© Jeanne Faust

Excuse Me Brother, 2006
Film still, 16 mm, 7 Min.


Jeanne Faust
Excuse Me Brother



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Die Filme und Fotografien von Jeanne Faust verweisen auf unser kulturell geprägtes Filmgedächtnis. Virtuos nutzt die Künstlerin den Referenzrahmen des Kinos, indem sie die visuellen Codes verschiedener filmischer Genres als Ausgangslage ihrer Inszenierungen wählt. Ihre Szenen können alltäglich oder überaus komponiert wirken, immer finden sich darin Anspielungen, die im Betrachter ein ganzes Repertoire an filmischen Referenzen abrufen. Ein Dialogfragment, eine Geste oder die Art wie die Figuren im Raum stehen, sind Auslöser dafür, dass in unserer Vorstellung gleich der eigene Film abläuft. Jeanne Faust geht es dabei aber nicht um ein Spiel mit filmischen Zitaten, sondern darum, zu untersuchen wie unsere Filmerfahrung und unser Filmgedächtnis unsere Wahrnehmung geprägt haben. Denn obwohl in ihren Arbeiten keine direkten Bild- und Filmzitate auszumachen sind, fällt es dem Betrachter schwer, Jeanne Fausts Videos und Fotografien nicht im Zusammenhang einer filmischen Erzählung zu verstehen. Ihre Fotos wurden deshalb auch schon treffend als "Standbilder für ein abwesendes Drehbuch" beschrieben. (Tom Holert)


Oft geht Jeanne Faust von Situationen aus, die sie in ihrem Alltag beobachtet hat, um diese später anhand ihres eigenen Drehbuchs mit Profi- oder Laienschauspielern vor der Kamera zu reinszenieren. Dabei entstehen nie linear erzählte Geschichten, sondern Filme ohne Anfang und Ende, die allerdings immer auf einen grösseren Zusammenhang zu verweisen scheinen. Wenn doch der Eindruck einer Handlung entstehen sollte, dann geschieht dies als Nebenprodukt der additiven Reihung von Bildern - und durch die Eigenleistung des Betrachters, der aus Gewohnheit und Bedürfnis einzelne Elemente zu einer narrativen Logik zu verbinden sucht. Bei aller Ähnlichkeit mit den Bildwelten des Kinos, schrieb Vanessa Joan Müller, sind Jeanne Faust Filme vor allem konzeptionelle Versuchsanordnungen über die Art wie Kinobilder aussehen würden, wenn sie keine Geschichten erzählten, sondern Fragmente einer Sprache des Kinos wären. Wie viel Information, bzw. Klischee braucht man, um eine Geschichte zu konstruieren und wie lässt man die Erwartungen des Betrachters ins Leere laufen? Jeanne Faust macht die Konstruktion filmischer Erzählformen selbst zum inhaltlichen Bestandteil ihrer Werke.


Jeanne Faust zeigt in ihrer grossen Einzelausstellung im Kunsthaus Glarus - ihrer ersten in der Schweiz - drei Videoarbeiten und eine eigens für die Ausstellung konzipierte Installation mit zehn Diaprojektionen.


"Interview" (Video, 9 Min., 2002) zeigt den (gescheiterten) Versuch einer jungen Frau mit dem aus Filmen von Rainer Werner Fassbinder und Philippe Garrel bekannten Schauspieler Lou Castel ein Interview zu führen. Immer wieder scheint der Interviewerin die Situation entgleiten, da Castel die Rolle des Befragten verweigert, indem er selbst zum Agierenden wird und so die Machtverhältnisse zu seinen Gunsten umkehrt.


