Invasionswetterlage

Stefan Burger
, Claudia Caprez, Heike Döscher, Ina Ettlinger, Heiko Hoffmann, Erika Krause, Stefan Meier, Cora Piantoni, Claudia Wieser


In Zürich bilden die Deutschen mit über 15'000 Personen die zur Zeit grösste Ausländergruppe. Diese Tatsache hat eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern zum Anlass genommen, den deutsch-schweizerischen Befindlichkeiten in einem Ausstellungsprojekt im Kunsthof Zürich nachzugehen. "Invasionswetterlage" ist ein von der Künstlerin Cora Piantoni initiiertes Austauschprojekt mit Absolventen und Absolventinnen der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich und der Kunstakademie München. Die Ausstellung setzt sich mit dem Thema "Deutsche in der Schweiz" auseinander, mit den Ähnlichkeiten und den Unterschieden zwischen den benachbarten Ländern.


Der Kunsthof Zürich wird vielfältig bespielt: er wird für einen Monat Beobachtungsstation und Assimilierungshilfe für wandernde Zugvögel oder Anlaufstelle für einsame Deutsche in der Schweiz, die feststellen müssen, dass sie nicht der oder die einzige Deutsche im Ausland sind. Insgesamt beschäftigen sich die an der Ausstellung beteiligten Schweizer aus phänomenologischer Sicht mit dem Thema, wohingegen die in der Schweiz wohnenden Deutschen ihre Arbeiten aus den ihren Alltag prägenden Gegebenheiten und Befindlichkeiten heraus entwickeln. Die beteiligten Künstlerinnen aus München nehmen typisch deutsche Zeichen, Muster und Materialien als Ausgangspunkt für ihre Auseinandersetzung; ihre Arbeiten werden einem Kulturimport gleich in die Ausstellung injiziert.


"Invasionswetterlage" ist die Fortsetzung einer ebenfalls von Cora Piantoni kuratierten Ausstellung mit dem Titel "Höhenunterschied 27 cm", die im Sommer 2004 im Münchener Hauptbahnhof realisiert wurde. Der Ausstellungstitel bezieht sich auf die unterschiedlichen Referenzhorizonte, die in Deutschland und in der Schweiz als Grundlage für Höhenangaben dienen: In Deutschland beruft man sich auf die Meereshöhe der Nordsee, in der Schweiz auf jene des Mittelmeers. Diese 27 cm Niveauunterschied muten wie eine ironische Versinnbildlichung der verwaltungstechnischen, politischen und kulturellen Unterschiede zwischen der "neutralen" Schweiz und dem benachbarten EU- und NATO-Land Deutschland an.


Der Kunsthof Zürich, ursprünglich eine Baulücke, ist der Austragungsort für das Folgeprojekt in Zürich. Die "Lücke" dient als Metapher für die im Rahmen der Ausstellung geführte Auseinandersetzung des "Dazwischen" und der als mangelhaft empfundenen Auseinandersetzung eines aktuellen Phänomens innerhalb der Kultur. So wurden in der Schweizer Presse in den letzten Wochen gleich mehrere Artikel zum Thema Deutsche in der Schweiz veröffentlicht.


Stefan Burger (*1977 in Müllheim, lebt in Zürich) und Heiko Hoffmann (*1972 in Altena, lebt in Zürich) untersuchen deutsch-schweizerische Kommunikationsphänomene aus "deutscher Sicht". Mit dem von ihnen injizierten Projekt "Radio Siegerland" verstehen sie sich als Veranstalter kultureller Anlässe für schweiz-geschädigte Deutsche. In einem für den Kunsthof angefertigten Architekturhybrid aus Veranstaltungszentrum und Radiostudio finden Anlässe statt, die unter dem Überbegriff eines deutschen Heimatvereins funktionieren. Liederabend, Sprachunterricht oder Skatturnier laden dazu ein, als Besucher teilzunehmen und somit Bestandteil des Projekts zu sein. Mit einfachen Begebenheiten provozieren und fördern sie den Dialog und direkten Austausch aller Anwesenden, was - wie die Künstler meinen - unausweichlich zu einem optimalen Verständnis und Zusammenleben von Deutschen und SchweizerInnen führen wird.


