© Carol Bove

Untitled Martha Rosler Collage, 2001-2002
Zeitschriften, Collage


Carol Bove


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Die 1971 in Genf geborene Künstlerin Carol Bove markiert mit der Vernissage ihrer ersten Einzelausstellung in einer Schweizer Institution auch die neue parallele Ausstellungstätigkeit der Kunsthalle Zürich.


Wir haben die Sequenz unserer Ausstellungsräume um einen zusätzlichen Raum ergänzt. Dieser Extraraum soll einer Ausstellungspraxis Platz bieten, die mit unterschiedlichen Formaten einen Kontrapunkt im Ausstellungsprogramm entwickeln kann. Jüngere schweizerische wie internationale künstlerische Positionen sollen darin ebenso ihren Ort finden wie kleinformatigere Ausstellungsprojekte, Filmpräsentationen und performative Events.


Ganz bewusst nennen wir die erweiterte Ausstellungstätigkeit der Kunsthalle nicht unseren "Projektraum". Wie mit der Ausstellung von Carol Bove, kann ein solches Ausstellungsprojekt auch einmal zwei unserer Räume umfassen. Der neue "Raum" der Kunsthalle Zürich versteht sich als experimentelles Feld, das das Publikum an den zahlreichen und vielfältigen Nebenbewegungen teilhaben lassen will, die einen Ausstellungsbetrieb und die Programmierung einer Institution ausmachen. In einem zunehmend beschleunigten Ausstellungspraxis von Kunsthallen und Institutionen allgemein erhoffen wir uns durch das Paradox des kurzfristigeren Programmierens eine Verlangsamung, da diese "Nebenbewegungen" Anteil nehmen lassen an der Kontinuität einer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen, Diskursen und auch Widersprüchen aktuellsten künstlerischen Schaffens. Eine Kontinuität, die gegebenenfalls durch Wiederholung der Zusammenarbeit in einem anderen Format Vertiefung erreichen kann. Wir planen Kooperationen mit einem internationalen Denkfeld sowohl durch Künstlerinnen und Künstler wie durch Gastkurationen und andere Formen inhaltlicher Gastpräsenzen.


Carol Bove, die in New York lebt und arbeitet, hat ihr künstlerisches Schaffen in einer gross angelegten Recherche auf die Befragung, Aktualisierung und Vertiefung der Gesellschaftsgeschichte und Kunst der späten 60er bis frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts konzentriert. Ihr Interesse gilt dabei in gleicher Weise der populären Literatur und den populärsten avantgardistischen Magazinen dieser Zeitperiode, wie ihrer Architektur, der Musik, Kunst und dem Design. Für sie markieren sie die einflussreichen und nachhaltigen gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit, wie sie unter anderem in der Frauen- und Friedensbewegung, den Vorstellungen einer befreiten Sexualität und der Befreiung des Individuums durch psychische wie physische Praktiken der Bewusstseinserweiterung zum Ausdruck kommen.


Carol Bove kreiert in ihren Ausstellungen atmosphärisch aufgeladene Installationen mit Artefakten und nachempfundenen Gestaltungen, die Stil und Geschichte reflektieren, transportieren und diese auf ihre aktuelle Gültigkeit hinterfragen.


Bücherstapel der periodisch in Antiquariaten auftauchenden Populärliteratur dieser Zeit ("Touching", 2003) finden sich neben kunstvoll gestalteten Assemblagen aus Fotografien und Büchern mit gefundenen oder nachempfundenen Möbeln der Zeit. Für die Hippiezeit prägende Originalausgaben von populären Magazinen kontrastieren mit von der Künstlerin aus einflussreichen Büchern auf altmodischen Schreibmaschinen abgetippte Textpassagen, und wie verblasst wirkende Tuschearbeiten weiblicher Akte, deren Vorlagen aus Magazinen wie Playboy, Hustler oder Life stammen, hängen neben "Wandgemälden", die die Künstlerin in Referenz an Sol LeWitt akribisch handwerklich aus Faden gefertigt hat.


Carol Bove bezeichnet sich als eine Anthropologin, die autobiografische Erlebnisse mit allgemeingültigen sozialen Gegebenheiten kombiniert und in neue Beziehungssysteme überführt. 1971 geboren, erschien der Künstlerin das Lebensumfeld ihrer Mutter in den 60er und frühen 70er Jahren interessanter, aufregender, utopischer als ihre eigenes jetziges gewesen zu sein, und die zunächst biographisch initiierte Auseinandersetzung entwickelte sich für sie zunehmend zu einer Recherche der Gedankenwelten und Artefakten, die historischer Amnesie und oberflächlicher Kenntnis entgegenwirken soll.