Jeanne Fausts neuster Film "Excuse Me Brother" (16 mm auf DV, 7 Min., 2006), welcher das Präparieren einer Mantide (Gottesanbeterin) zeigt, arbeitet mit der Trennung von Bild- und Tonebene (Handlungsebene und Dialog), sowie dem Ineinanderschneiden von Aufnahmen, die sich unterschiedlicher filmischer Genres (Dokumentar- und Spielfilm) bedienen. Jeanne Faust verwendet hier bekannte Zeichen und Codes, setzt diese aber anders ein, als wir dies aufgrund unserer visuellen Gewohnheiten (insbesondere unserer Prägung durch Hollywoodproduktionen) erwarten würden, um so eine Untersicherheit innerhalb des Vertrauten zu eröffnen und schliesslich auch die erwarteten Hierarchieverhältnisse umzustossen. Ergänzend zu "Excuse Me Brother" wird ein Film von Jörn Zehe gezeigt: eine langsame, scheinbar unendliche Kamerafahrt über alte Schaukästen präparierter Mantiden eines Naturhistorischen Museum in Hamburg.


In "Répéter Alba Negra" (Video, 6 Min., 2006) hat Jeanne Faust mit einer Gruppe rumänischer Einwanderer in Paris, die Inszenierung des Glückspiels reinszeniert, mit welchem sie sich auf Markplätzen ihren Lebensunterhalt verdienen. Während ein Spielleiter geschickt drei Scheibchen bewegt, unterer denen es die Position des weissen Scheibchens zu erraten gilt, beteiligen sich die anderen - mal gewinnend, mal verlierend - am Spiel, um damit neue Kunden anzulocken. Jeanne Faust interessiert dabei vor allem an der ausgeklügelter "Mise en scène" und am Rollenspiel, mit welchem die Schaustellertruppe die Grenze zwischen "wissenden Akteuren" und "unwissenden Spielern" aufzuheben verstehen.


Die Installation "The Party" (2007) ist eine Weiterentwicklung eines neueren Typus von Arbeiten von Jeanne Faust. Fotografien aus der Tagespresse liefern ihr die Vorlagen für Scherenschnitte, die sie in verschiedenen Versionen (Spiegelungen, Lichteffekte etc.) wiederum abfotografiert. In Glarus projiziert sie zehn fotografische Varianten desselben Bildes mit Diaprojektoren auf schwarze, im Raum stehende Flächen und lässt die labyrinthische Lichtbildinstallation zum Ausgangspunkt einer Hinterfragung von Bildstatus und Wahrnehmungsvorgängen werden.


Die Fotografien, Video- und Filmarbeiten von Jeanne Faust (*1968, lebt und arbeitet in Hamburg) waren u.a. in Einzelausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz (Artist in Residency, 2002) und im Kunstverein Heilbronn (2003), sowie in unzähligen Gruppenausstellungen wie "Manifesta 4", Frankfurt a.M. (2002), "Compilation I", Kunsthalle Düsseldorf (2003), "Ars viva 03/04, Jeanne Faust und Omer Fast", Frankfurter Kunstverein und Pinakothek der Moderne, München (2004), "Projekt Migration", Kölnischer Kunstverein, Köln (2005) und zuletzt an der Biennale São Paulo, Brasilien (2006) zu sehen.


Ausstellungsdauer 27.5. - 19.8.2007

Oeffnungszeiten Di-Fr 14 - 18 Uhr, Sa/So 11 - 17 Uhr


Kunsthaus Glarus
Im Volksgarten
8750 Glarus
Telefon +41 (0)55 640 25 35
Fax +41 (0)55 640 25 19
Email office@kunsthausglarus.ch

www.kunsthausglarus.ch



Jeanne Faust
Excuse Me Brother



The films and photographs by Jeanne Faust point out our culturally influenced film memory. The artist makes masterly use of the cinematic frame of reference by selecting visual codes from various cinematic genres as the point of departure for her enactments. Her scenes can appear everyday or enormously staged; they always reveal allusions recalling to the viewer an entire repertoire of cinematic references. A fragment of dialogue, a gesture, or the way the figures are placed serve as triggers to running our own film in our mind's eye. For Jeanne Faust it is not, however, just playing a game with cinematic quotes. Instead it has to do with analyzing how our experience of films and memory of films have influenced our perception. For although no direct pictorial or cinematic citations are apparent in her works, it is difficult for the viewer to understand Jeanne Faust's videos and photographs without connecting them to a cinematic story. Her photos have therefore been appropriately characterized as "stills for an absent script" (Tom Holert).