Claudia Caprez (*1978 in Thalwil, lebt in Zürich) geht in ihrer Arbeit Migrationsbewegungen aus ornithologischer Sicht nach. Anhand bestimmter Vogelarten, die sich zeitweise in Deutschland und zeitweise in der Schweiz aufhalten, geht die Künstlerin Fragen der Populationsentwicklung, Ernährung oder Raumnutzung nach. Sie richtet im Kunsthof eine Brut- und Raststätte ein, die ihr als Beobachtungsstation dient und zugleich Assimilierungsversuche unterstützt und mit der sie allfälligen Energiedefiziten während des Langstreckenfluges entgegenwirken möchte.


Erika Krause (*1969 in Starnberg, lebt in München) beschäftigt sich ebenfalls mit dem Luftraum und dem Thema der Grenze. Die Grenze zwischen zwei Staaten umfasst laut Definition nicht nur eine Fläche, sondern reicht auch soweit in den Luftraum und das Erdinnere, wohin der Staat seine Hoheitsgewalt ausübt oder ausüben soll. Von dieser Definition ausgehend beschäftigt sie sich in assoziativen Verweisen mit den nicht sichtbaren Grenzen in der Vertikalen und bezieht sich auf den Luftraum als ein Ausserhalb des konkreten Ortes, als einen Ort der Unbegrenztheit, des Fliegens und des Träumens.


Stefan Meier (*1975 in Baden, lebt in Zürich) geht in einem grossformatigen Panorama an der Aussenwand des Kunsthofes verschiedenen Diffusions- und Transmissionsprozessen zwischen den Nachbarländern Deutschland und Schweiz nach. Beispiele dafür sind das schweizerische Kernkraftwerk Leibstatt, das seinen Schatten nach Deutschland schickt, der mit chemischen Zusätzen aus Schweizer Industrie angereichte Rhein nach der Grenze oder die deutsche Supermarktkette "Aldi" mit neuen Standorten in der Schweiz.


Ina Ettlingers (*1969 in München, lebt in München) Ausgangsmaterial sind gefundene Kleidungstücke, aus denen sie den Mustern und Materialstrukturen entsprechende plastische Formen erarbeitet. Über die den Kunsthof von der Strasse trennende Mauer wachsen an Pflanzen erinnernde Objekte, die ähnlich dem Schatten oder dem Rheinwasser die Mauer als Grenze überwinden und durchbrechen.


Cora Piantoni (*1975 in München, lebt in Zürich) beschäftigt sich mit den deutsch-schweizerischen Beziehungen in ihrer Familiengeschichte. Aus München kam ihre Urgrossmutter 1914 als Gastarbeiterin nach Zürich. Als sie von ihrem Arbeitgeber ein Kind erwartete, kehrte sie nach Deutschland zurück. In Form eines Plakats sucht Piantoni nach ihren möglichen Verwandten. Fragen der Erinnerung, der Wiedergabe einer Geschichte und ihrer Aufzeichnung, aber auch die persönliche Sicht auf tatsächliche Ereignisse und die möglicherweise unterschiedlichen Interpretationen von Wahrheit werden hier aufgegriffen.


Heike Döscher (*1967 in Hof, lebt in München) und Claudia Wieser (*1973 in Freilassing, lebt in Berlin) beziehen sich in einer gemeinsamen Installation einerseits auf das deutsche Wohnzimmer mit seinen Mustern und Materialien, andererseits auf expressionistische deutsche Architekten wie Bruno und Max Taut, Rudolf Steiner oder Erich Mendelsohn und deren in Bauwerke gelegte Visionen und Verheissungen. Im Kunsthof zeigen sie architektonische Fragmente und Projektionen, die, dem Verwitterungsprozess ausgesetzt, sich während der Ausstellung verändern werden.


Zur Ausstellung erscheint eine Publikation.


Mit bestem Dank für die Unterstützung: Migros Kulturprozent, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Bern, Lfa Förderbank Bayern, Erwin und Gisela von Steiner Stiftung.


Ausstellungsdauer: 20.5. - 12.6.2005
Oeffnungszeiten: Mo-Fr 8 - 17 Uhr, Sa 8 - 13 Uhr


KUNSTHOF ZÜRICH
Limmatstrasse 44
8005 Zürich
Telefon/Fax 044 446 23 12
Email kunsthof.zuerich@hgkz.ch

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Der Kunsthof Zürich ist ein Institut für Gegenwartskunst im Aussenraum und wird vom Studiengang Bildende Kunst der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich kuratiert.