Friends Electric!
Jen Liu und Andrea Thal



Musik und Utopie sind die zentralen Themen, die die Künstlerinnen Jen Liu und Andrea Thal in der Ausstellung "Friends Electric!" behandeln. Aber verhalten sich denn "Musik" und "Utopie" nicht pleonastisch zueinander, transportiert doch Musik immer auch utopisches Gedankengut? Können die Strophen chronologisch spezifische Ereignisse ansprechen, aber in der wiederholten Interpretation sowohl zeitlos sein wie neu besetzt werden? Sind Klänge und Töne neben der realen Aufführung nicht auch immer akustische Parallelwelt...? Der Deutsche Dichter Jean Paul hat einmal über die Musik geschrieben, sie sei die "Kraft des Heimwehs. Nicht etwa ein Heimweh nach einem alten, verlassenen Land, sondern nach einem noch unbetretenen: nach Zukunft".


Jen Liu (*1976, lebt in Amsterdam und Los Angeles) und Andrea Thal (*1975, lebt in Zürich) gehen den Themenbogen Musik und Utopie beide auf formal wie inhaltlich unterschiedliche Art an, wobei sich auch Gemeinsamkeiten identifizieren lassen. So sind Liu wie Thal beide an mystifizierten Persönlichkeiten der Popkultur der 1970-90er Jahre interessiert. Bei beiden ist das Überprüfen der Nachhaltigkeit damaliger Aussagen in der Gegenwart von zentraler Bedeutung. Dabei geht es weniger um das Nachweisen von Zitaten bei anderen und sich selbst, sondern um die Kombination formaler und konzeptueller Strategien der Gegenwart mit eklektisch gewählten Elementen der Popikonen.


Es ist bemerkenswert, dass sowohl Thal wie Liu nicht zwingend die heute noch bekanntesten Protagonisten wählen, sondern sich mit Figuren auseinandersetzen, die Grosses für die Musikkultur geleistet haben und dennoch in Vergessenheit geraten sind, weil sie den Bereich der Subkultur nie wirklich verlassen haben. So sind im Fall von Liu beispielsweise der Vater des Synthipops Gary Numan und für Thal die grosse Dame des Punks Pyro Styrene zentrale Persönlichkeiten in ihren Arbeiten. Die Künstlerinnen betreiben Archäologie für unsere Ohren, und beleben gleichzeitig die mythifizierten, hundertfach replizierten Klänge bewusst in unserer Gegenwart, mit ihrem oder in Bezug auf ihr typisches Klang-/Bildvokabular. Musik erzeugt Bilder - Bilder von Utopien, der Erinnerung, und auch darum befassen sich nicht nur Musikinterpreten, sondern auch bildende Künstler mit ihr.


Basis des Projektes ist Andrea Thals sich ständig erweiternde Sammlung von Vinyl-Alben und -Singles von Frauen, die mit traditionellen Klischees von Weiblichkeit brechen. Thal wählt Stücke aus ihrer Sammlung aus und übergibt diese heute aktiven, jungen Bands mit dem Auftrag, eine Cover-Version zu entwickeln. Diese Bands sind wiederum Frauenbands oder gemischte Bands. Dabei soll die Auseinandersetzung mit einem feministischen und/oder weiblichen Erbe in der Musikgeschichte angestrebt werden. Die Cover-Version entsteht in Zusammenarbeit mit der Künstlerin, denn die Band soll sich auch mit dem Kontext der Originalaufnahme auseinandersetzen, den Thal am besten kennt, und versuchen, auf diesen zu reagieren.


Anlässlich der Vernissage wird das Stück das erste Mal live in Zürich re-interpretiert, um die Installation für einige Minuten wieder "aufleben" zu lassen. Der Vorgang wird zudem live auf Vinyl-Dubplates in limitierter Auflage gepresst und wird damit selbst ein Artefakt und Bestand der Installation. Persönlich interessiert es Andrea Thal dafür, einerseits die Aktivierung eines Archivs (ihrer Plattensammlung) und die Auseinandersetzung mit der Rolle von Frauen in der Rock-, Punk- etc. Geschichte voran zu treiben, und andererseits möchte sie mit der Arbeit einen Eingriff vornehmen, der über den Ausstellungsraum hinaus in existierende Strukturen läuft.


Jen Liu ist daran interessiert, eine Ästhetik zu finden, die vertraut und nostalgisch zugleich ist. Sie arbeitet mit Quellen aus Druckerzeugnissen der letzten vierzig Jahre: Formal ist ihr Fokus bei den Illustrationen dort zu verorten, wo ein durch seine Familiarität im Prinzip gut verdaubares Bild uns plötzlich furchterregend erscheint, sei es wegen Sinnesentleerung, -überladung, oder einem falschen Inhalt. Sie führt zahlreiche Modelle aus der Popkultur zusammen - von narrativer, musikalischer und visueller Art, um eine Welt zu kreieren, die ursprünglich utopisch sein sollte, sich schliesslich aber als Alptraum erweist.


So ist Liu z.B. beim "Blob"-Projekt (2004, in Anlehnung an Greg Lynns "Blobitechture", 1995) von einer grundsätzlich einfachen Idee ausgegangen - "universal peace". Sie hat dabei versucht sich vorzustellen, wie sich universeller Frieden realisieren lassen würde. Durch die Betrachtung der Dynamiken in unserem politischen System und in verschiedenen Bereichen der Kulturproduktion hat sie sich Gedanken über "reale" Gründe eines möglichen Scheiterns gemacht. In ihren Zeichnungen, Skulpturen und Videoarbeiten ahmt Liu eine solche Schlussfolgerung nach - eine Welt, die in Ordnung zu sein scheint, aber durch deren Risse einer unschwer wahrhaftig das Gegenteil erkennen kann.


Kuratiert von Alexandra Blättler und Catherine Hug.


Wir danken für die grosszügige Unterstützung der Stiftung Erna und Curt Burgauer, Zürich und dem Migros Kulturprozent.


Ausstellungsdauer: 22.1. - 19.2.2005
Oeffnungszeiten: Do-Sa 14 - 18 Uhr


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