Selbstporträt mit Blumenhut, 1883 / 1888
Self portrait with flower hat, 1883 / 1888


James Ensor


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Es gibt kaum einen anderen Künstler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, dessen Werk so skurril, ironisch, tiefgründig und reich an Interpretationsmöglichkeiten ist wie das des belgischen Malers James Ensor. Seine von Masken, Skeletten und Phantasiegestalten bevölkerten Gemälde sowie seine theatralisch inszenierten Stillleben sind zum unverwechselbaren Sinnbild für die Absurdität des Daseins geworden und haben die deutschen Expressionisten ebenso beeinflusst wie die französischen Surrealisten. Auch in Hinblick auf Tendenzen in der Gegenwartskunst - Rückkehr zum Figurativen und Narrativen, Gleichzeitigkeit von Malerei und Zeichnung oder Manifestationen des Grotesken und Komischen - gewinnt Ensors Schaffen erneut an Aktualität. Mit achtzig Meisterwerken auf Leinwand und eben so vielen Arbeiten auf Papier aus internationalen Museen und Privatsammlungen präsentiert die Schau Schlüsselwerke aus allen Schaffensperioden.


Die Ausstellung "James Ensor" wird durch den Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e. V. und die Flämische Gemeinschaft, den Flämischen Minister für Kultur, Jugend, Sport und Brüsseler Angelegenheiten gefördert.


Max Hollein, Direktor der Schirn: "Die Retrospektive in der Schirn ist die erste umfassende Ensor-Ausstellung in Deutschland seit 1972. Wurde Ensor damals noch als Maler des 19. Jahrhunderts präsentiert, ist der Blick auf sein Werk heute ein anderer. Die Ausstellung in der Schirn zeigt ihn als Meister der Moderne, der in seiner Nonkonformität bis heute zahlreiche Künstler späterer Generationen beeinflusst hat."


Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Ausstellung: "Ensors Werk ist voller unterschiedlicher Themen und Stile, die im Ganzen jedoch stärker aufeinander bezogen sind, als es auf den ersten Blick erscheint. Einen roten Faden bildet dabei der exzentrische Ensor, dessen unablässiges Experimentieren, Spielen mit kunsthistorischen Vorbildern und überbordende Phantasie wir noch heute als überraschend modern empfinden."


James Ensor (1860 Ostende - 1949 Ostende) war bereits zu Lebzeiten eine Legende. Seine Räume über dem Kuriositätenladen seiner Mutter im belgischen Ostende, die er ein Leben lang bewohnte, glichen in seinen späteren Lebensjahren einem Wallfahrtsort für Künstler, Sammler und Museumsleute, die ihm ihre Aufwartung machten. Dort, inmitten seiner Bilder und Zeichnungen, empfing er unter anderen Emil Nolde, Erich Heckel und Wassily Kandinsky. Neben Vincent van Gogh und Edvard Munch gilt er als einer der einflussreichsten Künstler der Avantgarde des Nordens.


Ensor war ein bewusster und ausgeprägter Stilpluralist. In seinem Werk dominiert das Phänomen der Gleichzeitigkeit der Erscheinungsformen, das Paraphrasieren und Wiederaufgreifen früherer Themen und Motive, das permanente Hinterfragen des eigenen künstlerischen Kosmos. Das wiederholte Aufnehmen von Sujets hat jedoch dazu geführt, dass sich in der traditionellen kunsthistorischen Forschung die Meinung etabliert hatte, Ensor habe alle wichtigen Themen wie Masken, Tod oder Selbstbespiegelung bereits bis ca. 1900 entwickelt gehabt und danach wenig Innovatives und künstlerisch Bedeutendes geschaffen. Selbst in den jüngeren europäischen Retrospektiven (Zürich 1983, Brüssel 1999) wurde nur eine kleine Anzahl später Werke gezeigt.


