© James Lee Byars

The Perfect Smile, 1994


Leben, Liebe und Tod:
Das Werk von James Lee Byars



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In einer umfassenden Retrospektive würdigt die Schirn den grossen "Magier der Stille" James Lee Byars (1932-1997). Seit den frühen 1970er Jahren ist der amerikanische Künstler mit Performances, Objekten, Skulpturen und Räumen international präsent. Die Ausstellung zeichnet die Entwicklung seines einflussreichen Werkes nach, das während seines nomadischen Lebens zwischen Japan, Europa und den Vereinigten Staaten entstand: von den Performances, Papier- und Stoffarbeiten, die um existenzielle Fragen kreisen, bis hin zu den späten Skulpturen aus Gold und Marmor, die Liebe und Tod als Ausdruck des Vollkommenen thematisieren. Neben der Präsentation einer Reihe monumentaler Arbeiten wie dem über 17 Meter hohen" Golden Tower" oder der 300 qm grossen Bodeninstallation "The Red Angel of Marseille" aus tausend roten Glaskugeln wirft die Ausstellung auch die Frage auf, wie man mit dem performativen Werk eines verstorbenen Künstlers umgeht, der ein Meister der Inszenierung der eigenen Person war und einen unvergleichlichen Beitrag dazu leistete, das Verhältnis von Kunstwerk und Betrachter, von Kunst und Leben zu egalisieren.


Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle: "Mit der Ausstellung unterstreicht die Schirn die herausragende Bedeutung des Lebenswerks von James Lee Byars. Im Zusammenspiel der Werke zeigt sich, dass Byars nicht nur die Entwicklung der Kunst der Performance stark beeinflusst hat, sondern vor allem durch seine Installationen und seine konsequente Beschäftigung mit existenziellen Fragen zu einer der originärsten und komplexesten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu zählen ist, deren Bedeutung sich jetzt mehr und mehr erschliesst".


Klaus Ottmann, Kurator der Ausstellung: ""Leben, Liebe und Tod" versteht sich als erste kritische Retrospektive, der die Abwesenheit des Künstlers anzumerken ist. Anders als frühere Ausstellungen, die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden, richtet diese Ausstellung das Augenmerk weniger auf die Präsentation von Byars' Vision, sondern vielmehr auf seine Entwicklung, auf die Arbeiten selbst und ihren kunsthistorischen und philosophischen Kontext, um so zu einer Neubegegnung mit Leben und Werk des Künstlers anzuregen. Darüber hinaus werden einige Werke erstmals öffentlich gezeigt, andere werden zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein".


James Lee Byars studierte zunächst in seiner Heimatstadt Detroit Kunst, Psychologie und Philosophie. In den späten 1950er Jahren ging er nach Kyoto und verbrachte die folgenden zehn Jahre abwechselnd in Japan und Amerika. In Japan lernte Byars das Ephemere als eigene Qualität in der Kunst kennen. In diesen prägenden Jahren begann er mit der Übertragung der sinnlichen, abstrakten und symbolischen Elemente des japanischen No-Spiels und des Schinto-Rituals, in denen auch gefaltetes weisses Papier oder unbehauene Steine eine Rolle spielen, auf die Wissenschaft, Kunst und Philosophie des Westens. Byars entwarf in Japan eine Reihe von Papierarbeiten, unter anderem "The Accordion Scroll or The Perfect Painting" (Die Akkordeonrolle oder Das vollkommene Bild), ein Objekt, das während einer Performance ritualhaft entfaltet wurde, oder eine 27 Meter lange Papierschriftrolle mit Kohlezeichnungen, die in dieser Ausstellung erstmals als Objekt ausserhalb einer Performance gezeigt wird.


Ab den 1970er Jahren erlangte Byars mit seinen luxuriösen und rätselhaften Objekten und Performances internationale Bekanntheit. Durch seine einzigartige Synthese von Orientalismus, Concept Art, Minimalismus, Fluxus sowie Momenten von Happening, Body und Installation Art zählt Byars heute zu einer der Hauptfiguren der Kunst des 20. Jahrhunderts. Bei seinen unzähligen Reisen durch Japan, die USA und Europa, die immer wieder von Ausstellungen und Aktionen begleitet wurden, verschaffte sich Byars auch in Deutschland nicht zuletzt aufgrund seiner wiederholten Teilnahme an der "documenta" in Kassel nachhaltige Präsenz.


Einen wesentlichen Aspekt im Schaffen von James Lee Byars bildet das Prinzip des Flüchtigen beziehungsweise der Koexistenz des Flüchtigen mit dem Ewigen, das sich vor allem in seinen Performances wie beispielsweise in "The Perfect Smile" (Das vollkommene Lächeln) manifestiert: Byars war in Goldlamé gekleidet, trug einen schwarzen Hut, schwarze Handschuhe und Lackschuhe und hatte einen schwarzen Seidenschal um den Kopf geschlungen. Das perfekte Lächeln bestand aus einer winzigen Bewegung des Mundes. 1994 schenkte der Künstler "The Perfect Smile" dem Museum Ludwig in Köln. Diesem konzeptuellen Geniestreich ist es zu verdanken, dass erstmals eine Performance Teil einer Sammlung wurde. Zugleich drückt sich hier Byars' expliziter Wunsch aus, das Lächeln über die Bindung an die eigene Person hinaus für die Zukunft ausstellbar zu machen. Diesem Wunsch wird im Rahmen dieser Retrospektive in Form einer täglichen Aufführung der Performance entsprochen. Flüchtig wie sein Lächeln ist Byars' Auftritt im Film "Autobiography": Der kurze 16-mm-Film besteht aus nichts weiter als Schwärze, aus der für eine Vierundzwanzigstelsekunde die weiss gekleidete Figur von Byars auftaucht.


