Georg Vogt: Frau Sterki, Aedermannsdorf, 1940

Georg Vogt - Sommer 1940. Leute im Thal
Fotografien

Unmittelbar nach dem Beginn des Westfeldzugs der Deutschen am 10. Mai 1940 empfahl das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement den Kantonen, allen Schweizer Bürgern ab dem 15. Altersjahr eine Identitätskarte mit einer "deutlichen Photographie neueren Datums" auszustellen. Die Einführung der Identitätskarte wurde den Kantonen überlassen; nur in den Kantonen Waadt und Solothurn war sie obligatorisch. Im solothurnischen Bezirk Thal beauftragten die Behörden der drei Dörfer Herbetswil, Matzendorf und Aedermannsdorf den gelernten Maschinenschlosser Georg Vogt (1914-1999) mit der Herstellung der Passfotos; er war dienstuntauglich und gehörte zu den ersten der Region, die einen Fotoapparat besassen. Im Sommer des Jahres 1940 machte Georg Vogt mit seiner Kleinbildkamera etwa 700 Aufnahmen von rund 450 Personen im Thal: gleichsam ein Porträt einer ganzen Talschaft, das in Form von Negativstreifen auf dem Estrich des Fotografen überlebt hat und dort kürzlich - und zufällig - wieder entdeckt wurde.

Die Passbilder wurden damals von einem Fotografen in Solothurn als Ausschnitte im Format 4x3 cm aus den Kleinbildnegativen vergrössert. Es interessierte nur das Porträt der Leute, die Umgebung, die immer auch mit auf den Aufnahme sichtbar war, wurde ausgeblendet. Die Innenaufnahmen, die von den Gemeinden organisiert wurden und die in den zentral gelegenen Schulhäusern entstanden, entsprechen am ehesten der herkömmlichen Vorstellung von Passbildern. Doch die meisten Aufnahmen machte Vogt draussen, vor den Wohnhäusern, bei einem Gartenzaun, auf der Wiese oder sogar auf der Landstrasse dort, wo er gerade den Leuten begegnete. Dabei entstanden auch Gruppenbilder: marschierende Jungschützen, Frauen bei der Wäsche, Badende, Bauern beim Heuet.

Die Neuabzüge dieser Passaufnahmen, die in der Ausstellung präsentiert werden, zeigen nun aber wieder das ursprüngliche ganze Bild. Das heisst, die Porträtierten sind in ihrer eigenen häuslichen Umgebung oder vor der landschaftlichen Kulisse des Thals zu sehen.

Die Fotografien zeigen die Personen meist von vorn, als Ganzfigur, in bester Kleidung und in würdevoller Pose. Durch die gute Kleidung und die Pose wird der soziale Status kaschiert, die feinen Unterschiede zeigen sich in den Gesten, der Haltung der Hände, im Gesichtsausdruck. Die Würde und Strenge der Haltung scheint die damalige bedrohliche Lage zu widerspiegeln, doch gilt es diesen Eindruck zu relativieren. Eine Porträtserie vor dem Ausbruch des Kriegs hätte wohl zu ähnlichen Aufnahmen geführt. Trotzdem ermöglichen Georg Vogts unprätentiöse Fotografien, aufgenommen innerhalb weniger Monate im Sommer 1940, einen unmittelbaren Blick auf eine Iängst vergangenen Zeit.

Einige Leute aus dem Thal wurden damals zum ersten Mal fotografiert, und nicht selten blieb die Fotografie für die Identitätskarte das einzige Bild einer Person. Deshalb wurden diese Fotos nach dem Tod gelegentlich auch für die sogenannten "Totenhelgeli" verwendet.

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Solothurn. Zur Ausstellung ist im Limmat Verlag, Zürich, ein Buch erschienen: Sommer 1940. Leute im Thal. Fotografien von Georg Vogt, herausgegeben von Albert Vogt und Martin Gasser.


Ausstellungsdauer: 16.3. - 19.5.2001
Oeffnungszeiten: Di - Fr 12 - 18.30 Uhr, Sa 10 - 16 Uhr


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Mit regelmässigen Ausstellungen im ZWISCHENraum bei SCALO gibt die Schweizerische Stiftung für Photographie Einblick in ihre Bestände und präsentiert unbekannte, vergessene oder aktuelle Trouvaillen. Das Projekt wird unterstützt von der Volkart Stiftung und der Gönnervereinigung der Schweizerischen Stiftung für die Photographie.