© Dunja Evers

Dunja Evers
Zustände


Farben locken. Dunkle Farben ziehen heran, saugen, saugen auf, hellere Töne strahlen, strömen aus. Kadmiumrot, Kobaltblau, Petrolgrün, Sonnenblumengelb, ein Lila, ein Violett, ein Grüngelb, ein Blaublau, Rotrot. Es sind Farbflächen im Kleinformat von 20 x 30cm bis höchstens 50 x 70cm, in die Schicht um Schicht, nass in nass Eiweisslasurfarbe aufgetragen, eingerieben worden ist, von Hand, ohne die Spur eines erkennbaren Duktus zu hinterlassen. Monochrom sind sie meist; in den ersten Porträtarbeiten eher dunkel oder in gebrochenen Tönen, später aufklarend, strahlender, in der jüngsten Serie gar giftige, künstliche, fluoreszierende Farben. Die Farbflächen sind zu Tafeln auf dünnem Aluminium aufgezogen und werden distanzlos auf der Wand montiert. Sie wirken von weitem, als seien sie in der Wand eingelassen, als seien sie rechteckige Wandmalerei.

Doch die Farbe ist nur ein Bestandteil der Werke und erst noch jener Teil, der zuletzt dazugefügt wird, der das Werk abschliesst. Aber sie ist das erste, was wir wahrnehmen. Der Farbe unterlegt sind filmisch und fotografisch erzeugte Zeichen, die wir von weitem einzig als leichte Unruhe der Farbe, als Unregelmässigkeit in der Farbe wahrnehmen, als Irritation des Auges, die man mit einem Blinzeln wegwischen möchte. Nähert sich der Blick, dann taucht wie aus dem Nebel allmählich ein Schemen, eine Kontur auf, schwächer oder stärker je nach Werk – und schwächer oder stärker, je nach Standpunkt vor dem Werk, als Figuration lesbar. Der Schemen eines Gesichts – von vorne oder im Halbprofil –, einer Landschaft – als Totale, mit Horizont oder als Detail von Furchen und Wellen des Bodens –, einer Architektur, eines Torbogens, einer Pfeilerreihe. Ist die Schwärzung der unterlegten Fotografie tiefer, so wird stärker die Linie, die zeichnerische Note des Bildes betont, ist sie schwächer oder ist die Fotografie farbig, dann wirkt das Bild tektonischer, malerischer.

Die Düsseldorfer Künstlerin Dunja Evers (geb. 1963) fotografiert aus gefundenen oder selbstverfertigen Super-8-Filmen 24-48 Bilder oder 1-2 Sekunden heraus. Mit einer verlängerten Belichtungszeit lässt sie die Bewegung des Filmes, die Abfolge der einzelnen Bilder auf dem Negativ niederschlagen, sich "einbrennen", dokumentiert dadurch weniger eine Eigenschaft, einen unverrückbaren Zustand, als eine Bewegung, eine Abfolge, einen Fluss der Zeichen. Sie löst das Feste auf. Und dieses Bild des Fliessens wird anschliessend in "Farbbäder getaucht".

Dunja Evers Werke zeigen sich in all den Hinsichten als faszinierende und merkwürdige Zwitter, als Hybride. Sie sind sowohl Malerei als auch Fotografie, sowohl Figuration als auch abstrakte Farbfeldmalerei, Mischwesen eben. Ein bildnerisches und inhaltliches Dazwischen, ein Schweben, ein Feld des Ahnens, Erahnens, des Suchens und nicht des Wissens.

Das gleiche Vorgehen bewirkt recht Unterschiedliches bei Dunja Evers "Porträts" und bei ihren "Landschaften". Doch in allen Werken verschmelzen Figur und Grund, fotografisches Zeichen und Malerei. In allen Werken sind Details so weitgehend eliminiert, weggewischt, dass nur wesentliche Formen, Strukturen zu sehen sind, die Struktur der vergehenden und der eingeschriebenen Zeit in den "Porträts" (die wiedergegebenen Menschen wirken meist älter) und die Struktur des gedehnten, geöffneten Raumes in den Landschaften.

Die Bilder wirken nicht durchs Ausschneiden aus der Wirklichkeit, wie das Fotografie allgemein tut, nicht durch Subtraktion, sondern durch Addition, Konstruktion, durch ein Totalisieren des Bildes auf das gewählte Format hin. Das Verweisen ins Wirkliche ist stark zurückgenommen, zugunsten ikonischer, symbolischer Bildqualitäten, die ein Bedeutungsfeld zwischen Ahnen und Wissen, Bewusstem und Unbewusstem, Fokussieren und Ausschweifen, real und fiktiv, Fläche und Zeichnung abstecken – ein lyrisches Zwischenreich, eine Welt im Fluss erzeugen: Ikonen des Unterwegsseins, des Grenzgängerischen.

(Text: Urs Stahel)

Die Ausstellung entstand gemeinsam mit dem Kunstmuseum Bonn. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Ausstellungsdauer: 9.11.2001 - 6.1.2002
Oeffnungszeiten: Di-Fr 12-18 Uhr, Mi 12-19.30 Uhr,
Sa/So 11-17 Uhr

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