© Strangelove

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Habiller le Présent / Dressing the Contemporary

Joel Andrianomearisoa
, Jean Christophe Lanquetin, Strangelove, Steven Cohen


Kleidung als Botschaft - Eine Ausstellung im Rahmen des Festivals "Afrique Noire"


Ob radikaler Haarschnitt, Mini-Jupe oder durchlöcherte Jeans und egal ob es darum geht, das Anderssein zu unterstreichen oder eben die Zugehörigkeit zu markieren: Kleidung, Schmuck und Make-up sind die wichtigsten Vehikel, die eigene Identität gegen aussen zu zeigen.


Noch bis vor kurzem wurde der Dresscode, auch in Europa, durch Herkunft, Religion und Tradition bestimmt. Aber während den sozialen Umbrüchen des letzten Jahrhunderts brach die Revolution wohl als erste vor dem Spiegel aus und wurden die Regeln zur Zielscheibe von selbstbewussten Frauen, randalierenden Jugendlichen und Aussteigern im allgemeinen. Das Modegeschäft ging geschickt auf den sich abzeichnenden Wandel ein und die soziale Bedeutung von Styles und Trends wurde immer diffuser. Die Entwicklung der Billig-Modehäuser wie z.B. H&M erlauben es heute sogar multiple Persönlichkeiten zu pflegen: für jede Laune ein eigenes Regal und alle Wochen einen Update.


Auch auf dem afrikanischen Kontinent stellt sich die Frage der Identitätsbildung. Sie wird von einer sehr komplexen Entwicklung geprägt. Nicht nur das Spannungsfeld zwischen Tradition und Modernisierung bietet Reibungsfläche - es ist in erster Linie die Armut, mangelnde Bildung, Gewalt und Migration, welche den Alltag der Menschen, vor allem in den schnell wachsenden Metropolen, bestimmt. Welche Rolle spielen das Aussehen und die Trends in einem Kontext, wo es zuerst einmal ums blanke Überleben geht? Im Rahmen des Festivals "Afrique Noire" werden im PROGR Künstler und Modemacher vorgestellt, die sich diesen Fragen aus sehr unterschiedlichen Perspektiven stellen.


© Steven Cohen

© Steven Cohen


Der südafrikanische Performer Steven Cohen ist weiss, homosexuell und Jude. Ein Dezenium nach der Abschaffung der Apartheid ist diese Konstellation bestimmt kein Privileg. Auf radikale Art greift Cohen seine Biographie auf um die Gesellschaft, zu der er auch gehört, zu kommentieren und über sich selbst nachdenken zu lassen. Unangekündigt erscheint Cohen, geschminkt und kostümiert, an Tatorten der sozialen Konfrontation: als bellender Hund auf dem Trainingsplatz für Wachhunde oder als leuchtende Drag-queen in einem Slum im Zentrum von Johannesburg provoziert er scharfe sozialpolitische Auseinandersetzungen.


Ganz anders der junge Modemacher und Kostümdesigner Joel Andrianomearisoa aus Madagaskar, der in Paris lebt und arbeitet. Er spielt mit der Poesie seiner Sehnsucht - einem unsichtbaren Faden, der die zwei Welten, die sein Leben bestimmen verbindet. In der Ausstellung ist ein Liebesfilm zu sehen, den er in Madagaskar drehte, sowie Fotoarbeiten. Andrianomearisoa zeichnet auch verantwortlich für die Kostüme der Tänzerin Kettly Noël, deren Tanzstück "Errances" beim Festival "Afrique Noire" zu sehen ist.


Von Fäden und Frauenkörpern erzählen die Modedesigner Carlo Gibson & Ziemek Pater, Gründer des Labels "Strangelove". Wie Steven Cohen sind sie in Johannesburg zu Hause. Ihre prêt a porter Ligne "Avant-Hard" trägt Spuren dieser Stadt, deren extrem urbanen Realität man sich unmöglich entziehen kann.


In Zusammenarbeit mit der Tänzerin Nelisiwe Xaba entwickelten sie ein spektakuläres Kostüm für das Stück "They look at me and that's all they think" über Saartjie Baartman, eine schwarze Südafrikanerin, die 1910 für wissenschaftlichen Zwecke nach London reiste und schlussendlich öffentlich zur Schau gestellt wurde. Weiter stellen Sie das Projekt "Selvage" vor, wo für einmal die vermeintlich nutzlosen Stoffresten im Zentrum stehen. Strangelove sieht in den verdickten Stoffrändern eine Metapher für die Position der Frau in Afrika: sie hält das Gewebe zusammen, aber wird zum Restmaterial, sobald es sie nicht mehr braucht.


Der Scenograph Jean Christophe Lanquetin ist fasziniert von Situationen, bei denen sich öffentliche Räume in Bühnen verwandeln. Er dokumentierte, mit Hilfe von anderen Künstlern, die selbstbewussten "Sapeurs" in Kinshasa. La Sape (Société des Ambianceurs et Personnes Elégantes) ist ein Phänomen, das erstmals Ende der 60er Jahre unter Jugendlichen in dieser Stadt auftaucht und später, unter Anführung des Musikers Papa Wemba, unter kongolesischen Migranten in Paris und Brüssel populär wird: Man trifft sich auf der Strasse in den teuersten Markenklamotten von Versace, Issey Miyake oder Hugo Boss für einen Show Off, der mit strikten Ritualen verbunden ist. Und so entsteht aus dem Dresscode eine differenzierte Sprache mit vielen Referenzen und sozialen Statements.


Kuratorin: Katrien Reist


Ausstellungsdauer 4.11. - 2.12.2006

Oeffnungszeiten Di 14 - 20 Uhr, Mi-Sa 14 - 17 Uhr


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