Im Kontext des Flüchtigen und Ewigen spielt bei Byars der Begriff des Vollkommenen - "The Perfect" - eine zentrale Rolle. Bei Byars findet sich das Vollkommene nicht in der materiellen Vollkommenheit, sondern in der Suche danach. Vollkommenheit ist laut Byars eine Unmöglichkeit und nur in dem einen verheissungsvollen Moment gegenwärtig, in dem Leben und Tod, Glück und Tragik zusammenfallen. Obwohl Byars 1978 noch verlautete: "I cancel all my works at death", begann er ausgerechnet in dieser Zeit auch verstärkt mit dauerhaften Materialien wie Stein oder Marmor zu arbeiten. Oft scheint es, als setze Byars physikalische Gesetze ausser Kraft: In der Installation "The Book of the 100 Perfects" (Das Buch der 100 Vollkommenheiten) gehen Chaiselongues aus schwarzem Samt eine Symbiose mit ihrem Umfeld ein, und in "The Human Figure" (Die menschliche Figur) scheinen kiloschwere Marmorkugeln in purem Weiss zu schweben. "The Rose Table of Perfect" (Der vollkommene Rosentisch), eine kugelförmige Skulptur aus 3333 frischen roten Rosen, die im Laufe der Ausstellung langsam verwelken, verbindet die Perfektion der Form mit der Unvollkommenheit des Vergänglichen. Die überwältigende Bodeninstallation "The Red Angel of Marseille" (Der rote Engel von Marseille) von 1993, zuvor noch in keinem anderen deutschen Ausstellungshaus zu sehen, suggeriert trotz der 1000 auf dem Boden zu einem Ornament aufgelegten roten venezianischen Glaskugeln Immaterialität. "The Golden Tower" (Der goldene Turm), ein 17,5 Meter hoher goldener Turm, erweckt durch die Reflexion des Lichtes auf der glänzenden Oberfläche den Eindruck von Transzendenz.


Begegnet uns der Künstler einerseits mit kolossaler, erhabener Geste, entzieht er sich andererseits im Transitorischen. Am Ende des Gangs durch die Ausstellung darf man "The Death of James Lee Byars" (Der Tod des James Lee Byars), einen komplett mit Blattgold ausgeschlagenen Raum, zwar einsehen, nicht aber betreten. Für Byars' Körper stehen symbolisch fünf Kristalle, die dessen Silhouette markieren. Nicht nur diese Arbeit sorgt dafür, dass die existenziellen Fragestellungen um Leben, Liebe und Tod, die der Künstler stets wiederholt und neu formuliert hat, über seinen Tod hinaus präsent bleiben.


Katalog: "Leben, Liebe und Tod: Das Werk von James Lee Byars". Hg. von Max Hollein und Klaus Ottmann, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Viola Michely, Klaus Ottmann und Martina Weinhart. Deutsch/Englisch, 160 Seiten, ISBN 3-7757-1368-9, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit.


Kurator: Klaus Ottmann
Projektleitung: Martina Weinhart mit Carla Orthen
Gefördert von: Kultur-Stiftung der Deutschen Bank, _koda Auto Deutschland GmbH.
Zusätzliche Unterstützung durch: Swarovski & Co.


Ausstellungsdauer: 13.5. - 18.7.2004
Öffnungszeiten: Di, Fr-So 10 - 19 Uhr, Mi/Do 10 - 22 Uhr


Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römberberg
D-60311 Frankfurt am Main
Telefon +49 69 29 98 82-0
Fax +49 69 29 98 82-240
Email welcome@schirn.de

www.schirn.de



Life, Love, and Death:
The work of James Lee Byars



The Schirn dedicates a comprehensive retrospective to the great "magician of silence" James Lee Byars (1932-1997). The American artist has been present internationally with his performances, objects, sculptures, and spaces since the early 1970s. The exhibition explores the development of his influential work during his nomadic life in Japan, Europe, and the United States: from his performances, his paper and textile works centering on existential issues to his late gold and marble sculptures based on an understanding of love and death as an expression of perfection. Apart from presenting a number of monumental works such as the 17.5-meter high "Golden Tower" or the floor installation "The Red Angel of Marseille" measuring 300 square meters and consisting of 1,000 red glass balls, the exhibition also raises the question how to deal with the performative work of a deceased artist who proved himself a master when it came to presenting himself and made an incomparable contribution to balancing the relationship between the artwork and the viewer, between art and life.


