Josephsohn
Halbfiguren 1990-2005



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Mit "Halbfiguren 1990-2005" bestreitet die Galerie Bob van Orsouw die dritte Ausstellung mit dem 1920 in Königsberg geborenen und seit über sechzig Jahren in Zürich lebenden Künstler Hans Josephsohn. Während die erste Ausstellung im Mai 2000 retrospektiv angelegt war, hatte die zweite Ausstellung im Oktober 2002 Zeichnungen des Künstlers zum Schwerpunkt, die mit Bronzeskulpturen komplettiert wurden. In der aktuellen Ausstellung werden ausschliesslich Exponate aus der Werkgruppe der grossen Halbfiguren zu sehen sein, die mit ihrer wuchtigen Körperhaftigkeit im Raum der Galerie Position beziehen.


In seiner Monographie "Hans Josephsohn" (2005) schreibt Gerhard Mack, dass dem Künstler mit der Schaffung der Halbfiguren aus Bronze ein "völlig neuer Figurentyp" gelinge. Während das Relief als skulpturaler Typus das Schaffen von Josephsohn seit 1945 charakterisiert, gehört die grosse Halbfigur dem Spätwerk an. Dies lässt sich an der Abgrenzung letzterer zu den Reliefs verdeutlichen. Anfänglich noch flach und geometrisierend, später von kräftigem Volumen und amorpher Plastizität, zeugen die Reliefs in ihrer kompositionellen Anordnung vom Verhältnis der Figuren zueinander und ihrer Beziehung zur Grundfläche. Ebenso sind sie in persönlichen Erlebnissen, meist zwischenmenschlicher Natur, verankert.


Im Unterschied dazu nehmen sich die Halbfiguren monolithisch, in sich versenkt und von "kolossaler Ruhe" aus. Sie wirken wie Solitäre, die frei nach dem Modell, oder wie es der Künstler nennt, "auswendig geschaffen" werden. Allerdings hat Josephsohn das Diktum, "zum Kern der Sache vordringen und nicht an den äusseren Natureindrücken hängen bleiben [zu] wollen", schon früh und in immer neuen Formfindungen artikuliert, also auch in den Reliefs und anderen Werkgruppen. Dennoch lassen sich die Halbfiguren als Inbegriff der Vereinfachung und Verdichtung von Figürlichkeit lesen, da sie einem narrativen Zusammenhang und Situationsbezug entbehren.


Obwohl die physiognomischen Grundzüge des Modells roh erkennbar bleiben, machen die stets frontal ausgerichteten Halbfiguren das Menschsein als solches, das, was den konkreten Erscheinungen als das Eigentliche zugrunde liegt, in der "genuinen Sprache des Plastischen" erfahrbar. Gesichtszüge, Körperhaltung und Position des Modells werden in eine schrundige Materie übertragen, wobei der Künstler, so Josephsohn, nicht "Herr der Form" sei, sondern sich diese nahezu zwanghaft "aufdränge". Damit ist die innere Dynamik eines Schaffensprozesses gemeint, der das Gegeneinandersetzen der Flächen, die Rhythmisierung der Bewegung, das Erproben der Asymmetrie bei Wahrung der Körperachse, die Verfremdung der Proportionen bei gleichzeitigem Austarieren zum höheren Ziel hat.


Bei den Halbfiguren nimmt der Kopf den grössten Teil der Skulptur ein. In dem angedeuteten Oberkörper, aus dem der Kopf nahezu übergangslos herauswächst, ist die Tektonik des übrigen Körpers aufgehoben. Damit stellt die Figur Ausdruck der fragilen Vollendung und nicht des Mangels dar, oder, wie es Josephsohn ausdrückt: "Bei meinen Halbfiguren denkt man doch nicht daran, wie es unten weitergeht." Für die Ausstellung in der Galerie Bob van Orsouw werden u.a. Halbfiguren abgegossen, die sich über mehrere Jahre als Gipsmodelle im Atelier des Künstlers befanden, bevor sie von diesem wiederentdeckt und durch leichte Überarbeitung zu neuem Leben erweckt wurden.


Text: Birgid Uccia


Ausstellungsdauer 21.10. - 18.11.2006

Öffnungszeiten Di-Fr 12 - 18 Uhr, Sa 11-16 Uhr und nach telefonischer Verabredung


Galerie Bob van Orsouw
Limmatstrasse 270
8005 Zürich
Telefon +41 (0)44 273 11 00
Fax +41 (0)44 273 11 02
Email mail@bobvanorsouw.ch

www.bobvanorsouw.ch





Josephsohn
Half-figures 1990-2005



With "Half-figures 1990-2005" the Galerie Bob van Orsouw stages its third exhibition of the artist Hans Josephsohn, born 1920 in Königsberg and resident over sixty years in Zurich. While the first exhibition in May 2000 was presented as a retrospective, the second one in October 2002 focused on the artist's drawings, rounded off with bronze sculptures. In the current exhibition, only pieces from the work group of large half-figures are on view, whose volumes man the gallery space with their massive presence.


In his monograph Hans Josephsohn (2005), Gerhard Mack writes that with the creation of half-figures of bronze, the artist had succeeded in presenting a "thoroughly new type of figure". While the relief as a sculptural expression has characterized Josephsohn's production since 1945, the large half-figure is a product of his late work. This is clearly seen in the way the latter draws a dividing line to the reliefs. The reliefs were initially flat and geometrized; later of powerful mass and amorphously sculptural, their compositional arrangement testifies to the relationship of the figures to each other and to their ground. What is more, they are rooted in personal experience, mostly of an interpersonal nature.


In contrast to this, the half-figures look monolithic, seem engrossed in themselves and of a "colossal tranquility". They have the effect of "solitaires" that are freely adapted from the model or, as the artist puts it, "produced by heart". Nonetheless Josephsohn, who very early articulated the dictum "penetrate to the heart of things and do not stick to the outer impressions of nature", did so in ever new forms, that is, also in the reliefs and other work groups. And yet the half-figures can be read as the epitome of simplification and condensed figurativeness since they lack any kind of narrative context or reference to a situation.


Although the main physiognomic features of the model remain roughly recognizable, the always frontally aligned half-figures make humanness per se (that which underlies concrete appearance as the essence) experienceable in the "authentic vocabulary of the sculptural". The model's facial features, posture and position are carried over into a fissured material, whereby the artist (as Josephsohn says) is not "master of the form" but it is the form that almost forces itself on him, thus referring to the inner dynamism of a creative process whose ultimate aim is the placement of planes side by side, the rhythmization of movement, exploring asymmetry while preserving the body axis and distorting the proportions while simultaneously maintaining the balance.


In the half-figures, the head makes up the largest part of the sculpture. In the intimated upper body, out of which the head grows almost seamlessly, the tectonics of the rest of the figure is suspended. In this way the figure represents an expression of fragile completeness and not that of a lack, or as Josephsohn puts it: "With my half-figures you just don't think about how it could continue lower down." For the exhibition in the Galerie Bob van Orsouw, among other things, half-figures will be cast that have vegetated for several years as plaster models in his atelier, before they were rediscovered and, by means of a slight reworking, awakened to new life by their creator.


Text: Birgid Uccia


Exhibition 21 October – 18 November, 2006

Gallery hours Tues-Fri noon - 6 pm, Sat 11 am - 5 pm


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