© Peeter Laurits

Oicumenic Airlines


Peeter Laurits & Ain Mäeots
Speiseplan ins Jenseits



Pull me out of the aircrash
pull me out of the lake
i'm your superhero
we are standing on the edge
Radiohead, "Lucky"


Wahrscheinlich gibt es viele Menschen mit intellektuellen Interessen, die sich einigermassen oder ganz fernhalten von der zeitgenössischen Kunst, sogar wenn es sich um traditionellere Formen wie Mal- oder Photokunst handelt. Einer der Gründe liegt bestimmt darin, dass das zeitgenössische visuelle Schaffen von einem bestimmten Wortschatz (oder auch nur einem vagen Kennen dieses Wortschatzes) umgeben ist, dessen Aneignung oder Navigieren in ihm eine freiwillige Hingabe erfordert.


Bei einem Teil von Kunstauffassungen, -ausstellungen und -werken wird das auch stichhaltig sein. Doch es findet sich auch und vielleicht gerade heute eine Kunst, deren Zweck es ist, höchst einfach zu sein, d.h. eine einfache, klare Geschichte, ein Gefühl oder einen Gedanken zu visualisieren. Das Grundthema des "Speiseplan ins Jenseits" ist in seiner Notwendigkeit einfach und äusserst wesentlich: der Tod.


Im Vergleich zur "Sintflut"-Ausstellung hat sich Laurits' Ton verändert. Vielleicht ist das von der umfangreichen Mitverfasserschaft bedingt (Ain Mäeots: die Bezeichnung "die Ausstellung von Laurits" ist leider ein wenig vereinfachend), mag sein von der Umwertung seiner Rolle, vom Verlassen des Elfenbeinturms. Wenn die "Sintflut" reflektierend, geradezu metaphysisch gewesen ist, so ist das ""Speiseplan ins Jenseits" agressiv, manifestartig warnend. "Sintflut" ist sanft ironisch gewesen, das "Restaurant" schneidend sarkastisch. Den Laurits von der "Sintflut" konnte man einen Sesselanarchisten nennen, den Laurits vom "Restaurant" einen Terroristen.


Der Terrorist (was für ein inhaltsschweres Wort!) eine Institution mit globalem Anspruch, die eine gewisse demokratische Fehlform praktiziert, gebraucht dieses Wort mit einer psychologischen Naivität. Ich gebrauche es hier möglichst positiv, weil ein positiveres und auch genaueres Wort eben fehlt. Ich präzisiere.


Laurits gehört zu denjenigen Photographen, die nicht dokumentieren, sondern inszenieren. Die Bilder des "Restaurants" wirken so, als ob es sich hier um die Aufnahmen von der Dreharbeit eines apokalyptischen Films handelte. Tatsächlich fällt eine vor allem formelle Ähnlichkeit mit solchen Werken wie Coppolas "Apocalypse now", Herzogs "Aguirre: Zorn der Götter" und Godards "Weekend" auf.


Doch Laurits gräbt tiefer als die genannten Meister. Seine Vision durchstreift die ganze Menschheit. In seinem "Film" kämpfen keine Menschen mit Menschen. Menschen sind auf der einen Seite der Frontlinie. Genauer: unter der Frontlinie. Auf Laurits‚ Photos ist der Augenblick schon da, wo es an dieser Front bereits einige Zeit, d.h. bleibend nichts Neues gegeben hat.


Die Botschaft von Laurits ist konkreter geworden, dadurch auch seine Worte. Mehrere Titel sprechen für sich selbst. "Die Seelsorge des Walddiebs", "Oicumenic Airlines" usw. Den letzten Titel trägt ein Photo, das die blutige Leiche einer schön aussehenden und schön angezogenen Stewardess darstellt, vor dem Hintergrund einer schönen Landschaft ragt aus ihrem Bauch die Spitze einer Zwiebelkuppel hervor. Das Triptychon mit dem Titel "Vertrag" zeigt die Kadaver von Yuppies in einer Sandgrube wie in einem Bombentrichter. Wer bringt Flugzeuge zum Absturz und wirft Bomben auf erfolgreiche Leute?


Diese Frage lasse ich von den Titeln der Laurits-Photos beantworten. "Vendetta des Mohns" passt gut. Auf diesem Triptychon vermischt sich Menschenblut mit der Farbe der Mohnblüten. Der Umstand ist nicht am wesentlichsten, dass dies Triptychon formell an Ausschnitte aus einem Gangsterfilm erinnert. Wesentlich ist, dass der Titel ein klares Zeichen abgibt, wer im Kampf liegt. Genauer: gelegen hat.


Ich meine, dass die Bezeichnung "Terrorist" für Laurits des "Speiseplans ins Jenseits" gleich präzisiert werden muss (um die Aufregung des Botschafters der U.S.A. Joseph de Thomas und seiner Untergebenen abzudämmen), dass die Terrorakten von Laurits visuell sind, doch gleichzeitig so real wie es im symbolischen Register irgend möglich ist. Diese Photos sind keine Sätze, sondern Schüsse. Sie sind visuelle Bomben, deren Explosion im Idealfall nicht die Körper der Zuschauer zerfetzen soll, sondern die eingeschlafene Geistigkeit, Zufriedenheit, Selbstverständlichkeit, die im Leben döst.