Die Ausstellung in der Schirn bezieht nicht nur das Spätwerk stärker ein, sondern zeigt durch die thematische anstatt chronologische Gliederung, dass die Brüche in Ensors Werk weniger gravierend sind als bisher behauptet. Sie präsentiert erstmals nach Themen und Motiven wie "Selbstporträt", "Tod und Masken", "Christusdarstellungen", "Landschaften", "Stillleben", "Theater und Musik" oder "Karikatur" gegliedert eine Auswahl von zentralen Werken aus allen Schaffensphasen. Auf diese Weise erschliesst sich Ensors künstlerisches Konzept, gliedert sich das Gesamtwerk in schlüssige Serien und eröffnet somit die Sicht auf neue Zusammenhänge. Ebenso werden Malerei, Zeichnungen und Radierungen gemeinsam präsentiert, da für Ensor die verschiedenen Medien einander bedingten.


Ensor bezeichnete sich zwar selbst als "Maler der Masken", doch es wäre verkürzt, sein Werk darauf zu reduzieren. Trotzdem zählen die Arbeiten, in denen Gruppen von grotesken und verzerrten Maskengesichtern einen Totenkopf oder ein ganzes Skelett umringen, zu seinen berühmtesten. Mit den Skeletten griff Ensor ein klassisches Motiv der flämischen Tradition auf, so etwa die "Totentänze" des Mittelalters, in denen das Publikum an die eigene Sterblichkeit erinnert werden sollte. Doch Ensors Alter Ego, der Tod, ist in seinem Werk nicht morbide, sondern meist humorvoll-ironisch dargestellt. Die Masken, die ihn bedrängen, sind nicht nur die Umsetzung der skurrilen und bis heute lebendigen Karnevalstradition Ostendes, sondern im übertragenen Sinn auch die Spiessbürger, die ihm als Künstler mit Ablehnung und Spott begegneten. Ensors Ruhm als "Staunen erregender Kolorist" ist bis heute besonders durch die Werkgruppe der Maskenbilder begründet, in denen er erstmals ungemischte, in kühnen Kontrasten gegeneinander gestellte Farben verwendete.


Masken und Totenköpfe finden auch oft Eingang in Ensors Stillleben, für die der Souvenirladen seiner Mutter in Ostende als eine Art "Kunst- und Wunderkammer" des Alltags diente - ein Sammelsurium von Muscheln, Chinawaren, Andenken, ausgestopften Tieren und Kuriositäten aller Art. In seinem gesamten Werk, besonders aber in den Stillleben, spiegelt sich diese skurrile Welt auf das Deutlichste.


Eine weitere wichtige Themengruppe bilden die Selbstporträts. Im Frühwerk begegnen wir Darstellungen des jungen Künstlers, klassisch an der Staffelei stehend, mit einem Blumenhut als ironischem Kommentar zum grossen Vorbild Rubens. Ebenso vereinnahmend sind Selbstporträts als melancholischer Pierrot oder als Christus, der von den Kritikern mehrfach gekreuzigt wird und als Antwort auf die jahrelangen Verrisse und Missbilligungen des erst in späten Jahren zu Ehren gelangten Künstlers gelten kann.


Ensor richtet seinen Blick jedoch nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf die Landschaft. Das Licht als Ensors grosses Thema sowie der Einfluss des berühmten englischen Malers William Turner lassen sich an einigen frühen Meereslandschaften ablesen. Dass Ensor sein Leben in Ostende an der See verbrachte, wurde von ihm selbst besonders hervorgehoben: "Ich lebe aus dem Meer", sagte er oft, und: "Die See ist meine wichtigste Inspirationsquelle". In diesen Arbeiten werden bereits atmosphärische Bildräume geschaffen, die sich zunehmend abstrakt und als "reine Malerei" begreifen lassen. Der unendliche Horizont, über den sich ein hoher Himmel wölbt, wird auch im Spätwerk wieder aufgegriffen, wenn der Karneval am Strand von Ostende erneut zum Thema wird.


