© Kunsthalle Basel, 2006

Installationsansicht / Installation view
Kunsthalle Basel, 2006
Courtesy des Künstlers und Frehrking Wiesehöfer,
Köln / Cologne
Foto / Photo: Stefan Meier
© Kunsthalle Basel, 2006


Diango Hernández
Revolution



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Für seine aktuelle Einzelausstellung hat Diango Hernández (*1970, Sancti Spiritus, Kuba) eine neue Installation entwickelt, die sich entlang des ersten Saales im Erdgeschoss der Kunsthalle ausbreitet. Diese ambitionierte Arbeit kombiniert eine Vielzahl von Medien, um eine raffinierte Erzählung zu konstruieren, die eine Reihe von teilweise gewöhnlichen und teilweise tief verschlüsselten Referenzen zu den geschichtlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts, wie auch zu den Entwicklungen in der Kunst, die auf die dramatische und nun in grossem Ausmass mythologisierte Geschichte der Revolution in Kuba folgten, beinhaltet.


Hernández Auseinandersetzung mit der Revolution basiert auf der Analyse ihrer Ikonographie und der Rhetorik ihrer Propaganda, wie sie in der alltäglichen Sprache, in politischen Slogans und in der Poster-Kunst benutzt wird. Die Installation benutzt häusliche Objekte wie Stühle und andere Büro- und Wohnmöbel, Haushaltsgegenstände, gefundene Bilder, Schallplatten, alle durchbohrt von einer eisernen Wasserleitung, welche die im Raum befindlichen Objekte zur gleichen Zeit verbindet und zerstört. Die Leitung beginnt am entlegenen Ende des Raumes, wo es aus zwei, auf einem altmodischen Küchenschrank stehenden, Industrietanks hinausführt, um am Anfang des Raumes ganz trocken in einem Wasserhahn zu enden, der in einer frei im Raum stehenden mit Ölfarbe lackierten Tür steckt. Das System gebogener und gekrümmter Rohre schützt und kontrolliert das Gleichgewicht des Raumes, die Gestaltung hält ihn in einer steifen, zusammenfassenden Umarmung. Die häusliche Gemütlichkeit gibt einer vereinheitlichten Erscheinung staatlicher Infrastruktur nach.


Vor einigen Jahren war Hernández an der Gründung von "Cabinet Ordo Amoris" beteiligt, einer Gruppe von Künstlern und Designern, die eine situationistische Untersuchung in der Politik des Alltagslebens in Kuba durchführten. Die Praxis von "Cabinet Ordo Amoris" beinhaltete das genaue Betrachten verschiedener selbst gemachter Objekte und provisorischer Lösungen, erdacht von den Einwohnern eines Landes, in dem permanenter Mangel an Waren zur Normalität geworden ist. Das Ersetzen der zentralisierten Wasserversorgung durch das Aufstellen von Wassercontainern mit Rohrsystemen in Wohnungen, der Bau von Radioantennen aus Kabeln und Metallteilen - solche Beispiele von nicht etikettiertem Design - beinhalten eine starke politische Botschaft. Sie sprechen von dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit, das in dem alles kontrollierenden Staat nur bescheiden und auf lokaler Ebene ausgedrückt werden kann. Da die Gemeinden in Kuba endlos mit neuen, praktischen Lösungen aufwarten, die ihren Lebensstandard verbessern und ein Minimum an selbst tragenden Existenzen erschaffen, implodiert das bürokratische System des realen Sozialismus und erstarrt in einer Karikatur der Revolution.


Diese Geschichte von unvermeidbarer Selbstauslöschung jeglicher progressiver Vision wird im nächsten Raum erzählt, in dem ein Stuhl mit vielen Kabeln an der Wand befestigt ist. Er lehnt sich nach hinten, die Kabel halten ihn in prekärer Balance und Dachziegel, die sich auf der Sitzfläche stapeln, erzeugen ein notwendiges Gegengewicht.


Der Stuhl spielt eine wichtige Rolle in Bildern von Andrzej Wróblewski, einem polnischen Künstler, der 1945 stark an die Versprechen des Kommunismus glaubte und der 1957 starb, bitter enttäuscht und noch immer auf der Suche nach einer künstlerischen Form, welche die "emotionalen Inhalte der Revolution", so der Titel eines seiner abstrakten Gemälde, übermitteln könnte. Der Stuhl ist ein Werkzeug des Martyriums eines anonymen Individuums, er bedeutet auch Warten, Qual, aber auch eine gewisse Erhöhung und ein möglicher Entzug jeglicher Rechte.


Im ersten Saal beziehen sich die skizzenhaften Malereien und präzisen Zeichnungen von Hernández auf eine Anzahl von Arbeiten von Wróblewski, wie zum Beispiel auf seine berühmte "Shootings"-Serie, die von den Schreckenstaaten des Zweiten Weltkrieges handelt.


