© Helmhaus Zürich / Pro Litteris

Installationsansicht
Foto: Lorenzo Pusterla
© Helmhaus Zürich / Pro Litteris


Daniele Buetti
Auf allen Knien



Daniele Buetti zeigt im Helmhaus Zürich seine erste Einzelausstellung in einer öffentlichen Schweizer Kunstinstitution. Buetti gehört international zu den wichtigsten Künstlern, die sich mit der Konsum- und Informationsgesellschaft beschäftigen. Seine Installationen, Videos, Leuchtkästen, Skulpturen, Zeichnungen und Performances reflektieren, kommentieren und akzentuieren unsere Gegenwart in eindringlichen, atmosphärischen Bildern. Buetti zeigt im Helmhaus Zürich eine neue Arbeit.


Mit den beiden Werkgruppen "Good Fellows" und "Looking for Love" (1994-1998), mit denen er in zahlreichen Ausstellungen - vor allem im Ausland - vertreten war, gelang Daniele Buetti (*1956 in Fribourg; lebt in Zürich) der internationale Durchbruch. Namen von multinational operierenden Konzernen wie Nike, Coca Cola, Sony oder Ralph Lauren übertrug er als "Kugelschreiber-Tattoos" zunächst auf die reale Haut von New-Yorker-Passanten, die sich an seinem Angebot "Tattoos 1 $" interessiert zeigten, bald aber auch als "Pseudo-Vernarbungen" auf die Haut von Fashion-Models, deren Fotos aus Zeitschriften er um krakelig handgezeichnete Logo-Schriften ergänzte.


Dieser Ironisierung des Marken-Kults (oder, im doppelten Wortsinn: des Brandings) folgte in "Looking for Love" eine zeichnerische Be- oder Überarbeitung der vielfotografierten Model-Haut mit Ornamenten, Arabesken, Vernarbungen und Geschwüren. Die private Aneignung dieser öffentlichen Bilder erreichte ihrerseits eine grosse Öffentlichkeit, weil Buettis "Eingriff" die Schönheit der Models noch steigerte, indem er sie - stellvertretend für uns alle - in eine persönliche Beziehung zu sich selber setzte, und indem er die in ihrer Vollkommenheit entrückten "Modelle" somit zu etwas Realem machte. Indem ihre Schönheit sich plötzlich mit Krebsgeschwüren und schrecklichen Hautkrankheiten konfrontiert sah, wies er allerdings auch auf die Exponiertheit und Verletzlichkeit der Models hin. Mit seiner Berührung der/s Unberührbaren machte Buetti überdies auf den Status der Models als öffentliche Projektionsflächen privater Wünsche aufmerksam; ein Umstand, den sich unter anderem die Schönheitsindustrie zu Nutze macht.


Wenn man Buettis Arbeit als Zivilisationskritik verstehen will, dann im ursprünglichen Sinn der "Kritik": als eine Auseinandersetzung, die mit den Mitteln der Analyse, der anverwandelnden Kopie und der Überzeichnung arbeitet. In ihrer Einfachheit sind Buettis Mittel, die Fotos von der Rückseite her spiegelverkehrt mit Kugelschreiber zu beschreiben, ebenso verblüffend wie bezeichnend. Von der spielerischen Kinderzeichnung, die einem Fernsehstar einen schwarzen Zahn verpasst, über die selbstvergessene Telefonzeichnung eines Erwachsenen, der an einem Model-Gesicht herummalt, bis zum tatsächlich tätlich verletzenden Angriff auf Medienstars: Dieses ganze Emotionsspektrum steckt in der Werkgruppe "Looking for Love".


Daniele Buetti war immer schon ein Künstler, der sich in einem gesellschaftspolitischen Sinn mit seiner Gegenwart auseinandergesetzt hat; der sich und seine Kunst eingebracht hat, die Reibung zwischen Kunst und Leben gesucht und sein Künstlersein als einen Beruf verstanden hat, den es (wie andere Berufe auch) auszuschöpfen galt: mit einem durchaus leidenschaftlichen Engagement, das dazu beitragen sollte, die Gegenwart wenn nicht besser ertragen, so doch zumindest besser verstehen zu können. Seine im Grunde existenzialistische Natur zeigt sich deutlich bereits im Projekt "Das Flügelkreuz" (1989-1993). Das Flügelkreuz, ein von Buetti eingeführtes Zeichen, infiltrierte er in alle möglichen Zusammenhänge und setzte damit exemplarisch ein Zeichen in die Welt, das sich für unterschiedlichste Zwecke ge- und bewusst auch missbrauchen liess. Ultimativer Ausdruck der Polyvalenz dieses Flügelkreuzes - und auch ein wenig Ironie des Schicksals - ist es nun wohl, dass dieses Zeichen seit einigen Monaten grosse Verbreitung im Rahmen einer Werbekampagne zur Abfallbeseitigung gefunden hat.