Carol Bove geht in ihrer Arbeit von der Erfahrung aus, die man in einem Museum machen kann, wenn man Objekten begegnet, die unser Interesse wecken, über deren Bedeutung, Umfeld und Realität wir aber nur Ungefähres oder "Mythisches" wissen. Das Initial des Interesses, das Verlangen nach einer vertieften Kenntnis und einer "Zeitreise", übersetzt sie in ihren Installationen in Displaysituationen sowohl mit einer für sie typischen Ästhetik wie mit der künstlerischen Praxis der "institutionellen Kritik", die sich seit den achtziger Jahren mit Präsentationsformen von Kunstobjekten im Kunstkontext auseinandersetzt und Fragen nach Gestaltung, Dekoration und historischer Kontinuität beinhaltet.


Titel wie "Utopia and Oblivion", "Experiment in Total Freedom" oder "The Look of Thought; The Ways of Love" entwickeln in ihren Installationen zusätzlich zu den Buch- und Magazintiteln, die wir lesen können, ein gedankliches Umfeld, das Ambivalenzen und Utopien dieser Zeitperiode präsent sein lassen; eine Periode, die Carol Bove als unvollendetes Projekt bezeichnet, das prägend für unsere jetzige Gegenwart ist.


Historische Recherche ist bei Carol Bove sowohl eine Zeitreise wie im Sciencefiction des amerikanischen Autors Colin Wilson, in dessen Buch "The Philospher's Stone" Kontakt mit anderen Zeiten durch historische Objekte aufgenommen werden kann, wie auch zugewandte, zuweilen als erotisch zu bezeichnende Annäherung an die Gestaltungen und Gedanken dieser spezifischen Zeitperiode durch aktiven, das heisst hier künstlerischen Nachvollzug.


Dies wird besonders deutlich in den zahlreichen Akt-Tuschezeichnungen, die die Künstlerin nach Magazinvorlagen der Zeit anfertigt: In ihren klassische Schönheit ausstrahlenden, beinahe verschwindenden Akten transportieren sich ambivalente Inhalte sowohl ihrer Original-Referenzzeit wie des Heute.


Darstellungscodierungen einer autonomen Selbstbestimmtheit wie sexuellen Selbstbewusstheit der meist weiblichen Akte sind durchwirkt mit Darstellungscodes einer Objekthaftigkeit der Frauen in den herbeigezogenen Magazinen. Und dennoch behaupten die Transparenz und Flüchtigkeit der Darstellungen Carol Boves eine revidierte Wahrnehmung nicht nur von bekannten Klischees, sondern auch von Mythen, die sich um unsere kulturellen Entwicklungen und Errungenschaften ranken mögen.


Zur Ausstellung erscheint eine Publikation in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Hamburg bei Revolver-Archiv für aktuelle Kunst mit Texten von Yilmaz Dziewior und Beatrix Ruf, zahlreiche Werkabbildungen und Materialien der Künstlerin (dt./ engl.).


Die Kunsthalle dankt: Präsidialdepartement der Stadt. Unser Vermittlungsprogramm wird unterstützt von Swiss Re.


Ausstellungsdauer: 28.2. - 4.4.2004
Oeffnungszeiten: Di/Mi/Fr 12-18 Uhr, Do 12 - 20 Uhr
Sa/So 11-17 Uhr, Mo geschlossen


Kunsthalle Zürich
Limmatstrasse 270
8005 Zürich
Telefon 01 272 15 15
Fax 01 272 18 88
Email info@kunsthallezurich.ch

www.kunsthallezurich.ch



Carol Bove


The first solo exhibition at a Swiss gallery by artist Carol Bove, born in Geneva in 1971, also marks the launch of a new parallel exhibition series at Kunsthalle Zurich.


We have now added an extra room to our exhibition rooms. This purpose of this additional room is to provide space for an exhibition methodology that allows different formats to be used in counterpoint to the main exhibition program. Showcasing younger Swiss and international artists, the room will also present some of the smaller exhibition projects, film screenings and performance events.


