© Mathilde ter Heijne
"Menschen Opfern", 2002
sound installation with life-size dummies on platform


Mathilde ter Heijne
Number One


Mathilde ter Heijnes Auseinandersetzung mit politischer Gewalt und Machtverhältnissen in unserer Gesellschaft, verbunden mit einer Hinterfragung ihrer Rolle als Künstlerin, dominieren das Werk der Niederländerin. Vor allem das Motiv der Opferrolle, der Selbstopferung bis hin zur Selbstverbrennung, stehen im Vordergrund ihrer Arbeit.

Die Ausstellung "Number One" knüpft an diese Thematik an. Ihre jüngste Installation "Menschen Opfern", im ersten Ausstellungsraum, konfrontiert den Besucher mit fünf lebensechten Doubles der Künstlerin, die auf einer Plattform gruppiert sind. Das Szenario verstümmelter Körper birgt Assoziationen von Menschenopferritualen, wie sie angeblich während der Antike praktiziert wurden. Zugleich erinnert es an die Bühnen antiker Theater, auf denen die blutigen Tragödien zum Leben erweckt wurden.

In der Tat basiert diese Arbeit auf der griechischen Tragödie "Iphigenie auf Tauris" von Euripides (ca. 450 v. Chr.). Vom Opferschicksal durch ihren Vater Agamemnon bedroht, um die Göttin Artemis zu besänftigen, wird Iphigenie nicht nur zum Sinnbild des Opfers innerhalb einer patriarchalischen Gesellschaft; in Anbetracht ihrer Rettung vor dem Tod durch die Göttin Artemis selbst, verkörpert sie ferner die Emanzipation der Frau in einer männlich dominierten Welt. Begleitend singt Mathilde ter Heijne selbst den Chor der Diana Priesterinnen aus der Oper "Iphigénie en Tauride" (1779) von Christoph Willibald Gluck, in der die Priesterinnen die Göttin um Versöhnung bitten.

Die Spannung, welche durch die Vervielfachung des Doubles entsteht und an frühere Arbeiten wie "Mathilde, Mathilde…" (2000) oder "Suicide Bomb" (2000) anknüpft, erreicht hier sichtlich ihren Höhepunkt. Der Einsatz von Doubles spiegelt nicht nur die gleichzeitige Annahme und Ablehnung der Opferrolle wider, sondern betont auch den Aspekt der Inszenierung. Das Scheitern der Identifikation mit dem Opfer und die Verschiebung des Schmerzes wird als künstlerische Strategie eingesetzt, um nicht nur die Rolle als Künstlerin, sondern auch die gesellschaftliche und politische Bedeutung als Frau zu hinterfragen.

Die Videoinstallation "Small things end, great things endure" (2001) handelt ebenfalls von der Opferrolle, hier dem Phänomen der Selbstverbrennung. Auch in dieser Arbeit entstammt die Heldin der Literatur: Gesine Cresspahl, eine der Protagonistinnen aus Uwe Johnsens Roman "Jahrestage"(1934-84). Der Roman erzählt die Lebensgeschichte von Gesines Mutter, welche die kollektive Schuld an den Verbrechen der Nazionalsozialisten durch den freiwilligen Flammentod zu sühnen sucht. Ter Heijne gibt der Geschichte ein neues Ende: Sie projiziert die Entscheidung der Mutter auf Gesine, die angesichts der Gewalt des Vietnamkrieges von

Schuld erfasst, beschliesst, freiwillig aus dem Leben zu treten. Im Loop zeigt das Video den Akt der Selbstverbrennung, mit der Künstlerin in der Rolle Gesine Gresspahls. Eine weibliche Stimme, dem Film von Margarete von Trotta entnommen, bittet vor dem Selbstmord um Vergebung, während ein männlicher Kommentator, eine Passage aus Johnsons Text rezitierend, die nüchternen Beobachtungen des Ehemanns nach dem Ereignis beschreibt. Im Vergleich mit der früheren Installation "For a better world" (2000), welche das Phänomen der Selbstverbrennung als politischen Akt untersucht, wirkt diese Arbeit intimer, weniger distanziert. Erneut delegiert ter Heijne die Opferrolle – wenn auch diesmal in Form einer Romanfigur – und beleuchtet das Thema der Selbstopferung um die Ohnmacht in ihrer Rolle als Künstlerin darzulegen. Die Thematik des Rollenspiels dient ihr ferner dazu, die komplexen Beziehungen von Macht und Ohnmacht in unserer politischen und sozialen Gesellschaft aufzuweisen.

1969 in Straßburg, Frankreich, geboren, studierte ter Heijne an der City Academy in Maastricht. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Nach verschiedenen erfolgreichen Ausstellungen in Europa und den USA, war sie jüngst in einer Einzelausstellung im migros museum für Gegenwartskunst, Zürich, zu sehen. "Number One" ist die zweite Ausstellung der Künstlerin bei Arndt & Partner.


Ausstellungsdauer: 14.9. - 26.10.2002
Oeffnungszeiten: Di-Sa 11-18 Uhr

Galerie Arndt & Partner
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D-10117 Berlin
Telefon +49 (0)30 280 81 23
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