© Nils Nova

M&N, 2005


Nils Nova
Gegenüberstellung der Erinnerung



"Ceci n'est pas une pipe" behauptete René Magritte 1928/29 dreist, und setzte den kurzen Satz unter das in Öl auf Leinwand gemalte Bild einer Pfeife. Der Maler hatte ebenso Recht wie Unrecht, jedenfalls zettelte er eine ausufernde Diskussion über unsere Wahrnehmung und deren Komplexität an.


Nils Nova behauptet ebenfalls, er stellt in Frage, bricht auf - ordnet im besten Falle neu und lässt die Betrachterin unter veränderten Vorzeichen wahrnehmen.


Es ist Teil von Novas künstlerischer Strategie, den gegebenen Raum, den musealen Kontext von Beginn an als ästhetische Komponente in die Konzeption seiner Arbeiten mit einzubeziehen. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Raum prägt den kreativen Prozess wesentlich, realer wie imaginärer Raum und die Erforschung desselben ist immer wiederkehrendes Thema in Nils Novas Kunst. Der Künstler arbeitet in den Medien Fotografie, Malerei, Video und Installation. Dass sich die verschiedenen Arbeitsbereiche gegenseitig bedingen, zeigt sich insbesondere im installativen Kontext, wo das dichte und ausdifferenzierte Beziehungsnetz, das Nova zwischen seinen einzelnen Arbeiten spannt, greifbar wird.


Für die Ausstellung "Gegenüberstellung der Erinnerung" im Raum für zeitgenössische Schweizer Fotografie der Coalmine Fotogalerie hat Nova den völlig leeren Ausstellungsraum fotografiert. Die Fototapeten zeigen die vier Wände des Ausstellungsraums in der Coalmine. An einer Stelle - in der Ecke links neben der Eingangstür - nimmt die ausgeplotete Fototapete die Massstäblichkeit des real existierenden Raums auf. Hier ist die Komposition an die räumlichen Dimensionen des Saals angebunden, gleichsam geerdet. Von diesem Punkt ausgehend entwickelt Nils Nova eine komplexe, mehrfach gebrochene Auffächerung des fotografierten Raums, die in unsere Wahrnehmung des realen Raums eingreift. Gewählte Ausschnitte ebenso wie die Platzierung der einzelnen Plots irritieren die Raumwahrnehmung des Betrachters beträchtlich. Perspektivische Verschiebungen, Spiegelungen, Verdoppelungen, Ausdehnungen und Weglassungen ebenso wie Vergrösserungen und Verkleinerungen konstruieren einen imaginären Raum.


Besonders eindringlich werden Nils Novas Raummanipulationen in den Ecksituationen. Die perspektivischen Linien der fotografierten Architektur treffen auf diejenigen der realen Architektur, was die vorgefundenen räumlichen Dimensionen des Ausstellungsraums zu erweitern, aufzulösen oder - wenn beispielsweise eine Ecke nicht mehr als hintere Begrenzung des Raums gelesen werden kann, sondern umgestülpt zu sein und in den Raum hinauszuragen scheint - gar umzukehren. Zusätzlich akzentuiert wird dieses ambivalente, beinahe ins Fliessen geratene Raumgefühl durch den Einbezug des Aussenraums sowie weiterer Innenräume, welche sich real oder nur scheinbar hinter den Mauern befinden. Die fotografierten Ausblicke aus den Fenstern legen einen äusseren Raum im Innern nahe, der Blick ins Freie wird zur Sicht nach Innen. An der Stirnseite versperrt das Abbild den Blick in den real existierenden Raum, die Installation verändert hier die Architektur des Ausstellungraums nicht nur auf der Ebene der Imagination, sondern ganz konkret.


