Installationsansicht in der Galerie Mark Müller, 2006

Installationsansicht in der Galerie Mark Müller, 2006


Memory Lines and Washing Lines

Moritz Altmann
, Horthur Augustsson, Patricia Bucher, Alice Creischer und Monika Baer, Felicita Felley, Andreas Lang, Eileen Leung, Bernd Mechler, Jens Nordmann, Bernd Ribbeck, Giacomo Rogado, Tanja Thorjussen, Jens Ullrich


Katharina Grosse und Christine Streuli - beide von der Galerie Mark Müller vertretene Künstlerinnen - haben 13 Künstlerinnen und Künstler, von deren jeweils individueller Ausdrucksform sie beeindruckt sind, eingeladen, an einer Gruppenausstellung teilzunehmen.


Die Ausstellung befasst sich mit Themen wie Erinnerung, Alltag, Notizen, Skizzen, dem Ziehen von Linien und Verbindungen von einem Ort zum anderen. Insofern beschreiten auch Katharina Grosse und Christine Streuli einen neuen Weg, indem sie neue Verbindungen möglich machen und neue Verknüpfungen herstellen, weshalb die Ausstellung auch den Titel "Memory Lines and Washing Lines" trägt.


Am gemeinsamen Ausgangspunkt stand die Begeisterung für die kleinen Arbeiten von Bernd Mechler, als deren Gegenüber sich das Konvolut von Bernd Ribbeck betrachten lässt. Ribbecks Zeichnungen verweisen deutlich auf die konstruktivistische Wurzel der Galerie Mark Müller, wenden sich aber in ihrer Programmatik und ihrer Referenz auf die dingliche Umgebung wiederum von ihr ab. In diesem Sinn lässt sich Jens Ullrichs Drahtrelief als architektonische Verbindung zu Mechler und Ribbeck verstehen.


Diesen Hintergrund ergänzt die Präsentation von Zeichnungen des Künstlers und Architekten Horthur Augustsson, die ein Amalgam von russischer Avantgarde und Minimalismus bilden und gleichzeitig für unsere Vorgängergeneration und die Position eines Aussenseiters stehen.


Die folgenden drei Positionen erweitern diesen Hintergrund, präsentiert in kleinstmöglichem Format: Andreas Lang beschäftigt sich intensiv mit der Generation von Bildsystemen, ob "figürlich" oder nicht. Er ist in seinem operativen Denken organischer und erzählender als Ribbeck, ordnet das Liniensystem aber der Fragestellung klarer unter als Mechler.


So wichtig das deutliche figürliche Instrumentarium bei Lang ist (auch im Verhältnis zu Ribbeck), so nötig ist Alice Creischer und Monika Baer's politisches Vorgehen. Sie präsentieren Zeichnungen, die man nicht zeichnen würde; eine Bestandesaufnahme, die nicht wertet. Sie nehmen wahr, ohne etwas für "wahr" zu nehmen. Anlass ihrer Zeichnung war die Eröffnung der Flickausstellung, anlässlich derer sie einfach "beobachteten" und zeigen, wie sich verschiedene Themen überkreuzen und so eine neue Sichtbarkeit von Sachverhalten darstellen, sozusagen ein kommentarhafter Zusammenhang.


Eileen Leung bringt viele einfache Bewegungen der zeitgenössischen Diskussion in ihrer Arbeit zusammen; das unregelmässige Format, die mühelose Kommunikation zwischen Erzählung und nicht-referentieller Bildlichkeit und die Positionierung im Raum. Spielerisch geht sie in ihrer Arbeit mit den verschiedenen Massstäblichkeiten um. Der asiatische Einfluss auf ihre Arbeit ist dabei nicht zu übersehen. (Katharina Grosse)


Felicita Felley's Arbeiten scheinen eine Verbindungslinie zu ihrer Kindheit zu ziehen. So entstehen kleine, skurrile, oft sehr persönliche Skulpturen, wie zum Beispiel der in Bronze gegossene Panzer ihrer ehemaligen Schildkröte "Sandokan", oder die Skulptur "Paris sucht", die ihren Hund Paris zeigt, wie er suchend nach Nahrung die Nase rümpft. Erinnerungen, Anekdoten, persönliche Geschichte(n) und Alltag werden hier auf sehr humorvolle und persönliche Art und Weise festgehalten.


Moritz Altmann befasst sich in der ausgewählten Serie von Zeichnungen mit dem Versuch, Gespräche in Zeichnung zu übersetzen. Er nahm jeweils Papier und Stift zu Hilfe, als er im spanisch-sprechenden Chile versucht hat, sich zu verständigen oder zu verstehen, was sein Gegenüber ihm zu erzählen hat. Es entstanden Kribbel-Zeichnungen, die der Versuch sind, sich ohne Sprache verständlich zu machen. Linien, die eine Verbindung zwischen hier (Moritz) und dort (das Gegenüber) knüpfen; Erzählung ohne Sprache; gezeichnetes Sprechen. Die Papierarbeiten halten skizzenartig fest, was vergängliche/ verloren gegangene Gespräche gewesen wären. Somit wird die Linie zur Sprache - und die Sprache zur Linie.


