© Brigitte Lustenberger

Flowers III, 2008
C-Print


Brigitte Lustenberger
Who am I looking at? And ... who is looking at me?



Bilder schweigen - und erzählen ganze Geschichten. Das ist kein Mysterium. Bilder können ihre Augen aufschlagen. Das ist keine Esoterik - sondern Ästhetik. Ästhetik ist die Lehre von der Wahrnehmung.


Genau darum geht es in den neusten Arbeiten der Berner Fotografin Brigitte Lustenberger (*1969). Sie zeigt Porträts, Menschen, die sie nach dem Vorbild alter Meister - etwa von Caravaggio oder Rembrandt - aus dem Dunkel hervorschauen lässt. Diese Menschen schauen uns an. Und sie schauen uns zu, wie wir sie anschauen. Es geschieht etwas, das vielleicht trotz allem als eines der Mysterien der Fotografie bezeichnet werden könnte. Denn der Blick, der uns in die Augen schaut, blickt genau so, wie die Person schaute, als sie in die Kamera blickte - ob das nun vor 169 Jahren oder gestern gewesen ist. Die Fotografie bannt Zeit und hebt sie zugleich auf. Sie ist Moment und verweist über den Moment hinaus. Sie legt Zeit still und überwindet zugleich die Zeit. In dieser Spannung von Dauer und Augenblick, in diesem Dazwischen entsteht der Dialog, beginnt das Sprechen ohne Worte. Es öffnet sich die Frage nach der Identität: Wer ist diese Person? Was denkt sie, was fühlt sie? Was hat sie erlebt? Was ist ihrem Gesicht eingeschrieben? Wird sie doch nocht etwas sagen? Aber was? Und wem?


"I'am watching you" heisst die Serie von Brigitte Lustenberger. Offen bleibt, wer denn nun schaut, wer denn nun wen beobachtet. Noch expliziter drückt dieses Wechselspiel der Ausstellungstitel aus: "Who am I looking at? And ... who is looking at me?" Dieser Blickwechsel spielt auch in den Gruppenbildern, die wie eingefrorene Tableaux vivants eine Handlung zum Stillstand bringen. Wer die Bilder betrachtet, ist eingeschlossen und zugleich ausserhalb - und so schleicht sich, gewissermassen hinterrücks, das Element des Esoterischen im ursprünglichen Sinn des Wortes doch noch in dieser Bilder: Wer sie sich anschaut, wer sich ihren Blicken aussetzt, nimmt zwar teil an einem Geschehen, ist aber nicht eingeweiht. Was zwischen den Menschen passiert, was ihre Gesten und Blicke sagen, bleibt ihr eigenes Geheimnis, das vielleicht in die dunklen Leerräume fällt, die die Fotografin - die Bilder immer sehr präzise komponierend - offen lässt.


Derart wird Fotografie zur Kunst. Nicht, weil Brigitte Lustenberger auf das Vorbild alter Meister zurückgreift - das ist gute, sehr berechtigte Tradition, denkt man daran, dass etwa Edouard Manet sich an Diego Velazquez oder Tintoretto orientierte. Der Kunstcharakter besteht darin, dass das Komponierte, das Gedachte und das Gemachte - die Poesie - sich mit der Präzision der technischen, der fotografischen Mittel verschränken. Bewusst verzichtet die Fotografin auf die Möglichkeiten digitaler Fotografie, die die Frage nach der Unmittelbarkeit des Abbildes - "Natürlichkeit" der Fotografie wäre mit Sicherheit das falsche Wort - verschärft und wesentlich prekärer stellt als die analoge Technik. Bewusst auch setzt die Fotografin nur Naturlicht ein - aber mit Effekten, die vor allem dem unaufdringlichen und zugleich unaufhaltsamen Aufscheinen der Personen und der Dinge dienen.


Was aufscheint, vergeht. Unsentimentale Melancholie ist diesen Fotografien eigen - am deutlichsten wohl in den wunderschönen neuen Blumenstilleben. Vergängliches ereignet sich und wird festgehalten. Im Festhalten aber hält auch die Erzählung, der Fluss der Zeit inne. Jenes Vorher und dieses Nachher sind es, die beim Betrachten unweigerlich die Lust wecken, sich die Geschichte der Bilder selbst zu erzählen. Sie sind nämlich, bei allem Rückgriff auf die Geschichte der Malerei, ganz in der Wahrnehmung des Hier und Jetzt angesiedelt: Es sind Filmstills.


Doch davon erzählt Brigitte Lustenbergers überraschendes, in Zusammenarbeit mit Jean-Luc Bodmer entstandene Video "3x3" noch andere Geschichten. (Auch die, die davon handelt, dass im Werk von Brigitte Lustenberger das Sehen zum Sehen verführt wird.)


Konrad Tobler


Brigitte Lustenberger: 1969 geboren in Zürich, lebt und arbeitet in Bern. Zur Zeit in Kairo (Interkantonales Kairo-Stipendium). 2004-2006 absolvierte die Fotografin die M.F.A. Parsons School of Design (Photography and Related Media) in New York.


Ausstellungsdauer 6.3. - 19.4.2008

Oeffnungszeiten Mi/Fr 12.30 - 18 Uhr, Do 12.30 - 20 Uhr, Sa 11 - 16 Uhr


Galerie Madonna#Fust
Rathausgasse 14
3011 Bern
Telefon/Fax +41 (0)31 311 28 18
Email galerie@madonnafust.ch

www.madonnafust.ch
www.likeyou.com/brigittelustenberger