© Carolina Salguero
© Carolina Salguero: "Plume" 11 septembre 2001

new york nach New York
Erinnerung aus einer verletzten Stadt


Die Bilder von den Ereignissen des 11. Septembers 2001, die vom Fernsehen verbreitet und durch die Presse übernommen wurden, sind ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die Ausstellung im Musée de l'Elysée, die bisher unveröffentlichtes Material zeigt, versucht die verschiedenen Gebräuche der Fotografie in diesem besonderen Kontext zu analysieren. Sie möchte zu einer Überlegung über die Art beitragen, wie komplexe Wirklichkeiten bildlich dargestellt werden und untersuchen, wie ein Bild entweder die Rolle des unbestechlichen Zeugen für die Erinnerung übernimmt, oder durch Manipulation zur Meinungsbeeinflussung in den Dienst der Macht gestellt wird. Das Musée de l'Elysée möchte in seiner Stellung als Institution, die der Fotografie gewidmet ist, das Schwergewicht auf die verschiedenen Rollen legen, die das Medium spielt und untersucht daher nicht die Folgen der Ereignisse, deren historische Tragweite viel grösser ist.

Hunderte von Berufs- und Amateurfotografen legten mit ergreifenden Bildern Zeugnis vom Drama ab: die apokalyptische Vision vom Einsturz der Wolkenkratzer, der Exodus einer erschütterten, mit Staub bedeckten Bevölkerung, Anspielungen auf Hollywoods Katastrophenfilme liessen die Fiktion zur Wirklichkeit werden. Während die Videofilme den plötzlichen und brutalen Charakter des Schocks zeigen, isolieren die Fotografien, die aus ihnen herausgelöst sind, die entscheidenden Momente des Aufpralls, den Gegenstand aller Faszination. Im Gegensatz zum Fernsehen, wo der ununterbrochene Strom von ephemeren Bildern ein haluzinatorisches und beinahe unterhaltsames Spektakel bot, ermöglichten die in der ganzen Welt veröffentlichten Fotografien die Feststellung der Tatsachen, die Betrachtung eines unbeschreiblichen Chaos und sogar eine kritische Reflexion. So wurde die Doppeldeutigkeit der Fotografie deutlich: einerseits als das Medium des Moments, das den traumatischen emotionalen Schock festhält, andererseits als Medium der Geschichtsschreibung, das der Analyse und Untersuchung unterworfen wird.

Ein weiterer Gebrauch der Fotografie spielte eine wichtige Rolle. Die Portraits von Verschwundenen, von geliebten Menschen und lächelnden Gesichtern - traurige Ironie - die auf den Strassen ausgestellt wurden und als Vermisstenanzeigen dienten, wurden im Laufe der Tage zu mit Blumen und Kerzen geschmückten Denkmälern für die Opfer. Die Feuerwehrleute und Polizisten wurden sehr schnell zu Nationalhelden gemacht und die Flagge zum Zeichen der patriotischen Vereinigung (die heilige Allianz verkörpert in "United we Stand"). Sehr schnell wurde eine Kontrolle über die im Umfeld des World Trade Center gemachten Aufnahmen eingeführt. Die Zensur der Gesamtheit der amerikanischen Medien offenbarte sich im Fehlen von Bildern, die die Leichname zeigten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wo die Grenzen zwischen fotografischer Wahrnehmung und politischer Propaganda liegen.

Doch die Zerstörung eines Symbols der Moderne - des Wolkenkratzers - und der Schlag gegen die Finanzwelt bezeichnen tatsächlich den Tod eines Allmachtsmythos. Die Sehnsucht drückte sich durch die massive Verteilung von Postkarten aus, die New York intakt zeigen, während die zerstörte Stadt zum Gegenstand erst ästhetischer, dann kommerzieller Verwertung wurde. In der Kollektivausstellung "Here is New York: a Democracy of Photographs", wo jeder, der seine Erfahrung der Ereignisse durch ein Bild, das zu Gunsten der Opfer verkauft wurde, erzählen konnte, zeigte sich ein grundlegend ethisches Bewusstsein.

Jenseits der Fotografien einer Wirklichkeit, die durch die Massenmedien überall hingetragen wurden, bringen die Künstler ihre eigene Interpretation der Tatsachen ein. Gewisse Werke, die vor dem 11. September entstanden, drücken Zweifel und angsterfüllte Vorahnung aus. Die späteren Werke schlagen eine globale Reflexion vor.

So können die vielfältigen Funktionen der Fotografie gezeigt werden: Beweis und Zeugnis, Manipulation und Zensur, Sehnsucht nach einem Mythos und Patriotismus, künstlerisches Werk und gründliche Überlegung.


Ausstellungsdauer: 13.6. - 16.9.2002
Oeffnungszeiten: täglich von 11 - 18 Uhr

Musée de l'Elysée
18, avenue de l'Elysée
1014 Lausanne
Telefon +41 21 316 99 11
Fax +41 21 316 99 12
E-Mail musee.elysee@serac.vd.ch

www.elysee.ch