into each other, take off on their own, or disappear under layers of paint until, finally, the written signs become pure image.


The nine daughters of Zeus, who delight the gods with their singing and dancing, are assembled in the monumental painting "The Muses", 1991–1993. Here the clear structure of a disciplined calligraphy is transformed into a free choreography. The bodies are not figurative and do not describe an external reality; they are linear notations of dynamic movement, which does not render the Muses themselves but rather appears as living, dancing beings. If we accept the artist's invitation and join the dancers, we will soon be able to understand and appreciate Marden's artistic approach. Like the Romantics, he senses the interest, the being-in-between, between reality and ideal, between form and freedom, between the reality of surface and the sensuality of depth. Like them, he does not want to cancel out opposites; he wants them to interact and fuse into one.


Eva Keller, Curator


A catalogue accompanies the exhibition:
Brice Marden. Introduction by Eva Keller, Interview with Brice Marden by John Yau. (G/E)
Daros, Zurich; Scalo, Zurich/Berlin/New York, 2003
ISBN 3-908247-70-5


June 14, 2003 – January 4, 2004