Max Hollein, Director of the Schirn Kunsthalle: "With its exhibition, the Schirn underscores the outstanding role of James Lee Byars's oeuvre. The presented collection of works evidences that Byars not only had a decisive impact on the development of Performance art but, mainly through his installations and his continuous dedication to existential subjects, is one of the most original and complex artistic personalities of the 20th century whose significance becomes increasingly obvious today".


Klaus Ottmann, curator of the exhibition: ""Life, Love, and Death" is the first critical retrospective since the artist's death in 1997. Its unique challenge is to present the career of an artist whose work was closely linked to both his physical and conceptual present. Unlike previous exhibitions that were done in close collaboration with the artist, this retrospective, aimed at initiating a reassessment of Byars's work, focuses less on the presentation of the artist's vision, and more on the works themselves and their art-historical and philosophical contexts. Some of the pieces will be presented to the general public for the first time, several have never been shown in Germany before".


James Lee Byars studied art, psychology, and philosophy in his native Detroit. After visiting Kyoto in the late 1950s, he spent the following ten years alternately in Japan and America. In Japan, Byars discovered the ephemeral as a particular quality of art. It was in those years essential for his development that he began to transfer the sensory, abstract and symbolic elements of the Japanese NO play and Shinto ritual in which, among other things, folded white paper and unhewn stones play an important part to Western scholarship, art, and philosophy. In Japan Byars created a series of performative paintings on paper, such as "The Accordion Scroll", an object which is ritually unfolded during a performance, or the 27-meter long paper scroll that will be presented unrolled for the first time in this exhibition.


From the 1970s on, Byars became internationally known with his luxurious and enigmatic objects and performances. His unique synthesis of orientalism, Concept art, Minimalism, and Fluxus, as well as elements of Happening, Body and Installation art have made him one of the central protagonists of 20th-century art. Byars undertook innumerable travels through Japan, the USA, and Europe which included many exhibitions and happenings and, not least as a result of his repeated participation in the Kassel "documenta", also gained lasting renown in Germany.


A pivot in James Lee Byars's work may certainly be seen in the principle of the transitory and in its coexistence with the eternal respectively - a characteristic which manifests itself mainly in the artist's performances such as "The Perfect Smile": Byars dressed in gold lamé, put on a black hat, black gloves, and black patent leather shoes, and wrapped a black silk scarf around his head. The perfect smile consisted in a tiny movement of his mouth. In 1994, the artist gave his "Perfect Smile" to the Museum Ludwig in Cologne as a present. With this conceptual stroke of genius, a performance became part of a collection's holdings for the first time. The donation also revealed the artist's explicit desire to make the smile an exhibition object regardless of his personal presence. The retrospective at the Schirn complies with this wish, as it were, by showing the performance once a day. Just as fugitive as the artist's smile is Byars's appearance in the film "Autobiography": the short 16-mm picture comprises nothing but blackness out of which Byars, dressed in white, emerges for the twenty-fourth part of a second.


For Byars, the perfect plays a crucial part within the context of transitoriness and eternity. The perfect has nothing to do with material perfection but is to be found in the search for it rather. Byars considered perfection as something impossible, as something present only in the single promising moment in which life and death, happiness and tragedy coincide. Though proclaiming "I cancel all my works at death" in 1978, Byars started to use more and more durable materials such as stone and marble about that time. He sometimes seems to have succeeded in suspending the laws of physics: in his installation "The Book of the 100 Perfects", black velvet chaises longues enter a symbiosis with their surroundings, and in "The Human Figure", marble spheres weighing several kilos seem to float in pure white. "The Rose Table of Perfect", a spherical sculpture of 3,333 fresh red roses slowly wilting in the course of the exhibition, combines formal perfection and the imperfection of the transitory. The overwhelming installation "The Red Angel of Marseille" dating from 1993, which has never been shown in a German exhibition before, conveys an immaterial impression despite its 1,000 red Venetian glass balls arranged to form an ornament on the floor. The light reflections on its shining surface make the 17.5-meter high "Golden Tower" radiate a transcendental feeling.


While the artist meets us with a gigantic sublime gesture on the one hand, he eludes us by immersing himself in the ephemeral on the other. Towards the end of the tour through the exhibition, we come upon "The Death of James Lee Byars", a room entirely lined with gold leaf, which we may have a look at but which we are not allowed to enter. Symbolizing Byars's body, five crystals mark its outline. It is not only this work by Byars which guarantees that the existential questions concerning life, love, and death persistently posed and reformulated by the artist will remain present beyond his death.


Catalog: "Life, Love, and Death: The Work of James Lee Byars". Edited by Max Hollein and Klaus Ottmann, Schirn Kunsthalle Frankfurt. With a preface by Max Hollein and texts by Viola Michely, Klaus Ottmann, and Martina Weinhart. German/English, 160 pages, ISBN 3-7757-1368-9, Hatje Cantz Verlag.


Curator: Klaus Ottmann
Project Management: Martina Weinhart with Carla Orthen
Sponsored by: Cultural Foundation of Deutsche Bank, _koda Auto Deutschland GmbH
Additional Support by: Swarovski & Co.


May 13 - July 18, 2004