Neben den unterschiedlichen Themen sind es vor allem Ensors künstlerische Innovationen, die seine virtuos gemalten Bilder, seine Zeichnungen und seine bedeutsamen Radierungen auszeichnen. Kompositorisch trat Ensor besonders durch seine theatralischen, bühnenartigen Inszenierungen, seine Bild-im-Bild-Kompositionen sowie seine panoramahaften Bildlandschaften hervor, die typischerweise durch ein am Bildrand platziertes Publikum eingerahmt werden. Seine ungewöhnlichen Perspektiven und angeschnittenen Szenerien erinnern frappierend an heutige Bildlösungen.


Die Ausstellung steht unter der Hohen Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Horst Köhler und Seiner Majestät Albert II., König der Belgier.


Katalog: "James Ensor". Hg. von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Essays von Joachim Heusinger von Waldegg, Ingrid Pfeiffer, Rudolf Schmitz und Xavier Tricot sowie Texten von Sabine Bown-Taevernier, Susan M. Canning, Katharina Dohm, Patrick Florizoone, Eva Linhart und Xavier Tricot. Deutsche und englische Ausgabe, 332 Seiten, 204 Farbabbildungen, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2005, ISBN 3-7757-1702-1 (deutsch), ISBN 3-7757-1703-X (englisch).



Ausstellungsdauer: 17.12.2005 - 19.3.2006
Öffnungszeiten: Di, Fr-So 10 - 19 Uhr, Mi/Do 10 - 22 Uhr


Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römberberg
D-60311 Frankfurt am Main
Telefon +49 69 29 98 82-0
Fax +49 69 29 98 82-240
Email welcome@schirn.de

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James Ensor


There is hardly another late 19th- or early 20th-century artist's work that is as bizarre, sarcastic, deep, and rich in interpretive possibilities as that by the Belgian master James Ensor. His paintings peopled by masks, skeletons, and imaginary creatures, as well as his theatrical still lifes have become unmistakable symbols of the absurdity of existence and influenced both German Expressionists and French Surrealists. Especially when seen in the light of present-day trends, such as the renaissance of the figurative and the narrative, the simultaneousness of painting and drawing, or manifestations of the grotesque and comic, Ensor's work obtains new topical relevance. With eighty masterpieces on canvas and the same numbers of works on paper from international museums and private collections, the exhibition presents key works from each of his creative periods.


The exhibition "James Ensor" is sponsored by Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e. V. and by the Flemish Community, the Flemish Minister for Culture, Youth, Sport and Brussels Affairs.


Max Hollein, Director of the Schirn: "The retrospective at the Schirn is the first comprehensive Ensor exhibition in Germany since 1972. While the artist was presented as a 19th-century painter then, the approach is different today. The show at the Schirn highlights Ensor as a modern master who, in his non-conformity, has influenced numerous artists of later generations to date."


Ingrid Pfeiffer, curator of the exhibition: "Ensor's work is full of different themes and styles which are more strongly related to each other as one might think at first sight. The thread running though the exhibition is the eccentricity of the artist whose incessant experimenting, playing with models from art history, and excessive imagination still strike us as surprisingly modern."


James Ensor (1860 Ostend - 1949 Ostend) already became a legend in his lifetime. In his later years, the rooms above his mother's curiosity shop in Ostend, Belgium, where he lived his whole life long, became a place of pilgrimage for artists, collectors, and museum people who visited him to pay his respects to him. There, amidst his paintings and drawings, he received Emil Nolde, Erich Heckel, Wassily Kandinsky, and others. Besides Vincent van Gogh and Edvard Munch, Ensor is regarded as one of the most influential artists of the "avant-garde of the North."


Ensor's work reveals a deliberate, pronounced pluralism of styles. It is dominated by a simultaneity of forms, by paraphrases and returns to former themes and motifs, and by a permanent questioning of his own universe as an artist. Yet, the fact that Ensor repeatedly re-explored certain subjects has helped to establish an attitude within traditional art historical research according to which he had already developed all essential subjects such as masks, death, and self-reflection by about 1900 and only produced few innovative and artistically important things after. Even the more recent retrospectives in Europe (Zurich 1983, Brussels 1999) presented merely a small selection of his late works.