Als "A man is his job" (Titel einer Flügelkreuz-Arbeit aus dem Jahr 1993) reflektierte Buetti immer auch seine Rolle als Künstler. Er tat das - in seinen Auftritten als Marketender oder als Glaubensvertreter zum Beispiel - auf eine ebenso ernsthafte wie selbstironische, humoreske und tragikomische Weise. Schein und Sein, Illusion und Desillusioniertheit, Konstruktion und Dekonstruktion von Gefühlswelten - und somit eine Befragung des Wesens der Suggestion: Hier liegen Buettis hauptsächliche Tätigkeitsfelder. Zunächst in der Reflexion von Oberflächen: der Haut, der verpackten Warenwelt, des medialen Glanzes, des Scheinvergnügens als finalem Wert einer orientierungslos dahintreibenden Gesellschaft.


"Dreams result in more dreams" heissen Buettis Lichtarbeiten - ein Hollywood-liker Werbeslogan, der bei genauerem Hinsehen von einer Perfidie ist, die sich immer höher potenziert: Als Weiterentwicklungen der Pseudo-Vernarbungen perforiert Buetti seine Vorlagen aus der Illustriertenwelt nun mit Licht, dem immer noch verführerischsten und magischsten aller Medien. Die Lichtarbeiten greifen aus in wuchernde Installationen, die - untermalt von Sound-Landschaften - ganze Räume einnehmen. Und in diesem Zwielicht zwischen Schein und Sein tauchen immer wieder Sätze auf, die fragend in diese Kunstwelt hinausleuchten: "Is life really worth living?", oder "Can I get satisfaction?", oder "Did you ever consider suicide?". Die grossen Sinnfragen, die Fragen nach der Authentizität im und vielleicht auch des Scheinhaften, die Fragen nach den wahren Wünschen, die unter dem Überbau der Warenwelt mit all ihren Auswüchsen verlorenzugehen drohen: Diese Sinnfragen präsentiert Buetti - und darin liegt die eigentliche Raffinesse seiner Arbeit - ihrerseits verborgen, ja geradezu getarnt in pseudokitschigem Blendwerk.


Unter der Oberfläche einer konsumistisch sedierten Scheinzufriedenheit blinken Abgründe hervor. Und es ist nicht so, dass Daniele Buetti kein Verständnis für die Konstruktionen hätte, mit der sich unsere Gesellschaft ihre Scheinzufriedenheit zurechtzimmert: Er weiss genau, dass keiner darum herumkommt, sich immer wieder in diesen Provisorien einzurichten und auszuruhen. Buetti bietet uns selber solche Illusionsräume an. Dass sie allerdings auch Falltüren enthalten und das Desillusionierungsmodell kehrseitig gleich mitgeliefert wird, kann man diesem Künstler nicht vorhalten - im Gegenteil. Denn was er uns präsentiert, sind scharfe Analysen, Diagnosen und vielleicht auch Prognosen unserer Gegenwart.


Daniele Buetti ist mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnet worden, unter anderem 1993 auch mit dem Atelierstipendium der Stadt Zürich in New York. Seine Werke sind Bestandteil von namhaften öffentlichen und privaten Kunstsammlungen im In- und Ausland.


Die Ausstellung "Auf allen Knien" im Helmhaus Zürich findet im Rahmen einer dreiteiligen Ausstellungsreihe statt, die in diesem Frühling im Kunstverein Freiburg i.Br. mit der Ausstellung "Naturtrüb" begonnen hat. 2004 steht in der Kunsthalle FRAC PACA in Marseille die dritte Station an. Aus Anlass dieser Ausstellungsreihe hat der Zürcher Kunstkritiker und Kurator Christoph Doswald im Hatje Cantz Verlag ein Buch herausgegeben, das die Qualitäten eines Künstlerbuchs mit einem Rückblick über mehr als fünfzehn Jahre künstlerischer Tätigkeit vereint. Das Buch enthält Texte von Christoph Doswald, Dorothea Strauss und Simon Maurer.


Simon Maurer, Kurator


Ausstellungsdauer: 20.9. - 9.11.2003
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr


Helmhaus Zürich
Limmatquai 31
8001 Zürich
Telefon 01 251 61 77
Fax 01 261 56 72

www.helmhaus.org
www.likeyou.com/danielebuetti


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