© Hugo Suter

Malerei (Stilleben), 2004
Geätztes Glas, Holz, Kunststoff, 51 x 40 x 21 cm
Foto: Peter Fischer, Birrwil


Hugo Suter


Vielleicht müsste auf jede Interpunktion verzichtet werden. Besser wohl: man müsste die Interpunktion weit gehend aus dem Regelwerk der Sprachgesetzt und -konventionen entlassen und sie so einsetzen, dass ein Leser, auch ein Zuhörer, Verbindungen und Trennungen selbst herzustellen und sich einen eigenen Weg zwischen den Wörtern und Begriffen durch den Text zu suchen hätte; und die Worte und Begriffe wären so einzusetzen, dass sich der Leser zwischen deren wortwörtlicher, deren vielleicht doppelter oder deren metaphorischer Bedeutung zu entscheiden hätte. Schön wäre, wenn darüber hinaus die phonetischen Qualitäten der Wörter so genutzt würden, dass ein Text entstünde, der nicht nur unter hermeneutischen Gesichtspunkten der erklärten Absicht, ans Werk heran und ins bildnerische Denken des Künstlers einzuführen, gerecht würde, dessen Lektüre vielmehr auch unter laut- und sprachmalerischen Aspekten ein sinnlich-ästhetisches Vergnügen bereiten würde. Es versteht sich von selbst, dass die Ansprüche an eine typographische Umsetzung hoch wären: Sie müsste versuchen, der spezifischen Konstellation und dem komplexen Geflecht dieser Anforderung mit der Schaffung eines adäquaten Textbildes gerecht zu werden.


Wichtig wäre die Einführung der Namen von zahlreichen Künstlern, Philosophen, Kunst-, vor allem aber auch Naturwissenschaftlern und Schriftstellern verschiedenster inhaltlicher, zeitlicher und geographischer Provenienz: Jene Namen, die hinter den Theorien und Texten, aber auch hinter den bildnerischen Werken stehen, die Hugo Suters Haltung und seine Begegnung mit den verschiedensten Phänomenen geprägt haben und mit deren Nennung auf die sich vielfach überlapppenden Felder der Beschäftigung hingewiesen werden soll, aus denen sich dieser Werkkorpus nähert. Natürlich sollte aus all diesem aber kein hermetischer Essay werden, vielmehr sollte daraus - aus dem Versuch über einen Text zu Hugo Suter heranzuführen - eine Art analoger Text resultieren.


Ein solcher sollte zwar autonom neben den Bildwerken des Künstlers stehen können, seine Autonomie aber dürfte dennoch insofern keine absolute sein, als seine Lektüre, auch wenn sie sich der Linearität widersetzt, den bereiten Leser mit einer offenen Präzision und einer verästelt verschlungenen Zielgerichtetheit zu dem Gebiet begleitet und hinführt, das man einerseits mit (wenn es denn nicht zu einschränkend verstanden würde) dem Begriff der Methode, das man andererseits (vielleicht etwas pathetisch) mit jenem des Kosmos von Hugo Suter umreissen könnte. Dass die beiden Begriffe und das, was sie je beinhalten, auf vielfältige Art zusammengehören und sich interferierend überlappen, dass eine unentwirrbare Interdependenz zwischen ihnen und das Eine im Andern also ebensowie das Andere im Einen wirkt, dürfte, auch wenn damit nichts einfacher wird, nach all dem Gesagten klar geworden sein.


Vor einem Monat besuchten wir Hugo Suter und ich, in Zürich die Ausstellung des japanischen Malers Hasegawa Tôhaku (1539-1610). Beeindruckt standen auch wir vor den grossen Faltschirmen und wir bewunderten die Fähigkeit, die unendlich reduzierte selbstverständliche Leichtigkeit des Zen-Meisters, in einer gleichsam hingehauchten Tuschmalerei den Kranichen, dem Bambus, dem Kiefernwald Gestalt zu verleihen.