Jeanne Faust often begins with situations she has observed in her everyday life, then later restages them with professional or amateur actors and with the aid of her own script in front of the camera. In this way, the result is never linearly told stories, but rather films without beginning and end, which albeit always seem to signify a greater connectedness. When, however, the impression of plot emerges, this occurs as a by-product of the additive sequence of pictures - and through the personal contribution of the viewer, who by habit and need strives to convert individual elements into narrative logic. In spite of the strong similarity to the pictorial representations of the movies, Vanessa Joan Müller wrote, Jeanne Faust's films are primarily conceptual test set-ups for how movies would look if they didn't tell a story but were fragments of cinematic language. How much information, how many clichés respectively are necessary to construct a story, and how does one thwart the expectations of the viewer? Jeanne Faust makes the construction of cinematic narrative itself the subject matter of her works.


Jeanne Faust shows in her large solo exhibition at the Kunsthaus Glarus - her first in Switzerland - three video productions and one installation involving ten slide projectors especially created for the show.


"Interview" (Video, 9 min., 2002) shows the (failed) attempt on the part of a young woman to conduct an interview with the actor Lou Castel, known for his roles in films by Rainer Werner Fassbinder and Philippe Garrel. The interviewer repeatedly seems to lose control of the interview, since Castel refuses to assume the role as interviewee and instead acts as initiator, thus tipping the advantage to his favor.


Jeanne Faust's latest film "Excuse me Brother" (16 mm on DV, 7 min., 2006) depicting the taxidermic preparation of a praying mantis, works with the disassociation of picture and audio tracks (plot and dialogue) as well as with meshed editing of frames drawing on various cinematic genres (documentary and fictional film). Here Jeanne Faust makes use of recognized signs and codes but applies them in a different manner than we would expect based on our visual habits (especially as influenced by Hollywood productions) in order to tap a sense of insecurity within the realm of the familiar and ultimately to upset anticipated hierarchical relationships. Supplementary to "Excuse me Brother" a film by Jörn Zehe will be shown: a slow, apparently endless camera scan of old display cases containing specimens of praying mantises in a museum of natural history in Hamburg.


In "Répéter Alba Negra" (Video, 6 min., 2006) Jeanne Faust restages, with a group of Romanian immigrants in Paris, the staging of gambling with which they earn their living in the marketplace. While one of them deftly rearranges the three game pieces, the object of which is to guess the position of the white piece, the others take part in the game - sometimes winning, sometimes losing - in order to attract new customers. Jeanne Faust is primarily fascinated by the clever "mise en scène" and by the role-play by which the "troupe of actors" masters the art of abolishing the boundary between "aware actors" and "unaware players".


The installation "The Party" (2007) is a further development of a relatively new type of work by Jeanne Faust. Photographs from the daily press provide her with patterns for silhouettes, which she subsequently photographs in various versions (mirror images, light effects, etc.). In Glarus she projects ten photographic variations of the identical picture with slide projectors onto black surfaces arranged in the room, thereby causing the labyrinthine slide installation to function as a starting point for a consideration of pictorial status and und cognitive processes.


The photographs, video and film projects by Jeanne Faust (*1968, lives and works in Hamburg) were shown at the Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz (Artist in Residency, 2002) and the Kunstverein Heilbronn (2003), as well as in numerous group exhibits such as "Manifesta 4", Frankfurt a.M. (2002), "Compilation I", Kunsthalle Düsseldorf (2003), "Ars viva 03/04, Jeanne Faust and Omer Fast", Frankfurter Kunstverein and Pinakothek der Moderne, Munich (2004), "Project Migration", Kölnischer Kunstverein, Cologne (2005) and most recently at the Biennale São Paulo, Brazil (2006).


Exhibition 27 May - 19 August 2007

Opening hours Tues-Fri 2 - 6 pm, Sat/Sun 11 am - 5 pm