Christoph Hänsli: "o.T.", 2000

Christoph Hänsli
Malerei


Der Zürcher Maler Christoph Hänsli (*1963) zeigt in seiner nächsten Ausstellung in der Galerie Schedler fünf Bilder, auf denen – vordergründig – wenig zu sehen ist. Es sind Darstellungen von leeren Innenräumen. Kaum Gegenstände, ein Teil eines Bettes, eines Sofas, Tapeten an den Wänden, aber nichts, das auf eine individuierte Lebendigkeit, auf einen konkreten Menschen oder Lebenszusammenhang hinweisen würde. Hänslis Malerei umkreist das fundamentale Thema des Verschwindens und der Abwesenheit. Mehr noch als bei den Hotelzimmer-Bildern im Buch "Wet Rocks Seen From Above" (John Berger / Christoph Hänsli, Zürich 1996, Memory/Cage Editions) funktioniert hier die Abwesenheit als eigentlicher Motor der Geschichte. Die atmosphärische Leere erzeugt eine Fülle von Assoziationen. Es stellt sich dem Betrachter die Frage, was diese Bilder sollen. Möchte man an ein unfreundliches Hotelzimmer erinnert werden, womöglich gemietet während verunglückter Ferien, oder an die Kulissen billiger Pornos aus dem Osten?

Hänsli komponiert in der traditionellen Eitempera-Technik Flächen und Muster möglicher Unorte zu einer malerischen Infragestellung des Sichtbaren. Es sind nicht die konkreten Geschichten, auf die die Räume verweisen, selbst wenn die Bilder für den Maler das eine oder andere konkrete Erlebnis als Ausgangspunkt haben. Es ist vielmehr die Geschichte unserer Existenz, die erst durch das reflektierte Sehen zum Da-Sein wird. Existenz heisst ja gewissermassen "Herausragen", "Hervorstehen"; die Gegenständlichkeit wird erfahrbar auf einem Hintergrund, aus dem heraus etwas hervorkommt. Diese Erwartung haben wir auch an das Bild: Es soll uns einen Gegenstand auf einem Hintergrund zur Erscheinung bringen. Durch die Beschränkung quasi auf den blossen Hintergrund unterläuft Hänsli diese Seherwartung und öffnet damit eine kleine Kluft, die ähnlich wirkt, wie die Pointe eines Witzes, die durch die unerwartete Bedeutungsverschiebung innerhalb eines Zusammenhangs physiologisch das Lachen auslöst. Diese kleine Kluft verursacht eine Verzögerung im reibungslosen Ablauf der Wahrnehmung. Vielleicht wird durch die Auslösung eines kleinen Erstaunens eine neue Synapse ermöglicht, die Erkenntnis, dass das Verschwinden die Affirmation der Existenz ist.

Hänslis Bilder sind aber auch, gerade durch das Fehlen von Figuren, Ausdruck seiner Sicht des Menschen in unserer Zeit. In einer vielleicht zufälligen Ähnlichkeit erscheint die Abbildung des menschlichen Gen-Codes wie ein Teppich- oder Tapetenmuster. Seine Entschlüsselung und die damit zusammenhängende fast totale Identifizierbarkeit zeigt uns, dass heute der Mensch sich selbst immer weniger rätselhaft zu sein scheint. Diese Doppeldeutigkeit des Menschenbildes, totale Identifizierbarkeit und zunehmende Homogenität, lässt den Menschen, wie er seit der Renaissance in verschiedenen Facetten immer wieder im Zentrum seines eigenen Interesses stand, verschwinden. Hänslis Malerei, in diesem Sinne anschliessend an den alten Kanon der bildenden Kunst das Unaussprechliche in der Befindlichkeit der Zeit ins Bild zu setzen, dokumentiert dieses Verschwinden.

(Text: Patrik Schedler)

Ausstellungsdauer: 23.8. - 29.9.2001
Oeffnungszeiten: Di-Fr 12 - 18 Uhr, Sa 11 - 16 Uhr

Galerie Patrik Schedler
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8005 Zürich
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