© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2006

Ausstellungsansicht in der Schirn Kunsthalle, 2006
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2006
Foto: Norbert Miguletz


Picasso und das Theater


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Mit dieser Ausstellung rückt die Schirn erstmals in Deutschland Pablo Picasso's Arbeiten für das Theater in den Blickpunkt.


Picasso entdeckte bereits in frühen Jahren das Theater als Inspirationsquelle für seine Kunst. Die Auseinandersetzung mit diesem zieht sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten nahezu durch sein gesamtes Œuvre. Unter den vielfältigen Motiven aus dem Schaubuden- und Volkstheatermilieu spielen vor allem Charaktere der Commedia dell'Arte wie der Harlekin und der Pierrot eine Schlüsselrolle. Picassos Faszination für das Theater spiegelt sich jedoch nicht nur in den Motiven unzähliger Gemälde und Zeichnungen wider, ebenso schuf Picasso berühmte Bühnenbilder und Kostüme. Das künstlerische Engagement für die Bühne erweist sich für den Universalkünstler Picasso als ausserordentlich fruchtbares Experimentierfeld, das im malerischen und bildhauerischen Werk seinen Niederschlag findet. Die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle konzentriert sich im Wesentlichen auf den Zeitraum zwischen 1900 und 1926, den zentralen Abschnitt der lebenslangen Begeisterung Picassos für die Welt der Bühne, und zeigt anhand von über 140 Werken, Fotografien und Dokumenten, wie leidenschaftlich Picasso dem Theater verbunden war.


Die Ausstellung "Picasso und das Theater" wird von der Citroën Deutschland AG gefördert. Zusätzliche Unterstützung erfährt sie durch das Dorint Novotel Frankfurt City und das Mercure Hotel & Residenz Frankfurt Messe.


Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt: "Genau zwanzig Jahre nach der grossen Eröffnungsausstellung "Die Maler und das Theater im 20. Jahrhundert" greifen wir diese Thematik erneut auf, um, in Deutschland erstmalig, sowohl Picassos Beitrag zur Bühnenkunst als auch die Bedeutung des Theaters für sein künstlerisches Werk umfassend zu präsentieren. Im Rahmen der Ausstellung werden Arbeiten immer wieder auch in Beziehung zu Werken gesetzt, die im Umkreis der Bühnenprojekte entstanden sind und so die untrennbare Verflechtung von Picassos Theaterarbeiten mit seinem übrigen Œuvre zur Anschauung bringen."


Olivier Berggruen, Kurator der Ausstellung: "Picasso war Zeit seines Lebens ein umtriebiger Geist, stets auf der Suche nach neuen Lösungen und aussergewöhnlichen Formgebungen. Das Universalgenie erkannte, dass ihm das Theater - und vor allem die Bühnengestaltung - eine faszinierende Metapher für die Methode des Zusammenfügens bot, die er in seinen Gemälden ebenso wie in anderen ungewöhnlichen Arbeiten verwandte und in seinen kubistischen Konstruktionen erfunden hatte. Durch Picassos unbändige Energie wurde seine Arbeit für die Bühne zu einem wertvollen Instrument, mit dem er innovative Ideen und Darstellungsweisen erkundete."


Das Interesse Picassos für das volkstümliche Theater, die wandernden Schausteller, Gaukler, Harlekins und Pierrots, die er hauptsächlich in seinem Frühwerk häufig dargestellt hat und die ihm, wie zahlreichen Künstlern des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, immer wieder als emotionsgeladene Identifikationsfiguren dienten, ist weithin bekannt. Weniger bekannt jedoch ist, welch bedeutende Rolle für Picasso das eigene künstlerische Engagement für die Bühne gespielt hat.


