© Christian Hoischen

Christian Hoischen: Rolex, 2003
enamel, fiberglas, 132 x 100 cm


Christian Hoischen
Die Welt und das Geeignete

Ralf Ziervogel



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Wir freuen uns sehr, die Berliner Künstler Christian Hoischen und Ralf Ziervogel mit zwei parallel stattfindenden Einzelausstellungen zum ersten Mal in der Galerie präsentieren zu können.


Christian Hoischen überzieht in seinen jüngsten Gemälden schäbige Alltagsgegenstände, sehnsuchtsbeladene Statussymbole, glitzernde Versatzstücke der Diskokultur sowie Ikonen der Medienwelt mit einer malerischen Haut, unter der alle diese Motive ein befremdlich eigenständiges Leben entwickeln, das der Selbstverständlichkeit des Dargestellten den Boden entzieht. In einer ganz eigenen, der Hinterglasmalerei verwandten Technik sprüht, giesst, malt und kratzt Hoischen auf eine Acrylschicht, die gehärtet auf dicke Styroporplatten aufkaschiert wird. So erhalten die Gemälde trotz der glatten, glänzenden Oberfläche, durch die das Gemalte durchscheint, eine selbstbewusste, kraftvolle physische Präsenz, die in ihrer Materialität konsequent an die früheren skulpturalen Arbeiten anschliesst. Im Farbauftrag selbst finden sich bisweilen Lücken, die Bildoberfläche wird dann durch die dahinter liegende Struktur des weissen Styropors durchbrochen; an anderen Stellen ist die Farbe lasierend aufgetragen, anderenorts wiederum liegt sie in satten, pastosen Schichten übereinander und erzeugt so eine spannungsvolle Tiefe und malerische Sinnlichkeit.


Durch die Fokussierung auf das einzelne Motiv, dessen Monumentalisierung, und durch das Verweigern eines detail- und materialgetreuen Realismus unterliegen die Objekte einer Phasenverschiebung, die ein breites Spektrum potentieller Deutungen eröffnet: Wenn die Rolex-Uhr auf einmal nicht mehr nur das goldene Objekt für Protzbegierden ist, sondern ihr Zifferblatt im Malprozess verloren geht, ist sie eben auch mögliche Metapher für Zeit an sich. Die Diskokugel geht als Gestirn hinter einem gemalten Horizont auf, das Kinobild verliert seine glamouröse Oberfläche, und das abgewetzte Ledersofa könnte von all den Menschen erzählen, die es in seinem spiessigen Dasein je gesehen hat. All dies sind aber nur Möglichkeiten, denn so wie sich die Malerei selbst unterschiedlich deutlich materialisiert, manifestieren sich auch die Sujets und mit ihnen ihre Realitäten.


© Ralf Ziervogel

Ralf Ziervogel: o.T. (Georg Baselitz) /
Untitled (Georg Baselitz), 2001
Videostill, 1.44 Min.


Ralf Ziervogels neueste Arbeiten, gezeichnete gewaltige Panoptiken voller akribischer Details, erscheinen als zeitgenössische Varianten barocker Höllenphantasien, denen sie an Detailreichtum und bildnerischer Erfindungsgabe in nichts nachstehen: Die apokalyptischen Visionen der Alten Meister treffen auf Splattervideos, MTV und zu Sensationsgrösse aufgebauschte Plattitüden des zeitgenössischen Medienspektakels. Ziervogel speit eine Phantasiewelt aus Gewaltorgien und sexuellen Pervertiertheiten aufs Papier, in der sich etwa der gefesselte Gulliver in die Andeutung eines nackten Frauenkörpers verwandelt, der von einer Unzahl kleiner böser Männer gemartert wird. Die Wucht dieser Szenarien wird aber immer wieder gebrochen durch kleine Momente absurder Komik, ironische Seitenhiebe auf Konsumverliebtheit und Heldenverehrung in Zeiten von Pop und Trash.


