© Julian Schnabel

Large Girl with No Eyes, 2001
Wachs, Öl auf Leinwand / Wax, oil on canvas
414,5 x 378 cm


Julian Schnabel
Malerei 1978 - 2003



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Seit den ersten Aufsehen erregenden Ausstellungen in New York zu Beginn der 1980er Jahre wurden die Werke von Julian Schnabel enthusiastisch als neuer Höhepunkt der für tot erklärten Malerei gefeiert. "Tellerbilder" aus zersprungenem Porzellan und grossformatige ausdrucksstarke Ölgemälde fanden Eingang in alle wichtigen internationalen Sammlungen. Mit seinem ersten Film über den Freund und Malerkollegen Jean-Michel Basquiat 1996 und seinem zweiten Film "Before Night Falls" hat sich Schnabel auch als Regisseur und Drehbuchautor einen Namen gemacht. Die Schirn widmet sich in einer umfassenden Retrospektive mit über 50 monumentalen Exponaten dem malerischen Werk Julian Schnabels, das in Deutschland seit 1987 erstmals wieder in grossem Umfang zu sehen sein wird.


Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle und Kurator der Ausstellung: "Gerade jetzt, wo wir Zeugen einer weit propagierten Renaissance der zeitgenössischen Malerei werden, ist der richtige Zeitpunkt, um einen neuen Blick auf die herausragende und eine jüngere Künstlergeneration beeinflussende malerische Position Julian Schnabels zu werfen. Die Retrospektive bietet die einzigartige Möglichkeit, seine Arbeiten in ihrer Grösse, Materialität und Intensität im Original zu sehen und damit das facettenreiche und beeindruckende Œuvre dieses bedeutenden Malers der Gegenwart unmittelbar zu erleben."


Der Name Julian Schnabel gilt als Synonym für monumentale ausdrucksstarke Malerei. Ebenso vielfältig wie die historischen Bezugspunkte des 1951 in Brooklyn, New York, geborenen Künstlers ist auch das Spektrum seiner stilistischen Mittel, Inhalte, Materialien und Symbole, die sich in immer wieder neuen Werkgruppen manifestieren. Schnabel hat sich von Beginn seiner Karriere an nicht in eine Stilrichtung einordnen lassen. "Stil ist", sagt Schnabel, "ein Nebeneffekt der Intention. Ich glaube, man tut etwas auf eine bestimmte Art - wie man zum Beispiel ein Hemd anzieht -, und im Umgang mit den Materialien stellt man fest, dass sich mehrere Alternativen ergeben. "Freiheit" bedeutet also, in vielen verschiedenen Dingen Möglichkeiten zu sehen".


Schnabel startete seine künstlerische Karriere als Stipendiat des "Whitney Independent Study Program", einer der einflussreichsten Kaderschmieden für Künstler und Kuratoren. Das Stipendium ermöglichte ihm 1973 die Rückkehr aus Texas nach New York sowie die Bekanntschaft mit vielen wichtigen Künstlern der damaligen New Yorker Kunstszene, die von der Performance-, Concept- und Minimal Art dominiert war. Zu diesen Eindrücken gesellte sich die Auseinandersetzung mit der europäischen Malerei, insbesondere der italienischen sakralen Freskomalerei Giottos und Fra Angelicos, deren "Massstab und spezifisches Gewicht" Schnabel auf einer ausgedehnten Europareise 1976 als besonders beeindruckend empfand.


Ende der 1970er Jahre entwickelte Schnabel seine ersten grossformatigen "Tellerbilder", in denen er die Bildfläche durch das Applizieren zerbrochener Tellerscherben aufbrach und dadurch einen dynamischen Maluntergrund schuf, der, so Schnabel, "eine Figuration wie eine Kreuzabnahme oder Pieta aushielt, ohne dabei manieristisch zu sein". Auf einer solchen Oberfläche kraftvoll und expressiv Figurenbilder zu malen, die bisweilen collagenhaft mit klassischen Themen umgehen, schlug Betrachter und Kunstwelt in den Bann.


Die ersten Ausstellungen der "Tellerbilder" und Arbeiten mit Wachs 1979 in New York machten den damals knapp 30-jährigen Schnabel in kürzester Zeit zu einem Superstar der Neuen Malerei. Unmittelbar darauf folgten grosse Ausstellungen seiner Werke im Stedelijk Museum in Amsterdam, in der Tate Gallery und der Whitechapel Art Gallery in London, im Centre Pompidou in Paris, in der Kunsthalle Düsseldorf, im Whitney Museum of American Art in New York, im San Francisco Museum of Modern Art und in anderen Häusern.