1917 begannen mit der Produktion des Balletts "Parade" in Paris einige ausserordentlich fruchtbaren Jahre der Zusammenarbeit Picassos mit Serge Diaghilew, dem russischen Direktor der 1909 in Paris gegründeten "Ballets Russes". "Parade", ein für seine Zeit avantgardistisches und Aufsehen erregendes Tanzstück, war Picassos erste Arbeit für das Theater. Picasso entwarf in Folge Bühnenbilder, Kostüme und mehrere monumentale Bühnenvorhänge für eine Reihe von gross angelegten Choreografien wie "Le Tricorne" (1919) und "Pulcinella" (1920). Die Kulissen und Kostüme für diese beiden Produktionen zeigen, dass Picasso die Kunst wie auch das Handwerk der Theatergestaltung fürs Ballett zu beherrschen gelernt hatte. In seiner unerschöpflichen Produktivität und Experimentierfreude schuf er hierzu eine beträchtliche Anzahl von Skizzen und Entwürfen, um schliesslich zu einer Lösung für Bühnenbild und Kostüme sowie ihr Zusammenspiel zu finden. Diese Arbeiten sind Dokumente seiner begeisterten Erforschung eines neuen künstlerischen Terrains, das er sich innerhalb kürzester Zeit zu Eigen machte.


In dieser äusserst produktiven Phase verliebte sich Picasso in eine von Diaghilews Tänzerinnen, Olga Koklowa, die er am 12. Juli 1918 in Paris heiratete. Doch diese Beziehung zerbrach, als Olga entdeckte, dass er über Jahre hinweg eine Geliebte gehabt hatte. Obwohl sie die Scheidung einreichte, hatte diese erste Ehe Picassos bis zu Olgas Tod 1954 gesetzlich Bestand, da Picasso seinen Besitz nicht teilen wollte. Weitere Begegnungen mit Tänzern, Musikern sowie Choreografen und speziell die Zusammenarbeit mit Jean Cocteau, Léonide Massine, Erik Satie und Igor Stravinsky inspirierten und forderten Picasso stark heraus. Seine Begeisterung für das bunte und vielfältige Milieu der Ballets Russes, denen in der Ausstellung ein eigener Themenbereich gewidmet ist, findet ihren Niederschlag in zahlreichen herausragenden Zeichnungen - Porträts von seinen Künstlerfreunden sowie Darstellungen von Tänzern, die er immer wieder auf und hinter der Bühne beobachtet hat.


Für eine Ausstellung, die Picassos eigene Theaterarbeiten ins Zentrum rückt, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten der Darstellung. Zahlreiche originale Bühnenbilder und Kostüme sind nicht mehr reisefähig, zerstört oder verschollen. Von den ursprünglichen Choreografien existieren oft nur wenige schwarzweisse Fotografien. Dennoch ist es der Schirn gelungen, einen wichtigen Teil dieser Fotografien, erhaltenen Skizzen und Entwürfe - die Picasso glücklicherweise selbst in seinem Besitz bewahrt hat - zusammenzuführen. Erstmals in Deutschland wird Picassos spektakulärer Bühnenvorhang für das Ballett "Mercure" gezeigt. Die Schau präsentiert darüber hinaus Gemälde und Zeichnungen, die einen faszinierenden Einblick in Picassos künstlerische Auseinandersetzung mit der Bühne eröffnen und zeigen, wie er für jede der Produktionen eine jeweils neue und höchst eigenwillige Lösung erfand. Die Ausstellung stellt diese Arbeiten immer wieder auch in den Kontext von Werken, die im Umfeld der Bühnenvorhaben entstanden sind. Sie veranschaulicht so auch die untrennbare Verknüpfung von Picassos Theaterarbeiten mit seinem übrigen Werk.


Die Beschäftigung mit den Bedingungen der Bühne und den Ausdrucksformen der spezifischen Darstellungsweise erwiesen sich für den Künstler als dankbarer Ausgangspunkt für vielfältige Experimente. Dadurch konnte er scheinbar widersprüchliche formale und stilistische Ansätze in einzigartiger Weise zusammenführen und neue Ausdrucksformen erproben, die auch im malerischen und bildhauerischen Werk ihren Niederschlag fanden. Ein wesentlicher Aspekt liegt in dem sich auf der Bühne vollziehenden Zusammenwirken zwischen Zweidimensionalität und Dreidimensionalität. Ein anderer zentraler Gesichtspunkt ist die Konfrontation mit dem durch die Bühne vorgegebenen grossen Format, die zeitlich nicht zufällig mit der zu Beginn der 1920er Jahre einsetzenden Hinwendung Picassos zu einem monumentalen Klassizismus einhergeht.