Die Serie von 50 fast identischen - und doch nicht gleichen - Zeichnungen auf den herausgerissenen Seiten eines deutschen Rechnungsbuches zeigt einen ärmlich gekleideten Mann, der seine drei Arme zum Gesicht hebt, während er die Augen schliesst, vielleicht, um sich vor dem Feuer zu schützen, das ihn bald verzehren wird, und vor dem leeren Raum, der ihn umgibt. In Hernández' Arbeit werden Gewinn und Verlust, Leiden und Enthusiasmus vom vorteilhaften Standpunkt des post-revolutionären Moments heraus neu überdacht. Die Ausstellung gipfelt am Ende des zweiten Raumes in einer melancholischen Video-Arbeit. Die schwarzen Blockbuchstaben auf einer Werbetafel verkünden "!VICTORIA!", dann verblassen sie einer nach dem anderen in den sauberen weissen Hintergrund: Was am Ende übrig bleibt, ist ein Muster grosser Mauersteine auf der undurchdringlichen Wand.


Die Ausstellung wird unterstützt von: Grisard Management AG, Hilton Basel


Ausstellungsdauer 22.1. - 12.3.2006

Oeffnungszeiten Di/Mi/Fr 11 - 18 Uhr, Do 11 - 20.30 Uhr,
Sa/So 11 - 17 Uhr


Kunsthalle Basel
Steinenberg 7
4051 Basel
Telefon +41 61 206 99 00
Fax + 41 61 206 99 19
Email info@kunsthallebasel.ch

www.kunsthallebasel.ch





Diango Hernández
Revolution



For his current solo exhibition, Diango Hernández (*1970, Sancti Spiritus, Cuba) has conceived a completely new installation extending along the first room of the ground floor of the Kunsthalle. This ambitious work combines a variety of media to construct an elaborate narrative that involves a number of sometimes common and sometimes deeply coded references to the history of the twentieth century, as well as to the developments in art that followed the dramatic and now to a large extent mythologized history of the revolution in Cuba.


Hernández's take on revolution is based on the analysis of its iconography and of the rhetoric of its propaganda, as expressed in everyday language, political slogans and poster art. The installation uses domestic objects such as chairs and other office and home furniture, household objects, found images and vinyl records, all pierced by an iron water pipe, which simultaneously connects and destroys the objects set in the room. The pipe begins at the far end of the room, where it runs from two industrial tanks set atop an old fashioned kitchen cupboard, right to the very entrance of the room, with a water tap, dryly sticking out from an oil-painted door, standing free in the space. The system of bent and crooked pipes protects and controls the balance in the room; the design holds the space in a stiff totalising embrace. The domestic cosiness gives way to a unified appearance of state infrastructure.


Some years ago Hernández was involved in setting up the "Cabinet Ordo Amoris", a group of artists and designers who conducted Situationist research into the politics of everyday life in Cuba. The practice of "Cabinet Ordo Amoris" involved close reading of different home-designed objects and ad hoc solutions invented by the citizens of the country, where permanent shortage of goods has become a norm. Replacing the centralized water supply by water containers with pipe systems in apartments, building radio antennae from wires and scrap metal - such examples of non-labelled design convey a powerful political message, they speak of a need for independence, which can be expressed, within the all-controlling state, only modestly, on the local level. As living communities in Cuba endlessly come up with new practical solutions that improve their standard of living and create a minimum of self-sustainable existence, the bureaucratic system of real socialism implodes and petrifies in caricature of the revolution.


This history of the inevitable self-effacement of any progressive vision is told in the next room, where a chair is attached to the wall with many cables. It leans back, the cables keep it in precarious balance, roof tiles piled up on the seat create a necessary counterweight. The chair plays an important role in the paintings of Andrzej Wróblewski, a Polish artist, who in 1945 was a strong believer in the promise of Communism, and who died in 1957, bitterly disappointed and still trying to find an artistic form that could carry the "emotional contents of the revolution", as he titled one of his abstract paintings. The chair is an instrument of martyrdom for an anonymous individual, of "enchairment". It signifies waiting and torture, a certain elevation and possible deprivation of rights.


In the first room, the large sketchy paintings and small precise drawings by Hernández relate to a number of works by Wróblewski, such as his famous "Shootings" series, dealing with the atrocities of the 2nd World War. The fifty almost identical drawings, on pages torn from an old German balance book, represent a poorly dressed man who raises his three arms to his face, as he closes his eyes, perhaps trying to protect himself from the fire that will soon consume him and the empty space around him. In Hernández's work, gain and loss, suffering and enthusiasm are reconsidered from the vantage point of the post-revolutionary moment. The exhibition culminates in the melancholic video piece at the end of the second room. The black block letters on the billboard announce ¡VICTORIA! and then fade one by one into the clean white background. What is left in the end is a pattern of large bricks on the impenetrable wall.


Exhibition January 22 - March 12, 2006

Opening hours Tues/Wed/Fri 11 am - 6 pm,
Thu 11 am - 8.30 pm, Sat/Sun 11 am - 5 pm