© Philip Wiegard


Philip Wiegard
Afterhour

Rauminstallation



Als Eröffnungsausstellung in den neuen Räumen zeigen Les Complices* mit Philip Wiegard (*1977) aus Berlin erstmals einen Künstler aus dem Ausland, also auch hier eine geografische Veränderung. Philip Wiegard hat diesen Sommer sein Studium der Bildhauerei an der Universität der Künste Berlin (UdKB) mit der Ernennung zum Meisterschüler abgeschlossen, seine Abschlussarbeit, an welche er thematisch nun auch in Zürich anknüpft, wurde mit dem Präsidentenpreis der UdKB ausgezeichnet.


Stellvertretend für einen fortwährenden Kreislauf und die individuellen, produktiven Kräfte die ihn antreiben, tauchen alte Polstermöbel und Stühle auf wo architektonische und gesellschaftliche Nischen sozial oder kulturell besetzt werden.


Während dies einerseits thematisch dem Charakter von Les Complices* nahe liegt, ist Wiegards Arbeit "Afterhour" andererseits aber auch immer eine direkte Übertragung von formalen Aspekten auf eine inhaltliche Ebene.


Sessel, Sofas und Stühle aus Mülldeponien und Brockenhäusern werden zerlegt und neu zusammengebaut zu eigentlichen, zentralperspektivisch veränderten Vanitas Symbolen, wie sie erstmals Hans Holbein d. J., von der Erfindung der Camera Obscura beeinflusst, in seinen "Botschaftern" (als Totenkopf) dargestellt hat. Wiegard verkürzt die Möbel so, dass sie von einer Ansichtsseite ein verflachtes Abbild ihrer selbst darstellen und nimmt dabei formal einen gewissen Bezug zu den Altarfiguren von Tilman Riemenschneider aus dem frühen 16. Jahrhundert. Die Möbelstücke verlieren so an Funktionalität und Materialität, werden weniger greifbar und verflüchtigen sich am Übergang vom Objekt zum Abbild.


Die zentralperspektivische Verkürzung als illusionistisches Hilfsmittel aus der Malerei erhält durch die Übertragung auf vollplastische Objekte eine gegenteilige Funktion: Während die Illusion in der Malerei durch Täuschung aufrecht erhalten wird, ist sie bei Philip Wiegards Arbeit auf ihre eigene Auflösung hin angelegt. Aus diesem Grund bleiben auch die Arbeitsspuren an den veränderten Möbelstücken deutlich sichtbar.


Einen durchaus physischen Zugang öffnet sich dem Betrachter auch bei der Serie "pop-ups". Die vor allem aus Kinderbüchern bekannten nachempfundenen Aufstellklappbilder entfalten sich beim Öffnen zu kleinen Papierskulpturen und erzielen einen erstaunlichen dreidimensionalen Effekt. Besonders eine einfache und regelmässige Struktur wie die eines Baugerüsts, gewissermassen exemplarisch für die architektonische und gesellschaftliche Lückenhaftigkeit Berlins, lässt sich so fast massstabsgetreu in Miniaturform darstellen. Indem das gefaltete Papier die photographische Abbildung eines echten Baugerüstes zeigt, entsteht die eigentümliche Wirkung einer räumlich erfahrbaren Photographie. Werden die Seiten des Bildes wieder zusammengeklappt, so faltet sich die filigrane Konstruktion in eine Ebene zurück und verschwindet unter dem stabilen Pappdeckel.


Auch hier kann das Oeffnen (Erschliessen) und Schliessen von Raum auf eine inhaltliche Ebene übertragen werden. Die unterschiedlichen Motive der "Pop-up" Bilder, wie etwa ein Flohmarkt vor einer Grossbaustelle, Imbissbuden auf dem ehemaligen Grenzstreifen, oder ein Nachtclub auf einem verlassenen Industriegelände thematisieren wie auch Wiegards Rauminstallation "Afterhour", wie architektonische und gesellschaftliche Nischen zerstört werden und an anderer Stelle wieder neu entstehen.


(Jean-Claude Freymond-Guth, Kuratorium)


Ausstellungsdauer: 21.8. - 13.9.2003
Öffnungszeiten: Mi/Fr 18 - 22 Uhr, Do/Sa 14 - 18 Uhr
oder nach Vereinbarung


Les Complices*
Galerie & Edition
Anwandstrasse 9
8004 Zürich
Telefon 076 320 92 89
E-Mail: les.complice@swissonline.ch