Zu seinen in dieser Periode herausragenden Arbeiten zählen seine Studien von Badenden am Strand in Bleistift oder Tinte auf Papier. Der frische lineare Stil und das vom Theater angeregte Spektrum an Körperhaltungen sollten in vielen seiner aussergewöhnlichen Werke der folgenden Jahre häufig wiederkehren. Fliessende Linien etwa vermitteln einen Eindruck von Bewegung, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von Picassos Vertrautheit mit dem Ballett herrührt. Ebenso wirken etwa die Gebärden in dem faszinierenden Meisterwerk "Laufende Frauen am Strand (Das Rennen)" rhetorisch und sorgfältig choreografiert. Auch seine kubistischen Stillleben haben eine theatralische Präsenz. In seinen in Saint-Raphaël entstandenen Kompositionen fokussierte Picasso Alltagsgegenstände, für die er kunstvolle Inszenierungen ersann, wie sie üblicherweise Kulissen für die Bühne vorbehalten waren. So erfuhren unter anderem Bewegung, Choreografie und Musik aus der angewandten Theaterarbeit in Picassos umfangreichem Œuvre eine fulminante Umsetzung.


Katalog: "Picasso und das Theater". Hg. von Olivier Berggruen und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Olivier Berggruen, Asya Chorley, Douglas Cooper, Marilyn McCully, Esther Schlicht, Alexander Schouvaloff, Ornella Volta, Diana Widmaier Picasso. Deutsch-englische Ausgabe, 280 Seiten, 192 Farb- und 59 Schwarzweissabbildungen, Hatje Cantz Verlag, ISBN 978-3-7757-1872-1, Buchhandelsausgabe: gebunden mit Schutzumschlag, Museumsausgabe: Softcover.



Ausstellungsdauer: 21.10.2006 - 21.1.2007
Öffnungszeiten: Di, Fr-So 10 - 19 Uhr, Mi/Do 10 - 22 Uhr


Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römberberg
D-60311 Frankfurt am Main
Telefon +49 69 29 98 82-0
Fax +49 69 29 98 82-240
Email welcome@schirn.de

www.schirn-kunsthalle.de





Picasso and the Theater


This exhibition in the Schirn is the first presentation in Germany that highlights Picasso's works for the theater.


Even in his early work, Picasso found a source of inspiration for his art in the theater. With changing priorities, this fascination runs all the way through his œuvre. Of his many motifs from the world of traveling and popular theater, the figures of the commedia dell'arte like the harlequin and Pierrot played a key role. Picasso's interest in the theater is reflected not only in the motifs of countless paintings and drawings, but also resulted in the creation of a number of famous stage sets and costumes. The commitment to the stage proved to be an extraordinarily fruitful field of experimentation for the universal artist Picasso that manifested itself in both his paintings and his sculptures. The exhibition in the Schirn Kunsthalle centers on the period between 1900 and 1926, the crucial years of Picasso's lifelong love for the world of the stage, and, presenting more than 140 works, photographs, and documents, demonstrates how passionately Picasso was attached to the theater.


"Picasso and the Theater" has been sponsored by Citroën Deutschland AG. Additional support comes from the Dorint Novotel Frankfurt City and Mercure Hotel & Residenz Frankfurt Messe.


Max Hollein, Director of the Schirn Kunsthalle Frankfurt: "Exactly twenty years after the major opening exhibition "Painters and Theater in the Twentieth Century," we again center on this subject to present Picasso's contribution to the theater and examine the role of the theater for his work in a comprehensive manner - which is a premiere in Germany. The show also confronts works by Picasso with other works by him developed in the context of stage projects and thus visualizes how inseparably interwoven his theater works are with the rest of his œuvre."


Olivier Berggruen, curator of the exhibition: "Picasso was a nimble mind throughout his life, always looking for new solutions and extraordinary formal answers. The universal genius realized that the theater, and especially stage design, offered him an intriguing metaphor for the method of fitting things together - a practice he had developed in his cubist constructions and employed in his paintings as well as in other unusual works. Thanks to his boundless energy, his work for the stage became a valuable instrument with which he explored innovative ideas and forms of representation."


We know about Picasso's interest in the popular theater, the nomadizing fairground showmen and clowns, the harlequins and Pierrots, whom he portrayed especially in his early years and repeatedly used as emotionally charged identification figures, as did numerous artists of the late 19th and early 20th centuries. Less known is how important his artistic involvement in the theater was for him.