Durch ihre schiere Grösse und bildnerische Informationsvielgestaltigkeit entziehen sich die Zeichnungen rotzig der Erfassbarkeit: Von weitem erscheinen sie als Wimmelbilder, deren einzelne Zeichenstränge geradezu ornamental das Blatt überwuchern, und die in ihrer Verzweigtheit und schieren Fülle das Auge des Betrachters absichtsvoll überfordern. Der Blick schweift umher, fokussiert hier ein Detail, versenkt sich dort in eine andere Geschichte, um dann gleich wieder von einem weiteren unerhörten Motiv angezogen zu werden. Immer wieder tauchen einzelne Figuren auf, die anderen bei ihrem Treiben mit Ferngläsern zusehen und zu Sinnbildern voyeuristischen Schauens werden. Fast scheint es beim Betrachten, als zappe man sich durch sämtliche Fernsehkanäle, um angesichts einer Unzahl von Bildfetzen den Überblick zu verlieren. So halten sich Ziervogels Arbeiten in einer spannungsreichen Balance zwischen Momenten von Lesbarkeit und schwindlig machendem Bilderwirbel, zwischen Bosch und Tarantino, und erzählen eigentlich von einer exzessiven Lust am Zeichnen selbst.


Ausstellung: 7.2. - 27.3.2004
Oeffnungszeiten: Di-Fr 13 - 19 Uhr, Sa 13 - 18 Uhr


Galerie Barbara Thumm
Dircksenstrasse 41
D-10178 Berlin
Telefon +49 30 283 90 347
Fax +49 30 283 90 457
E-Mail b.thumm@berlin.snafu.de

www.bthumm.de



Christian Hoischen
The World and the Appropriate

Ralf Ziervogel



We are pleased to present the simultaneous solo exhibitions of the Berlin based artists Christian Hoischen and Ralf Ziervogel. Both artists will exhibit at the gallery for the first time.


Shabby every day life objects, status symbols of consumerist longing, shiny props of disco culture as well as media icons - in his most recent paintings, Christian Hoischen covers objects with a coat of paint under which they develop a slightly unsettling life of their own that questions the evidence of the familiar. Hoischen has developed an idiosyncratic technique, related to that of verre églomisé, that allows him to spray, pour, paint and scratch into a layer of acrylic that, after drying out, is mounted onto thick plates of polystyrene. Despite the smooth, glossy surface skin the actual painting shines through the works possess a confident, robust physical presence that directly relates to the materiality of the earlier sculptural works. Gaps amidst the layers of paint open up the pictorial surface to the structure of the white polystyrene. In some parts the paint appears like delicate, transparent varnish, elsewhere it sits in layers of saturated, thick dye, creating a richness of painterly variation, depth and sensuality.



By focussing and zooming on the individual subject rendered in monumental isolation and by rejecting any kind of realistic depiction of detail and material the represented is subject to a phase shift that opens up a broad spectrum of possible interpretations: when a Rolex watch is no longer just the clichéd object of posh desire, but loses its face along the painting process, it turns into a possible metaphor of time itself. The disco ball rises like a star behind an artificial horizon, the movie image is deprived of its glamorous surface, and the worn-out couch could speak of all the people it has encountered during its petty-bourgeois existence. But all these are nothing but options - by the same token as the painting materialises itself in varying and hovering degrees of clarity, so do Hoischen's subjects and with them their different realities.


Ralf Ziervogel's latest works, panoramic drawings full of meticulous detail, come across as the contemporary versions of baroque imagination of the Inferno, with which they share the richness in detail and pictorial invention. The apocalyptic visions of the old masters meet splatter videos, MTV and all the trivialities media inflate to sensational bubbles. Ziervogel spits onto paper a fantasy world made up of orgies of violence and indecent sexual pervertedness, in the course of which the tied-up Gulliver is transformed into the allusion of a naked female body that is maltreated by innumerable evil little men. The violence of these scenarios however is countered by the introduction of little moments of absurd comic, ironic side-swipes attacking the lust for consumption and the worshipping of faux heroes in the times of pop and trash.


With their enormous size and their amount of visual information these drawings cheekily evade comprehension: from a distance they appear as a wimmelbild (teeming picture) the individual tendrils of which overgrow the paper in an almost ornamental way, until their ramification and abundance inundate the eye of the beholder. The gaze wanders around, focusing on a detail here, immersing into another little narrative there, just to be immediately attracted by another outrageous motif elsewhere. Again and again figures with binoculars emerge that watch others behaving badly and that turn into symbols of voyeurism. Trying to get a grip on these drawings is like trying to get the bigger picture when zapping through all available TV channels only to get lost in the overextravagant amount of information scraps. Ziervogel's drawings hover in suspense between moments of legibility and a dizzying pictorial maelstrom, between Bosch and Tarantino. But actually, they talk of an excessive lust for drawing itself.


February 7 - March 27, 2004