Den Erfolg seiner Arbeiten verbildlicht die überraschende Rückkehr der Malerei als originäres künstlerisches Medium in den 1980er Jahren. Schnabel dazu: "Ich dachte, wenn Malerei tot ist, dann ist es gerade richtig, mit dem Malen zu beginnen. Die Leute haben so lange über den Tod der Malerei geredet, nun sind die meisten von denen selbst tot". Der Markt überschlug sich vor Begeisterung, und die arrivierte Kritik spaltete sich umgehend in zwei Lager. Feierten die einen die Wiederkehr der Malerei und allen voran Schnabel als deren Galionsfigur, sahen die anderen darin einen Rückschritt in längst überholte, erschöpfte künstlerische Ausdrucksformen. Mindestens zwei weitere "Tode" ist die Malerei in der Zwischenzeit gestorben, erst vor kurzem wurde erneut ihre Wiedergeburt gefeiert.


Schnabels Hang zu materialbestimmten Oberflächen und seine Vorliebe für Objets trouvés führten eine neue, spielerische Materialität in die zeitgenössische Malerei ein, die deutlich im Gegensatz zur Reduktion des Minimalismus stand. Schnabel arbeitet mit Öl, Wachs, Emulsion, Gips und diversen Objekten und verwendet als Malgrund Leinwand, Holz, Masonit, Scherben, Lumpen, Samt, Musselin, Lastwagenplanen oder ornamentale und figurative Drucke. Diese Materialien sind für Schnabel nicht neutral; er nutzt vielmehr deren Vergangenheit, "um einen realen Ort und eine reale Zeit in der ästhetischen Wirklichkeit anzusiedeln". Sie sind Zeichen, Fragmente der Geschichte, die unhierarchisch und ungeachtet ihrer verschiedenartigen Beschaffenheit und Herkunft auf der Leinwand zusammenfinden und in einem hohen Mass die sinnliche und taktile Erfahrung seiner Werke ausmachen und ihnen skulpturalen Charakter verleihen.


Das Verbinden unterschiedlichster Stränge, figurativer und abstrakter Motive sowie das Zusammenführen einander im Grunde abstossender Elemente sowohl im Materiellen, Formalen, Inhaltlichen und in bisweilen rohen Farbkollisionen geben den Arbeiten eine dissonante, fragmentarische Qualität. Neben den unterschiedlichen Materialien trägt die Grösse der Arbeiten, die selten ein Mindestmass von 2 x 2 Metern unterschreiten und bis zu 5 x 8 Metern einnehmen, wesentlich zu ihrer physischen Präsenz bei. Schnabels Arbeiten ordnen sich dem Raum nie unter, sondern scheinen vom Raum Besitz zu ergreifen und ihn zu transformieren.


So unvoreingenommen Schnabel die unterschiedlichsten Materialien und grossen Formate handhabt, so frei geht er in der Wahl seiner Themen und Motive vor. Schnabel reagiert auf sein unmittelbares Umfeld, die spezifische Stimmung eines Ortes oder auf persönliche Erlebnisse. Die Bildtitel und Texte in den Arbeiten funktionieren häufig wie ein notizenhaftes Tagebuch des Künstlers, der zwischen profanen Alltagserlebnissen und bedeutungsvollen Ereignissen keinen Unterschied macht. So kann beispielsweise die auf vorwiegend Rot-Weiss-Schwarz-Kontraste reduzierte abstrakt-figurative Bildgruppe "Lola" den Namen seiner Tochter tragen, ein sinnlich-pastoses Werk wie "Ozymandias" einen autobiografischen Bezug zum gleichnamigen Gedicht des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley herstellen oder ein erdiges Scherbenbild wie "Mud in Mudanza" den profanen Schriftzug "Mudanza" auf spanischen LKWs zum Titel erheben. Namen bekannter oder unbekannter Personen, torsohafte, spontan aufgenommene Satzteile aus Wörtern und Buchstabensequenzen können als integrale Bestandteile der Bilder zu kraftvollen Ikonen und damit zu idealen Projektionsflächen für Emotionen und Erinnerungen des Betrachters werden. Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die "Recognitions-Serie". In ihr wird die Schrift, die sich bildfüllend vom groben Wachstuchhintergrund abhebt, zum bestimmenden Bildelement, das gleichermassen motivische wie abstrakte Qualität besitzt.