We have purposely decided against calling Kunsthalle's additional exhibition focus a "project room". As in the case of the Carol Boves show, this kind of exhibition project will, at times, spill over into a second room. The new "room" at Kunsthalle Zurich is intended as a domain for experimental work, designed to enable the public to share in the numerous, highly diverse subsidiary movements that go to make up the work of a gallery and the process of putting together an overall program. With the pace of shows in art galleries and institutions generally increasing, we hope paradoxically that by offering shorter-running programs we will succeed in slowing the pace of change, since these "subsidiary movements" afford viewers a sense of continuity in confronting the developments, discourses and even the contradictions of the latest artistic positions. And this continuity can, perhaps, be lent depth by repeating collaboration using different formats. We are planning to cooperate again an international intellectual horizon, inviting artists, guest curators and other guests to contribute substantively to our work.


Carol Bove lives and works in New York. The focus of her artistic endeavor is an immense research project: by means of enquiring into the social history and art of the late 1960s and early 1970s, she relates the latter to the present and lends it greater depth. Here, she is as much interested in popular literature and the most popular avant-garde magazines of that period as she is in its architecture, music, art and design. For her, the former mark the influential and lasting social changes of that era, as evidenced, for example in the women's movement, the peace movement, the notion of liberated sexuality and the liberation of the individual through both psychological and physical practices of consciousness expanding.


In her exhibitions, Carol Bove forges atmospherically charged installations with artifacts and reconstructive creations that echo and convey the style and history of that period, as well as identifying its current validity.


Piles of books, the kind of popular literature of the time that periodically turns up in second-hand bookshops ("Touching", 2003) are to be found next to artfully arranged assemblies of books and photographs with furniture actually dating from the period or with a feel of that time to it. Original editions of magazines characteristic of the hippie era contrast with passages of text typed out by the artist from influential books on old-fashioned typewriters; faded-looking pen-and-ink work showing female nudes based on illustrations from magazines such as "Playboy", "The Hustler" or "Life" hang next to "frescos" meticulously crafted by the artist from threads, referencing Sol LeWitt.


Carol Bove describes herself as an anthropologist who combines autobiographical experiences with universally valid social phenomena, then transfers them into new systems of interrelation. Born in 1971, the artist appears to find the environment lived in by her mother in the 1960s and early 1970s more interesting, exciting and utopian than her own in the present and what started out as a biographical exercise has developed increasingly into research into how to use ways of looking at things and artifacts as an antidote to amnesia regarding and superficial knowledge of history.


Carol Bove's work starts with the kind of experiences we tend to have in museums when we come across objects that arouse our interest - and yet only have a rough idea of their significance, environment and reality, or at best are only familiar with the respective "myth". In her installations, Bove translates this budding interest, this desire for more extensive knowledge and a trip back through time into display situations which evidence both a typical aesthetic flair and the artistic practice of "institutional criticism" that has been prevalent since the 1980s, questioning ways of presenting art objects within the art context and addressing issues of design, decoration and historical continuity.


In her installations, alongside the book and magazine titles we can read titles such as "Utopia and Oblivion", "Experiment in Total Freedom" or "The Look of Thought; The Ways of Love". This creates an intellectual backdrop that allows the ambivalences and utopias of the era to emerge, highlighting an age that Carol Bove describes as an uncompleted project, one that has left its mark on our present-day world.


For Carol Bove, historical research entails both traveling in time, as in the science fiction of American author Colin Wilson, in whose book "The Philosopher's Stone" contact is established with the past through historical objects, and an interested, sometimes even erotic approach to the designs and ideas of this specific era by means of active intervention - in this case of an artistic nature. This becomes particularly evident in her numerous pen-and-ink nudes copied from magazines of the time. The messages conveyed by these nudes, radiating classical beauty yet likewise also on the point of vanishing, are ambivalent, both in terms of their original frames of reference and by today's standards. The code systems used in portraying these mainly female nudes spotlight both their autonomous self-determination and their sexual self-confidence, but are interspersed with other codes, referencing an object-like quality in these women taken from magazines. And yet the transparency and fleeting nature of Carol Boves' portrayal assert a revised perception not only of well-known clichés, but also of the myths that may surround our cultural developments and achievements.


The exhibition is accompanied by a publication produced in collaboration with Kunstverein Hamburg by Revolver-Archiv für aktuelle Kunst with essays by Yilmaz Dziewior and Beatrix Ruf, and many illustrations of the works and the materials used by the artist (German/English).


February 28 - April 4, 2004