Jens Nordmann arbeitet kontinuierlich am Rorschachabklatsch, von denen es mittlerweile tausende Exponate gibt. Der Abklatsch wird zur Skizze, zum Bild, und evoziert Assoziationen; Zufall, der gesteuert werden will. Die jahrelange Auseinandersetzung mit diesen "Notizen" hat sich sehr stark auf seine Arbeit ausgewirkt. Diese "Zufallsskizzen" führten mehr und mehr zur gesteuerten und ausgefeilten Recherchearbeit, zu einer Perfektionierung eines prinzipiell zufälligen Prozesses und zur jahrelangen und linearen Auseinandersetzung mit der Frage: Was ist ein Bild? Wie entsteht ein Bild?


Nordmanns Objekte funktionieren sehr ähnlich: Was bei seinen Papierarbeiten bunter, gesteuerter Zufalls-Abklatsch ist, ist bei seinen Objekten das alltägliche, herumliegende Material, wie Holz, Stoff, Schnur, Plastik usw. das im Atelier, auf der Strasse oder in Bauhäusern herumliegt. Dieses führt er dann wiederum sehr bewusst und sorgfältig zusammen. Die verschiedenen Materialien lösen Erinnerungen an die "herkömmliche Verwendung" aus, es sind Materialien und Stoffe, die uns allen bekannt sind und im Alltag verwenden werden - zusammengeführt jedoch evozieren sie neue, unbekannte Bilder, Ideen und Fragen.


Giacomo Rogado meistert es, in seiner Bildwelt Zeichnung und Malerei zu einem Gefüge zusammen zu bringen. Dabei bleibt Zeichnung Zeichnung und Malerei bleibt Malerei - und trotzdem vermitteln die Bildern nie das Gefühl eines "weder noch" oder von grober Collage, wo das eine Medium das andere stört, abschwächt oder erdrückt. Bei der Auseinandersetzung mit Rogados Werk fällt auf, wie die Menschen in seinen Bildern meist die Haltung des Beobachtens, der Schauens, des Glotzens und Spionierens einnehmen: Dies knüpft eine unmittelbare Verbindung zwischen den Betrachtenden des Werkes und der dargestellten, gezeichneten/gemalten Person, die mitten in der pastosen Malerei steht, sitzt oder liegt. Es scheint, als ob Rogado sich während des Zeichnen und Malens immer wieder einen Schritt von seiner eigenen Arbeit entfernt um sich selbst zu beobachten und zu überdenken: Spiegelbilder? Selbstportrait des Künstlers an der Arbeit? Bei Rogados Arbeiten lässt sich eine Linie zwischen "beobachten" und "sich erinnern": ziehen; tauchen doch auch immer wieder diese Zeichnungen und Situationen in Bildern auf, die an vergangene Zeiten erinnern, wo doch eigentlich nur die bunten, dick aufgetragenen Farben vom Hier und Jetzt sprechen. Insofern beschreibt jedes Bild einen Kreis, der sich selber schliesst.


Tanja Thorjussen ist gebürtige Norwegerin, lebte aber die letzten zehn Jahre in New York. Ihre Arbeit spricht davon, wie sehr sie ihre Heimat vermisst. Ihre kleinen, zarten Bleistiftzeichnungen sprechen vom Versuch, sich an ihre verlassene Heimat zu erinnern: Nicht vergessen wollen, wo sie herkommt. Die Zeichnungen sind der Versuch, an Norwegen festzuhalten - tagebuchartig. Es sind Tagtraumfantasien gemischt mit eigenen Kindheitserinnerungen. Dabei wird sehr unwichtig, wie authentisch und wahr alles gezeigt wird. Was auf den Zeichnungen zu sehen ist, sind Linien, die von verträumter, kindlicher Erinnerung an ein verloren gegangenes Zuhause sprechen: Es sind keine Klischees, vielmehr haben wahrscheinlich die Jahre des Weitwegbleibens all die Erinnerungen in romantische, umnebelte, zauberhafte und kindliche Sagen und Märchen verwandelt. Die Zeit scheint stillgestanden zu sein in dem Moment, als sie Norwegen als Jugendliche verlassen hat. In ihrer Sehnsuchtshaltung erinnert und zeichnet sie alles so, wie sie sich an ihr Zuhause erinnern will. Zurück in Norwegen, sind nun neue Bilder von Oslo entstanden, Bilder, die das verlassene New York herbeisehnen.


In Patricia Buchers Arbeiten handelt es sich zumeist um die Rückbesinnung auf das Essentielle; sie stellt Fragen nach dem "Woher", danach, wo das Elementare herkommt und nach den grundsätzlichen Interessen des Menschen. Insofern beschäftigt sie sich mit den Kosmen, mit Mensch und Tier. Sie stellt das Verlangen des Menschen in den Mittelpunkt und gibt sich der Reflektion darüber hin. Dabei verliert die Reflektion über Gewichtiges bei Bucher nie an Humor und Schalk, sondern kommt durch die gewollte Artifizialität dem Essentiellen auf die Schliche. (Christine Streuli)


Katharina Grosse
Christine Streuli
Angelika Ritter


Ausstellungsdauer 10.6. - 22.7.2006

Oeffnungszeiten Di-Fr 12-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr
und nach Vereinbarung


Galerie Mark Müller
Gessnerallee 36
8001 Zürich
Telefon +41 (0)44 211 81 55
Fax +41 (0)44 211 82 20
Email mail@markmueller.ch

www.markmueller.ch
www.likeyou.com/patriciabucher Patricia Bucher