In den 1990er Jahren hat Schnabel als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur neben seiner Beschäftigung mit Malerei zwei ausserordentliche Filme geschaffen. Sein Erstlingswerk "Basquiat" (1996) erzählt aus einer sehr nahen Sicht vom Leben und Tod seines Freundes und Malerkollegen Jean-Michel Basquiat. Sein zweiter Film "Before Night Falls" widmet sich in teilweise berückend schönen und berührend drastischen Bildern der Geschichte des kubanischen Schriftstellers Reinaldo Arenas und wurde 2000 bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Preis der Jury ausgezeichnet.


Trotz seiner Erfolge als Filmemacher und seines mittlerweile grossen bildhauerischen Œuvres ist die Malerei stets Schnabels primäre künstlerische Ausdrucksform geblieben. Seine Malerei verweigert sich nach wie vor jeglicher Berechenbarkeit, nach wie vor gleicht keine neue Werkgruppe der vorherigen. Seine Werke oszillieren zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen Grenzenlosigkeit und Begrenztheit des Raumes, zwischen grosser Emphase und stiller Gelassenheit, kräftigen und zurückgenommenen Farbpaletten, zwischen Detailreichtum und grosser Geste.


Ausstellungsdauer: 29.1. - 25.4.2004
Öffnungszeiten: Di, Fr-So 10 - 19 Uhr, Mi/Do 10 - 22 Uhr


Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römberberg
D-60311 Frankfurt am Main
Telefon +49 69 29 98 82-0
Fax +49 69 29 98 82-240
E-Mail welcome@schirn.de

www.schirn.de




Julian Schnabel
Paintings 1978 - 2003



Since the artist's first sensational exhibitions shown in New York in the early 1980s, Julian Schnabel's works have been celebrated enthusiastically as a new culmination of painting, a genre that had been declared dead. Both his "Plate Paintings" based on porcelain shards and his highly expressive large-format oil paintings have found their way into all important international collections. Schnabel also made a name for himself as a film director and scriptwriter with his first film about his friend and painter-colleague Jean-Michel Basquiat in 1996 and his second film "Before Night Falls." The comprehensive retrospective at the Schirn comprising more than 50 monumental works focuses on Julian Schnabel's oeuvre as a painter, presented in Germany on such a large scale for the first time since 1987.


Max Hollein, Director of the Schirn and curator of the exhibition: "Today, at a time that sees a widely propagated renaissance of contemporary painting, seems to be exactly the right moment for a reassessment of Julian Schnabel's position as a painter which is not only outstanding but also exercises a decisive influence on a younger generation of artists. The retrospective offers the unique opportunity to view his work in its original dimension, materiality, and intensity and to explore this significant present-day painter's many-faceted and impressive oeuvre in direct confrontation."


The name Julian Schnabel is a synonym for monumental highly evocative paintings. The historical reference points of the artist, who was born in Brooklyn, New York, in 1951, are as manifold as the range of his stylistic means, contents, materials and symbols, which manifest themselves in always new workgroups. Schnabel's works have defied any stylistic categorization from the very beginning of his career. He considers "style […] a side effect of intention. I think you do something in a certain way - say, put on a shirt - and when it comes to the material you realize you have several options. So ‘freedom' means recognizing possibilities in many different things".


Schnabel began his career as an artist when he received a scholarship from the Whitney Independent Study Program, one of the most influential elite training centers for artists and curators. The scholarship enabled him to return from Texas to New York in 1973 and to get to know many important artists of the New York scene dominated by Performance, Concept and Minimal Art at that time. Apart from these impressions, Schnabel was very interested in European painting, above all in Italian religious fresco painting by Giotto and Fra Angelico, whose "scale and specific weight" he found especially inspiring during an extensive tour through Europe in 1976.


