© Eran Schaerf

Distance equals loss plus time, 2005
split-screen projektion, 13'24", Farbe, stumm
links: Videoaufnahme eines historischen Fotos des Archivs
rechts: von Schaerf gedrehter Film in eben dieser Bibliothek: zwei Bibliothekarinnen räumen Bücher ein, zwei Personen blättern in Karten, wobei die Distanz zwischen ihnen trotz ihrer Bewegung immer identisch bleibt


Eran Schaerf
Distance equals loss plus time


Die Illusion der Gleichzeitigkeit von Ereignis, Berichterstattung und Empfang, wie sie z.B. durch Live-Reportagen suggeriert wird, ist das Thema von Eran Schaerfs Video-Arbeit "Distance equals loss plus time".


Ausgangspunkt ist John Cheevers Kurzgeschichte "Das grauenvolle Radio", worin das öffentliche Medium Radio durch einen Emergenzeffekt zu einem Übertragungsmedium des Privatlebens der Nachbarn wird. Als die Protagonistin Hörzeugin einer Gewaltszene wird, gerät sie in Konflikt über ihre Eingriffsmöglichkeit. Schaerf führt diese Geschichte fort: in "Distance equals loss plus time" probt die Protagonistin ihre Konfliktgeschichte für eine Radiosendung, die vergangene Ereignisse wiederaufführt, um sie live senden zu können. Doch was dabei herauskommt, ist eine Geschichte der Verzögerung, jener Vorgang, der Einstein dazu veranlasste, die Gleichzeitigkeit neu zu denken. Schaerf interessiert die Verzögerung als eine Bedingung der Übertragung, der das Prinzip Live widerspricht und den Verlust an Eingriffsmöglichkeit vorprogrammiert.


Wie in früheren Arbeiten fiktionalisiert Schaerf auch hier einen Ort (Schriftenmagazin der Bibliothek der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften), indem er ihn als Drehort für eine Szene gebraucht, die sich dort hätte abspielen können. Der projizierte Raum setzt sich aus zwei Bildern zusammen: einem historischen Foto des Magazins und einer gegenwärtigen Videoaufnahme, in der zwei scheinbar voneinander getrennte Handlungen zu sehen sind: zwei Bibliothekarinnen, die Bücher einräumen, und zwei weitere Personen, die Bibliothekskarten blättern, vorwärts und rückwärts laufen, anscheinend hauptsächlich deshalb, um die Distanz zwischen ihnen aufrecht zu erhalten. Die Untertitel wiederholen das Prinzip des zweigeteilten und wieder zusammengesetzten Raums. Deskriptiv bzw. in direkter Rede formulieren diese Satzteile - darunter Zitate von John Cheever, Bertolt Brecht und Peter Weiss - voneinander abweichende Positionen zu Zeugenschaft, Berichterstattung und (Re-)Aktion. Manche Sätze haben mehrere Anfänge, andere mehrere Enden.


Zwischen Perspektiven, Zeiten und Satzteile entsteht ein Raum aus Distanzen und ein Subjekt, das den Verlust an Eingriffsmöglichkeiten präsent macht um den Mythos der einzig richtige Standpunkt in Frage zu stellen. Von der Logik der Live-Übertragung eingenommen, stellt sich die Protagonistin beinah die Frage, ob der Eingriff in die Gewaltszene noch einen Sinn macht, wenn es nicht mehr live übertragen werden kann.


Ausstellungsdauer 28.2. - 11.3.2006

Oeffnungszeiten Di-Fr 14 - 18 Uhr, Sa 11 - 16 Uhr


Galerie Elisabeth Kaufmann
Müllerstrasse 57
8004 Zürich
Telefon/Fax +41 (0)43 322 01 15
Email info@elisabethkaufmann.com

www.elisabethkaufmann.com


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