© Dominique Lämmli


Dominique Lämmli


Und diese Gegenwart ist es, in der sich die Zeit entfaltet.

Hundefrau, Dog-Woman, in ihrer abstossenden Gewaltigkeit und mit ihrer erschreckenden Zartheit, trägt die beträchtliche Verantwortung dafür, einen Elefanten Kraft ihres Gewichtes in den Himmel gezwungen zu haben. Eines Tages fischt sie einen kleinen Jungen aus der stinkenden Themse und nennt ihn Jordan, denn das mag genügen. Sie wendet noch ein, dass sie ihn nach einem stehenden Gewässer hätte benennen sollen, dann hätte sie ihn behalten können. Aber sie nannte ihn nach einem Fluss und mit der Gezeitenflut glitt er davon.

Schon im Alter von drei Jahren setzt Jordan seine Segel, und nur wenige Seiten weiter in der Geschichte zeigen sich die Eigenschaften seiner Reisen: Sie sind gleichzeitig; von erdumrundender Länge und doch oftmals nur von der Dauer eines Lidschlags. Sie begründen seine Abwesenheit von diesem Ort – weder der schönste noch der überraschendste -, der weder Anfang noch Ende ist, sondern der Ort des Zurückkehrens – und doch verlässt er ihn nie.

Jordan also. Der erkannt hat, dass jede Reise eine andere Reise hinter ihren Linien verbirgt. Und der nicht die getreuliche Beschreibung und die Wahrheit aufzeichnen will, sondern genau diese andere.

Dominique Lämmli erzählt genauso immer das andere, mögliche, das sich in den Fissuren der Eindeutigkeiten verbirgt, das sich hineinfaltet in ihre Arbeiten. Sie verhindert damit, dass die Geschichten, die sie erzählt, so wie Jordans zwischen den Tatsachen zerquetscht werden.

In ihren Arbeiten findet sich ein Spektrum von zeitlichen Möglichkeiten und Möglichkeiten der Abfolge; es gibt keine vorgegebene Anordnung. Die Abfolge ist diejenige, welche wir beim Betrachten wählen, und die wir jederzeit neu schalten können. Man mag ja vielleicht auch nur einen Ausschnitt mitnehmen, ihn später wieder hervorholen, ihn betrachten und drehen und wenden und sich an ihm vergnügen. Um ihn woanders unterzubringen?

Die Offenheit ihrer Arbeit verunsichert leicht. Zumal in ihnen das andere nicht als das Andere figuriert, welches auf Abstand gehalten und benannt werden kann. Es erscheint vielmehr als Potenzial, als Differenz, zu der es keinen normativen Bezug gibt. Dominique Lämmli entledigt sich dabei aber keineswegs eines Standpunktes. Sie macht es den Betrachtenden nur nicht so einfach, sich dabei ihrer selbst zu vergewissern und sich zu vereindeutigen. (Nietzsche hätte sich vielleicht gefreut: "Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit").

Bezauberung und Scharfsinn bilden die poetische Einheit. Da ist die Annahme eines Lächelns, das nicht ganz greifbar bleibt, aus den Augenwinkeln vermeintlich wahrnehmbar. Es liegt auf der Lauer. Und aus der materiellen Transparenz von Dominique Lämmlis Arbeiten erscheint unversehens ein Auge, das zurückzublicken scheint und in dem es hinterhältig glitzert ("die kleinen Stiche der Spekulationen, die einen zerfressen").

Das Spiel mit Kontingenzen ermöglicht uns Zugänge und bietet Aufmerksamkeit an – aber wenn wir dann die Räume verlassen, in denen Dominique Lämmlis Arbeiten genau das tun – ihre Arbeit - , dann bleibt diese Vielschichtigkeit als Herausforderung, sich die schwierige Position des Nicht-Eindeutigen zu Eigen zu machen und sich damit abzufinden, dass wir immer nur temporär einen Ort haben, an dem wir zu Hause sind.

(Text: Nanna Heidenreich; promoviert in Trier, Stipendiatin im Graduiertenkolleg "Identität und Differenz"; lebt in Berlin. Erschienen in der Edition Solitude, Staatsgalerie Stuttgart, 2000.


Ausstellungsdauer: 11.10. - 16.11.2002
Oeffnungszeiten: Do/Fr 14 - 19 Uhr, Sa 11 - 16 Uhr
und nach telefonischer Verabredung


Kabinett Zürich
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8005 Zürich
Telefon: 01 272 24 41
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