Auf den Photos des "Speiseplans ins Jenseits" ist der Kampf ausgekämpft. In seiner Vision ist Laurits bewundernswert genau: auf dem Bild "Himmlische Botschaft" liegt ein Haufen von Soldaten und irgendein NASA-Gerät, das gleich der Stewardess von der Gravitation überwunden worden ist. Das einzige lebendige Wesen auf dem Photo ist ein kleines Hündchen. Keine wilde Bestie, kein Baskerville mit blutunterlaufenen Augen, sondern wahrscheinlich das Hündchen von einem Tobias Mindernickel, der ins Gras gebissen hat. Seine Form kann zur cultura gehören, doch sein Inhalt repräsentiert natura. Das Hündchen blickt auf, ist am Leben.


Diese ganze Kanonade von Naturgewalten, der Bombenangriff von Kräften ausserhalb der cultura, wo Gewehrkugeln durch Blumenblüten und Vogelfedern ersetzt sind, Minen durch "Nachkriegs"-Ebereschen und Gasangriff durch Ozon, kann im Rezipienten widersprüchliche Gefühle hervorrufen: etwa wie die Polizeichroniken, wo ein Teil von tragenden Rollen auch wirklichen Leichen gehört. Obwohl Laurits bei weitem nicht so banal die Moral predigt als die Moderatoren dieser TV-Sendungen, kann bei manchem Spötter die Frage auftauchen: "Und dann? Fliegt der Autor selbst nicht dauernd mit Flugzeug?"


Es ist doch nicht so einfach. In einer Ecke der Ausstellung hängt ein Photo, vielleicht das einzige, das nicht inszeniert oder stilisiert ist (wenn doch, dann fällt es nicht auf). Auf dem Bild fehlen Leichen, Spuren von der Tätigkeit der Menschen. Dank diesem Bild wage ich zu behaupten, dass das "Speiseplan ins Jenseits" nicht nur eine grauenhafte Vision von der Ökokatastrophe ist (die nach der Meinung von mehreren klugen Menschen bereits längst begonnen hat). Die Ökokatastrophe bringt die Menschheit in ihrer Ganzheit und für viele viel früher als geplant an die Schwelle des Todes.


In dieser Hinsicht ist es äusserst sympathisch, dass es unter den Teilnehmern am Projekt von Laurits/Mäeots auch diejenigen gibt, denen es in allem "gut" zu gehen scheint, von denen man behaupten könnte, dass sie berühmt, schön, jung und/oder reich sind. In diesem Teilnehmen öffnet sich eine wesentliche Ebene in jeder künstlerischen Tätigkeit: das Ändern der Selbstwahrnehmung, das Entstehen von Selbstreflexion. Eigentlich ist das "Speiseplan ins Jenseits" nicht nur eine Photoausstellung, sondern das Festhalten einer Performance, eines Teilnahmeprojekts. Es wäre interessant zu erfahren, ob die, die da mitmachten, sich noch erinnern, was für ein Gefühl es war, sich ausserhalb seines Erfolgs und seiner Schönheit zu spüren, sich für einen Augenblick als nicht existierend zu empfinden?


Der Titel des Schlüsselphotos heisst "Weltende". Das ist das einzige Photo, wo sich Laurits der Meditativität nähert, die uns aus der "Sintflut"-Ausstellung bekannt ist. Es ist eine einfache und schöne Naturansicht mit dem versumpfenden See im Vordergrund, dahinter Wald. Es ist ruhig, still, hell.


Man könnte ja voraussetzen, dass das durch die Ökokatastrophe hervorgerufene Ende der Welt die heute noch erhaltene Natur zerstört. Die Vision von Laurits ist einfach, und seltsamerweise kann sie dank der unverdorbenen Naturansicht geradezu tröstend wirken: der Mensch ist der einzige, der die Ökokatastrophe nicht überlebt. Ökokatastrophe ist eigentlich Menschenkatastrophe. Diese Photos stellen einen massenhaften Selbstmord dar. Die Natur kämpft nicht. Also kann man sie auch nicht besiegen.


"Weltende" weist auf eine einfache, doch wesentliche Wahl hin. Eine Wahl ist, mit dem Flugzeug zu fliegen. Eine andere aber: mit dem Flugzeug zu fliegen im Bewusstsein dessen, was das bedeutet und was das mitbringen kann ˆ das Vibrierende, Hauchdünne, die Grenzsituation. Eine Wahl heisst, die Landschaft im "Weltende" als Rohstoff, als Schatzspeicher zu verwerten, bis es auf dem Bild nichts "nützliches" mehr gibt. Die andere aber bedeutet, den Ort aufzusuchen, wo das "Weltende" aufgenommen wurde, sich da eine Zeitlang aufzuhalten und, alles im Gedächtnis behaltend, wegzugehen. Oder so dazubleiben, dass die Landschaft nicht zerfällt. Die eine Wahl ist das Glück als Zweck, der alle Mittel heiligt. Die andere Wahl ist zu verstehen, dass das Leben nichts anderes als Glück ist und nicht selbstverständlich, denn die einzige Alternative ist der Tod.


Der Tod, die Sterblichkeit des Lebens ist eine Erscheinung, an die man nicht denken will. Sogar das Alter, das Älterwerden ist vielen nicht annehmbar. Man kann aber auch der Ansicht sein, dass es der Zweck einer jeden intensiveren Denktätigkeit ist, menschliche Sterblichkeit zu verstehen und ihr einen Sinn zu geben. Und dass nicht nur "Warum", sondern auch "Wie" wichtig ist.


Text: Jan Kaus


Ausstellungsdauer: 3.9. - 23.10.2004
Oeffnungszeiten: Di-Sa 14 - 18 Uhr


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