In the late 1970s, Schnabel developed his first large-format "Plate Paintings," in which he opened the pictorial surface by incorporating pieces of broken plates. This provided a dynamic ground, which, according to Schnabel, "could hold a figuration like a Descent from the Cross or a Pietà without becoming manneristic". The powerful and expressive figurative representations on these surfaces, some of which dealt with classical themes in the form of a collage, captivated both the public and the art world. The first exhibitions presenting his "Plate Paintings" and works with wax in New York in 1979 made Schnabel, who had hardly completed his 30th year, a superstar of New Painting.


Immediately afterwards, major exhibitions of his works were shown in the Stedelijk Museum in Amsterdam, the Tate Gallery and the Whitechapel Art Gallery in London, the Centre Pompidou in Paris, the Kunsthalle Düsseldorf, the Whitney Museum of American Art in New York, the San Francisco Museum of Modern Art, and in other institutions.


The success of his approach is unequivocally documented by the surprising renaissance of painting as an original artistic medium. Schnabel on the subject: "I thought that if painting is dead, then it's a nice time to start painting. People have been talking about the death of painting for so many years that most of those people are dead now". The market went into raptures over his achievements, and the established critics immediately split into two camps. While one side celebrated the return of painting and Schnabel as its figurehead, the other side complained about a step back to long antiquated, exhausted artistic forms of expression. Painting has died at least two deaths in the meantime, and its rebirth has been hailed again only the other day.


Schnabel's fondness for surfaces with an explicit character and objets trouvés established a new, playful materiality in contemporary painting which formed a sharp contrast to the reduction of Minimalism. Schnabel worked with oil, wax, emulsion, plaster, and diverse objects and relied on canvas, wood, Masonite, broken plates, rags, velvet, muslin, truck tarpaulins, and ornamental and figurative prints as his grounds. The artist regards these materials as anything but neutral; he rather exploits their past "in order to bring a real place and time in the aesthetic reality". His grounds are signals, fragments of history juxtaposed on the canvas in a nonhierarchic manner and independent of their different quality and provenance; they constitute the sensuous and tactile character of his works to a great extent and endow them with a sculptural character. The joining of disparate strands, figurative and abstracts motifs, the linking of fundamentally antagonistic elements as regards material, form, and contents, as well as the decision for sometimes crude collisions of color provide them with something essentially dissonant and fragmentary. Aside from the various materials, the size of his paintings, which are rarely smaller than 2 x 2 meters and measure up to 5 x 8 meters, contributes substantially to their physical presence. Schnabel's works never submit to their surroundings but rather seem to take possession of the spaces and to transform them.


Schnabel's attitude towards his materials and formats is as unbiased as his choice of subjects and motifs is free. He reacts to his immediate environment, the specific atmosphere of places, and to personal experiences. The titles of his pictures and the texts in his works are often like notes in a diary that does not distinguish between everyday occurrences and significant events. This is why an abstract figurative group of pictures titled "Lola," for example, which basically relies on a reduction to contrasts of red, white, and black, can bear the name of his daughter, a sensuous blottesque work like "Ozymandias" may establish an autobiographical reference to the English Romantic poet Percy Bysshe Shelley's poem of the same name, or an earthy shard picture like "Mud in Mudanza" can adopt the quite ordinary writing to be found on Spanish trucks as its title. As integral parts of his pictures, names of known and unknown persons, torso-like sentence parts spontaneously assembled from words and sequences of letters turn into powerful icons and, thus, into ideal projection surfaces for the viewer's emotions and recollections. The "Recognitions" series is a striking example for this. Here, the writing, which, filling the entire surface, stands out from the coarse oilcloth background, becomes the decisive component of the composition which breathes both a motific and an abstract quality.


Besides dedicating himself to painting, Schnabel made two extraordinary films in the 1990s, acting as producer, scriptwriter, and director. He made his début with "Basquiat" (1996), in which he tells the story of his friend and painter-colleague Jean-Michel Basquiat's life and death from a very close point-of-view. In sometimes ravishing and touchingly drastic pictures, "Before Night Falls," his second film, focuses on the Cuban author Reinaldo Arenas; the film was awarded the Jury's Prize at the Venice Film Festival in 2000.


Painting has remained Schnabel's primary form of expression as an artist despite his successes as a filmmaker and his numerous sculptural works. Schnabel's paintings are still anything but foreseeable; each work group is still different from the one before. His works oscillate between abstraction and figuration, open and limited spaces, grand emphasis and calm composure, between strong and moderate color palettes, richness in detail and magnificent gesture.


January 29 - April 25, 2004