The exhibition at the Schirn not only includes more of the artist's late work but, by choosing a thematic rather than a chronological form of approach, also discloses that the breaks in Ensor's work are less significant than maintained so far. Arranged according to themes and motifs like "self-portraits," "death and masks," "pictures of Christ," "landscapes," "still lifes," "theater and music," and "caricatures," the show presents a selection of central works from all periods of production. This elucidates Ensor's concept, introduces earlier and later works as parts of conclusive series, and unfolds new contexts. As the various media were mutually dependent on each other for the artist, the exhibition also shows paintings, drawings, and etchings next to each other.


Though James Ensor called himself a "painter of masks" it would be wrong to reduce his work to this aspect. Nevertheless, the works which show groups of grotesque and distorted mask faces surrounding a skull or an entire skeleton, number among his most famous achievements. By depicting skeletons, Ensor took up classical motifs of the Flemish tradition, such as the medieval danse macabre which was to remind people of their mortality. Ensor's alter ego death has nothing degenerate though but is mostly portrayed with humor and irony. The masks harassing him are not only a manifestation of Ostend's absurd carnival tradition which is still alive today but also stand for the petty bourgeois who rejected the artist and scoffed at him. To this day, Ensor's fame as "an astonishing colorist" is mainly based on the work group of his mask pictures for which he relied on bold contrasts of unmixed colors for the first time.


Ensor also integrated masks and skulls in his still lifes for which his family's souvenir shop in Ostend served as a kind of everyday "art and curiosities chamber" that provided a motley of shells, chinaware, keepsakes, stuffed animals, and manifold bric-à-brac. His entire work, but above all the group of his still lifes, clearly mirrors this bizarre world.


Ensor's self-portraits constitute another work group. His early work confronts us with portraits of the young artist classically positioned at his easel with a flower hat as an ironical note on his great model Rubens. Equally capturing are his self-portraits as a melancholy Pierrot or as Christ being crucified by his critics several times - an unequivocal reaction to the years of slating and disapproval the artist suffered before gaining acclaim only in his late years.


Ensor directed his attention not only to people but also to landscapes. Some of his early sea pictures evidence both the fact that light was one of his crucial themes and the degree of the famous English painter William Turner's influence on him. Ensor himself emphasized that he spent all his life by the sea in Ostend: "I live by the sea," he said, and "The sea is my dearest inspiration." In his sea landscapes, Ensor created atmospheric pictorial spaces which became increasingly abstract and works of "pure painting." When he dedicated himself to the carnival on the beach of Ostend again in his late years, he also returned to the infinite horizon with a high sky arching above it.


Besides the various subjects Ensor explores, it is the range of his artistic innovations that characterizes his brilliant paintings, his drawings, and his significant etchings. His compositions strike us because of their theatrical, stage-like designs, presentations of pictures within pictures, and panorama-like pictorial landscapes framed by people watching that he characteristically positioned along the edges. His unusual perspectives and views that offer just a section from a certain scene show quite unexpected present-day pictorial solutions.


The exhibition is presented under the patronage of the Federal President of the Federal Republic of Germany Horst Köhler and His Royal Highness Albert II., King of the Belgians.


Catalog: "James Ensor." Edited by Ingrid Pfeiffer and Max Hollein, Schirn Kunsthalle Frankfurt. With a preface by Max Hollein and essays by Joachim Heusinger von Waldegg, Ingrid Pfeiffer, Rudolf Schmitz, and Xavier Tricot, as well as texts by Susan M. Canning, Katharina Dohm, Patrick Florizoone, Sabine Bown-Taevernier, and Xavier Tricot. English and German editions, 332 pages, 240 color illustrations, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2005, ISBN 3-7757-1703-X (English), ISBN 3-7757-1702-1 (German).



Exhibition: 17 December 2005 - 19 March 2006
Opening hours: Tues, Fri-Sun 10 am - 7 pm,
Wed/Thu 10 am - 10 pm