Wir standen vor diesen Vitrinen, bückten uns, um näher zu sehen: unsere Schatten fielen auf die Bildfläche und sie schienen schwerer als die Bambusstämme. Wir schauten uns an und wir gingen auf Distanz. Und ich erinnerte mich an Hugo Suters Foto-Arbeit: "Mit schneller Handbewegung weggewischter Staub auf einem Glas, das die Reproduktion von Böcklins "Pan im Schilf" überdeckt", und ich realisierte: Aus solchen visuellen Ereignissen, aus solch flüchtigen Bildern wie unserem Schattenfall auf Tôhaku können bei Hugo Suter Bilder entstehen. Draussen, im Park vor dem Museum, sprachen wir über die scheinbare und über die reale Flüchtigkeit dieser Malerie, über die Suggesionskraft der Malerei im allgemeinen und über die reale Fähigkeit Reales und nur Eingebildetes als gleich real erscheinen zu lassen, und über die Realität der Malerei selbst. Und wir sprachen über die japanische Ästhetik und über Tanizaki Jun'ichiros "Lob des Schattens" und natürlich auch über die Realität des Schattens selbst und über seine Bindung an die faktischen, berührbaren Realien.


So gab das eine das andere, und über Gombrichs Publikation über die Darstellung der Schatten in der abendländischen Kunst kamen wir natürlich auch auf die Bedeutung der Schatten in den Selbstbildnissen Rembrandts zu sprechen, welchen eben jetzt in der Londoner National Gallery eine Ausstellung gewidmet ist: Und wir sprachen darüber, wie nichts über die Bedeutung dieser Schatten und dass damit auch nur wenig über solche Bilder ausgesagt werden kann, wenn sich die Forschung, wie es die aktuelle Rembrandt-Forschung tut, auf rein historische Faktenarbeit, gar Faktenhuberei beschränkt und wie sie sich mit dem Verzicht auf jedes ästheische Urteil auch jedes subjektive Erlebnis vor und mit diesen grossartigen Gemälden versagt. Und damit waren wir wieder bei der Frage nach der Realität des Bildes.


Und wir erinnerten uns an Peter Webers Aussage, dass die Phantasie der Schlüssel zur Realität sei, und ich erzählte ihm, dass ich eben bei Jan Kjaerstad gelesen hätte, dass die Phantasie ein Weg zum Wissen sei, ein Weg zu einem Wissen gar, das auf anderen Wegen nicht zu erreichen sei. Und wir waren uns einig, dass es in der Kunst nicht um eindeutige antworten gehen könnte oder dürfte, dass es vielmehr um einen Appell an die Imagination gehen müsste. Und Hugo Suter erzählte mir von seiner aktuellen Arbeit über die Malerei und über sein Objekt mit dem Selbstbildnis Rembrandts:wie auf der Vorderseite, auf der Fläche des geätzten Mattglases, das Bild Rembrandts vor der Staffelei erscheine, während die Rückseite den Blick auf die rude Faktizität einer Objektmontage freigebe: Tatsächliche Objekte hinten erscheinen vorne als Malerei. Und wir sprachen, weit spekulierend, über die Rückseite der Malerei generell, über die Rückseite und den Grund der Malerei, der Kunst, die erscheinen lassen kann, was es inder Faktizität nicht gibt. Und wir sprachen darüber, dass John Ruskin schon Mitte des 19. Jahrhunderts die moderne Malerei als Dienst an den Wolken bezeichnet hatte und so verstiegen wir uns in unserem Gespräch bis hin zum Thema der Rückseite der Wolken.


(Die Zahl der zusammenwirkenden Faktoren beim Entstehen eines Werkes sei unbestimmbar, sagt Gottfried Semper in seiner 1856 verfassten Schrift "Über die formelle Gesetzmässigkeit des Schmuckes und dessen Bedeutung als Kunstsymbol", welche er übrigens mit dem Hinweis einleitete, dass die Hellenen dasselbe Wort Kosmos zur Bezeichnung des Zierates, womit wir uns und die Gegenstände unserer Neigung schmücken, und der höchsten Naturgesetzlichkeit und Weltordnung hatten).


Beat Wismer


Ausstellungsdauer: 16.10. - 14.11.2004
Öffnungszeiten: Mi 14 - 20 Uhr, Do/Fr 14 - 18.30 Uhr,
Sa/So 11 - 16 Uhr


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