© Rachel Khedoori

Rachel Khedoori: 102nd Street, 1997
Courtesy Sammlung Hauser und Wirth, St. Gallen/Schweiz


Mehrfach belichtet / Multiple Exposure

Matti Braun
, Ricarda Denzer, Jeanne Faust / Jörn Zehe, Katarzyna Józefowicz, Rachel Khedoori, Philipp Lachenmann, Bruno Serralongue


Das Zusammenspiel von vorgefundenen, medial geprägten und erlebten, vorgestellten und erinnerten Bildern steht im Mittelpunkt der Ausstellung "Mehrfach belichtet / Multiple Exposure". Lässt sich die "Mehrfachbelichtung" zunächst als eine technische Unregelmässigkeit definieren - wenn der Film in der Kamera nicht korrekt transportiert, kann es zu mehrfachen Belichtungen auf einem Negativ kommen -, wurde sie künstlerisch bald als bewusstes Stilmittel genutzt.


Für die Ausstellung "Mehrfach belichtet / Multiple Exposure" steht der Begriff als Metapher für die Überlagerung von eigenen und fremden Bildern, von Pose und Inszenierung, von medial vermittelten und fiktiven Momenten in der Wahrnehmung und Konzeption von Realität: ein alltäglich erfahrbares Phänomen, dem die eingeladenen, international vertretenen KünstlerInnen in verschiedene Richtungen nachgehen. Bezugsfelder sind neben Druckmedien, Fernsehen und Kino auch Aspekte des Dokumentarischen.


Die Videoprojektion "TÜR Vierzehn - reading in absence" (2001) von Ricarda Denzer (A) setzt die mediale Struktur des Erzählens, mit der wir unsere Umgebung zu interpretieren gewohnt sind, ins Bild. Eine Kamera wandert durch eine leer stehende Wohnung. Anhand der verbliebenen Einrichtungsspuren suchen sechs ErzählerInnen aus dem Off den Alltag der ehemaligen BewohnerInnen zu rekonstruieren. In diesem Wechsel zwischen Beobachtung und Fantasie wird die Wohnung zum Schauplatz einer vielschichtigen, teils widersprüchlichen Erzählung.


Der Film "sonst wer wie du" (2003) von Jeanne Faust und Jörn Zehe (D), der für "Mehrfach belichtet / Multiple Exposure" entstanden ist, inszeniert eine alltägliche Situation. Zu sehen ist eine Totale, aufgenommen zwischen Hall in Tirol und Innsbruck. Vor dieser Kulisse spielt eine kurze Szene, fast wie ein Ausschnitt aus einem längeren Film - ein Dialog zwischen einem jungen Polen, der auf dem Feld arbeitet, und einem Einheimischen. Faust / Zehes Film-"Panorama" bildet die Bühne, auf der verschiedene Bilder und Erwartungen aufgerufen werden: Projektionen des Fremden und Vertrauten, aber auch Vorstellungen des "Alpenländischen", dessen Bildreservoir sich u. a. aus Heimatfilmen, Landschaftsmalerei, Tourismuswerbung speist und das auf das vorhandene Nebeneinander von Landwirtschaft, Kleinindustrie und Gewerbebetrieben stösst.


Die Videoinstallation "Code Talker" (2001) von Philipp Lachenmann (D) und die Arbeit "La Pekuniala Teorio di Silvio Gesell" (2002) von Matti Braun (D) gehen medialen Übertragungs- und Aneignungsprozessen und damit verbundenen Bedeutungsverschiebungen nach. Sprache als Mittel der Kommunikation sowie die Unmöglichkeit direkter "Übersetzungen" spielen in beiden Fällen eine wichtige Rolle. Bei Lachenmanns Videoporträts, einer Mischung aus Selbst- und Fremdinszenierung, deutet sich dies bereits im Titel "Code Talker" an: Er bezieht sich auf eine zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte Geheim-Sprache der Navajos, die in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts in den Dienst der US-Army gestellt wurde.


Ausgangspunkt von Matti Brauns "La Pekuniala Teorio di Silvio Gesell" ist der Deutsch-Franzose Silvio Gesell, dessen Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte Idee des "Freigelds" in den dreissiger Jahren u. a. in Wörgl (Tirol) für kurze Zeit umgesetzt wurde. Montiert aus dokumentarischen Fotografien und ergänzt durch bewegte Diagramme, betont die elliptische Struktur von Brauns Video die Dialektik von fotografischem Stillstand und der Verknüpfung von Einzelbildern zu filmischer Bewegung. Es handelt sich um eine immer wieder angehaltene Meta-Erzählung, die Brüche und Auslassungen erkennbar werden lässt.


Katarzyna Józefowicz (PL) verdichtet die Allgegenwärtigkeit schnell vergänglicher Bilder in Tages-
zeitungen und Zeitschriften in einer räumlichen Figur. "Carpet" (Black and White), 2000, collagiert unzählige Zeitungsausschnitte von Gesichtern zu einer circa elf Quadratmeter grossen Bodenarbeit. Die Bedeutung des einzelnen Bildes wird durch das obsessive Nebeneinander relativiert: eine Verräumlichung der unablässigen Zirkulation bereits reproduzierter, veröffentlichter Bilder.


Die Foto-Serien von Bruno Serralongue (F) zeigen Ereignisse von hohem Symbolwert, die für und durch die Medien inszeniert sind. Durch den langwierigen Aufnahmeprozess mit einer Grossbildkamera und die teils aufwendigen Formate - wie bei "Expo 2000" (2000) - begegnet Serralongue flüchtigen Medienereignissen mit einer Strategie der Langsamkeit. In "Risk Assessment Strategies" ("Strategien zur Einschätzung von Risiken", 2002) treibt er seine Reflexion der ästhetischen, sozialen und politischen Dimension von Bildern und der Bedingungen ihrer Entstehung weiter: Aufgenommen in einem Trainingscamp für JournalistInnen, die in Krisengebiete entsandt werden und vorher in künstlichen Szenarien lernen, sich vor Gefahren zu schützen, thematisiert diese Serie die Fabrikation des vorweggenommenen Ereignisses.


"102nd Street" (1997) von Rachel Khedoori (AUS) lässt den Aspekt der Vervielfältigung gewohnter Perspektiven zu einer körperlich-räumlichen Erfahrung werden. In einem abgedunkelten Raum projiziert ein 16mm-Filmprojektor einen zweistündigen Film - zu sehen sind langsame Kamerafahrten entlang der 102nd Street im kalifornischen Inglewood - durch einen diagonal montierten Spiegel in einen Guckkasten. In einer weiteren Projektion werden die Bilder an der Wand dahinter gedoppelt. Der filmische Apparat wird zu einem skulpturalen Element, das keine Perspektive bevorzugt und dadurch den Umraum - und die BetrachterInnen - einbezieht: eine modellhafte Verschränkung vorhandener und projizierter Räume und Bilder und eine bewusste Dezentrierung der Perspektive.


Ausstellungsdauer: 22.11.2003 - 11.1.2004
Öffnungszeiten: Di-So 11 - 18 Uhr, Do 11 -20 Uhr


Galerie im Taxispalais
Maria-Theresien-Strasse 45
A-6020 Innsbruck
Telefon +43 512/508-3170
Fax +43 512/508-3175
E-Mail: taxis.galerie@tirol.gv.at

www.galerieimtaxispalais.at


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