The production of the ballet "Parade" in Paris in 1917 marked the beginning of an extraordinarily prolific period of collaboration between Picasso and Sergei Diaghilev, the Russian impresario of the "Ballets Russes" founded in Paris in 1909. "Parade," a rather avant-garde and sensational dance piece at its time, was Picasso's first work for the theater. Picasso now designed stage sets, costumes, and several monumental curtains for a number of major choreographies like those for "Le Tricorne" (1919) and "Pulcinella" (1920). The stage sets and costumes for these two productions show that he had mastered the art and craft of theater design for the ballet. In his inexhaustible productivity and eagerness to experiment, Picasso made a considerable number of sketches and studies before he arrived at a solution for stage set, costumes, and an adequate interplay between the two. These works bear evidence of his enthusiastic discovery of a new artistic terrain which he made his own within a very short time.


During this immensely productive period, Picasso fell in love with one of Diaghilev's dancers, Olga Koklova, whom he married in Paris on 12 July 1918. Yet, the relationship broke up when Olga found out that he had had a mistress for years. Though she filed for divorce, Picasso's first marriage lasted legally until Olga's death in 1954 because Picasso did not want to share his possessions. Further encounters with dancers, musicians, and choreographers and, above all, his collaboration with Jean Cocteau, Léonide Massine, Erik Satie, and Igor Stravinsky provided Picasso with a strong inspiration and challenge. His passion for the motley milieu of the Ballets Russes, which the exhibition examines in a special section, has found its expression in numerous outstanding drawings - portraits of his artist friends and pictures of dancers which he repeatedly studied on and behind the stage.


What about the possibilities of presentation for an exhibition that concentrates on Picasso's works for the theater? Many original stage sets and costumes have been destroyed, are considered to be lost, or are in a condition prohibiting their transport. Often, only a few black and white photographs of the original choreography have been preserved. Nevertheless, the Schirn has succeeded in assembling an important part of these photographs, surviving sketches, and designs - which have fortunately remained in Picasso's possession. His spectacular curtain for the ballet "Mercure" will be presented to the public for the first time in Germany. The show will also include a number of paintings and drawings that grant an enthralling look at Picasso's exploration of the stage and reveal how he came up with a new and completely original answer for each production. In various cases, the presentation elucidates the context between these works and others Picasso created in vicinity to his stage projects. Thus, the exhibition also illustrates how closely related Picasso's works for the theater are with what he did apart from it.


Investigating the terms of the stage and the forms of expression characteristic of the medium provided the artist with a worthwhile point of departure for manifold experiments. Thus, he was able to combine apparently contradictory formal and stylistic approaches in a unique manner and test new forms of expression that are also reflected in his work as a painter and sculptor. A crucial aspect is the interaction of two- and three-dimensional elements on the stage. Another essential feature is the confrontation with the large format the stage calls for which, not incidentally, was accompanied by the emergence of a monumental classicism in the early 1920s.


Picasso's outstanding works of that period comprise studies of bathing women on the beach in pencil or ink on paper. The fresh linear style and the range of postures inspired by the theater were to recur in many of the extraordinary works he produced in the following years. Flowing lines giving an impression of movement certainly stem from Picasso's familiarity with the ballet. Equally, the gestures in the astounding masterpiece "Two Women Running on the Beach (The Race)" radiate a definite rhetoric and careful choreography. His cubist still lifes also breathe a theatrical presence. In his compositions from Saint-Raphaël, Picasso focused on everyday objects for which he invented sophisticated mise-en-scènes usually associated with stage sets. Movement, choreography, and music from his practical theater work thus found a brilliant expression in his extensive œuvre.


Catalogue: "Picasso und das Theater / Picasso and the Theater". Edited by Olivier Berggruen and Max Hollein. With a preface by Max Hollein and texts by Olivier Berggruen, Asya Chorley, Douglas Cooper, Marilyn McCully, Esther Schlicht, Alexander Schouvaloff, Ornella Volta, Diana Widmaier Picasso. German/English edition, 280 pages, 192 color and 59 b/w illustrations, Hatje Cantz Verlag, ISBN 978-3-7757-1872-1, bound trade edition with dust jacket, softcover museum edition.



Exhibition: 21 October 2006 - 21 January 2007
Opening hours: Tues, Fri-Sun 10 am - 7 pm,
Wed/Thu 10 am - 10 pm