In diesem mittels Imagination und Manipulation neu geschaffenen Raum platziert der Künstler drei weitere Arbeiten. Das Ambivalente, Fliessende, beinahe hin und her Schwankende charakterisiert auch die Fotografie "M&N" (2005), das Objekt "Uto-Heterotopie" (2006) und die Ölmalerei "La mise en scène" (2006). Verdichtet und beinahe greifbar wird die Doppeldeutigkeit der gesamten Installation in "Uto-Heterotopie". Das skulpturale Objekt ordnet sich keinem der Räume, weder dem real existierenden noch dem imaginären unter, sondern treibt das Spiel mit den widersprüchlichen perspektivischen Ordnungen auf die Spitze. Auch der Raum der auf der spiegelnden Fläche sichtbar wird, erweist sich als Täuschung, denn es sind nicht der Ausstellungsraum in Winterthur oder der Betrachter selbst, die sich spiegeln. Nils Nova erweitert mit diesem Raum, der sich virtuell hinter der Oberfläche auftut, die Installation um einen weiteren imaginären Raum, gewährt uns Zugang zu einem Ort, den wir nicht kennen, der rätselhaft bleibt. Wieder werden Ort und Zeit in Frage gestellt, wieder werden Konstanten, die wir für unveränderlich gehalten haben, relativiert, wieder gerät der Raum in Bewegung.


Das Gemälde "La mise en scène" (2006) weist auf die Malerei als neben der Fotografie wichtigem Aspekt in Nils Novas künstlerischem Schaffen hin. Ähnlich seinem Umgang mit der Fotografie legt der Künstler auch im Medium der Malerei verschiedene Schichten übereinander. Wie die installativen Arbeiten zeichnen sich auch die Gemälde durch einen ambivalenten Charakter aus, fluktuieren zwischen den beiden weit auseinanderliegenden Fixpunkten Gegenständlichkeit und Abstraktion. Die Hängung des Gemäldes auf der Fototapete lässt es zum festen Bestandteil der Installation werden: die Position des Bildes zeigt dem Betrachter einerseits die Beschaffenheit des realen, physischen Raumes auf, gleichzeitig scheint die Fotografie auf unsere Wahrnehmung der Masstäblichkeit des Gemäldes einzuwirken, das Bild scheint entrückt im imaginären Raum und was letztlich seinen Charakter als Original in Frage stellt.


Die Fotoarbeit "M&N" (2005) schliesslich öffnet einen Raum der Erinnerung. Nur vordergründig handelt es sich um die Spiegelung einer identischen Situation. Die zwei Protagonisten gleichen sich zwar, sind aber nicht ein und dieselbe Person. Ähnlich wie in der Auseinandersetzung mit dem veränderten, manipulierten Ausstellungsraum klingen auch hier Fragen nach der Beschaffenheit der Realität an. Wer ist wer? Gibt es festgelegte Identitäten oder findet auch hier eine Verschiebung, ein Fluktuieren zwischen zwei Polen statt?


Mit subtilen Mitteln bewirkt Nils Nova eine Veränderung in der atmosphärischen Wirkung des Raumes. Der Ausstellungsort wird zum imaginären Raum, zur Bühne für den Künstler und dessen Arbeiten, gleichzeitig ebenso zum Referenzraum für die Gedanken und Assoziationen des Betrachters. Novas komplexe installativen Arbeiten, eigentliche Überlagerungen der verschiedenen künstlerischen Medien, stellen die reale Dreidimensionalität des Raums in Frage und setzen so beim Betrachter eine Kette von Assoziationen um die Themen Wirklichkeit, Fiktion und Täuschung in Gang. Der Künstler bedient sich an den Dingen der alltäglichen Welt, hält sich aber nicht mit dem Komponieren von Zitaten daraus auf, sondern setzt vielmehr zur Irritation unserer Wahrnehmung an, gar zum lustvollen Spiel mit ihr. Nils Nova gibt zwar Hinweise zur Entzifferung der komplizierten Kodierung seiner Bilder, lässt aber letztlich offen, ob er Magrittes Behauptung "Ceci n'est pas une pipe" folgt.


Text: Karin Seiz


Nils Nova wurde 1968 in Santa Ana, El Salvador C.A. geboren, wo er auch einen Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte. Zwischen 1998 und 2001 besuchte er die Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern. Nova hat seither an diversen Einzel- und Gruppenausstellungen teilgenommen und wurde für sein künstlerisches Schaffen bereits mehrfach ausgezeichnet.


Ausstellungsdauer 12.4. - 15.7.2006

Oeffnungszeiten Mo-Fr 8 - 20 Uhr, Sa 8 - 18 Uhr


COALmine Fotogalerie
Raum für zeitgenössische Schweizer Fotografie
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