© Ian Kiaer

Ian Kiaer: Endless Theatre project / Ledoux: House of Agricultural Guards (white), 2003
Tinte auf Leinen, Styropor, Pingpongball, Grösse der Installation variabel
Ink on linen, polystyrene, ping-pong ball, Installation dimensions variable
Courtesy the artist, Tanya Bonakdar Gallery, New York & Alison Jacques Gallery, London


Poor Thing

Karla Black
, Robert Breer, Martin Heldstab, Knut Henrik Henriksen, Dagmar Heppner, Karin Hueber, Ian Kiaer, Kilian Rüthemann


Click for English text


Die Ausstellung "Poor Thing" bringt Arbeiten von acht internationalen Künstlerinnen und Künstlern in den historischen Räumen der Kunsthalle zusammen. Nach der umfangreiche Renovation von 2004 ist der ursprüngliche architektonische Charakter der fünf verschieden grossen Räume im Untergeschoss, in der die Ausstellung stattfindet, verändert worden, aber in den Details von Friesen, Wandpfeilern und Oberlichtstrukturen immer noch sehr präsent. Mit ihrer eindrucksvollen Erscheinung, den weissen Wänden und dem Oberlicht folgen die Säle dem typischen Beispiel eines Raumes der zeitgenössischen Kunst, welches im Zuge des 19. Jahrhunderts entstanden ist und im 20. Jahrhundert von vielen Künstlerinnen und Künstlern herausgefordert wurde. Die Künstlerinnen und Künstler reagieren auf individuelle Weise auf den vorgegebenen Ort: Sie haben sich in ihren Arbeiten konkret mit der Architektur der Kunsthalle und deren geschichtlichem Kontext beschäftigt oder bespielen die Räume mit raumgreifenden Interventionen, Objekten und fragilen, Prozess andeutenden Skulpturen, die veränderte Raumwahrnehmungen produzieren.


Die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler nehmen Referenzen zur Minimal Art und Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre auf, formulieren diese jedoch um: Sie entlehnen sich deren Motive oder konzeptuelle Verfahrensweisen, um eine eigene Antwort auf die heutigen veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu artikulieren. Die Künstlerinnen und Künstler arbeiten bevorzugt mit einfachen, unbearbeiteten oder instabilen Materialien, wie sie etwa von Robert Morris (z.B. Filz) oder Eva Hesse (z.B. Schnur, Gummi oder Latex) seit Mitte der 1960er Jahre gebraucht wurden, die sich gegen die industrielle Kühle und die permanenten Materialien der Minimal Art wendeten. Die einfachen und spröden Materialien enthalten für die Künstlerinnen und Künstler die Fähigkeit, persönliche Themen und die eigenen Beobachtungen des Alltags aufzunehmen. Sie untersuchen spielerisch deren skulpturale Qualitäten oder arbeiten mit alltäglichen Gegenständen, die sie durch ungewöhnliche Präsentationsformen aus ihrem gewohnten Kontext lösen. Zwischen Abstraktion, der Repräsentation von unbelebten Dingen und anthropomorphen Formen sowie gefundenen Objekten, eröffnen die Arbeiten assoziative Erzählungen und neue Bedeutungsebenen. Sie sind so auf produktive Weise "poor" und "pure" zugleich.


Die Arbeitsweise des norwegischen Künstlers Knut Henrik Henriksen (*1970) ist die eines improvisierenden Architekten, der mit skulpturalen Interventionen bestehende räumliche Strukturen akzentuiert oder transformiert. In der Kunsthalle zeigt er eine hängende Deckenkonstruktion aus einfachen Holzlatten. Diese verändern die Gestalt des grossen, quadratischen Saals, indem sie dessen ganze Fläche in einer Höhe von 2.40 m - die Standardhöhe von Wohnungen in Norwegen - überziehen. Die Holzlatten in ungeschnittenen, unterschiedlichen Standardlängen hat Henriksen nebeneinander gesetzt, so dass sie in der Mitte der Decke eine enge, zackenförmige Öffnung bilden, durch welches das Oberlicht des existierenden Raumes sichtbar bleibt.


Für ihr Objekt hat die Schweizer Künstlerin Karin Hueber (*1977) die Grundrissflächen der unteren Räume der Kunsthalle sorgfältig analysiert. Sie erscheinen im raumgreifenden Objekt in verkleinertem Massstab in einer in sich gefalteten, gekippten Form. In einer prekären Statik zeichnen die Eisenstangen immaterielle Volumen in den Raum; seine Festigkeit erhält das Objekt durch eine Wand von vorgefundenen, mit glänzender Farbe lackierten Holzplatten. Die elegante Skulptur birgt in seiner, eine irreale Raumlösung andeutenden, Gestalt, Anziehendes und gleichzeitig Unbehagliches, was den Betrachter über die Funktion und Wahrnehmung gewohnter Raumstruktur nachdenken lässt.


Die schottische Künstlerin Karla Black (*1972) arbeitet für ihre Skulpturen meist mit Rohmaterialien wie Gipspulver und Vaseline, die sie mit weiblich konnotierten Stoffen wie Gesichtspuder, Lippenstift oder Hautcrème kombiniert. Diese Materialien verweisen nicht nur auf ihre kulturelle Verwendung und psychologischen Bedeutungen, sie treten in Blacks fragilen und prozess-orientierten Arbeiten auch der Geschichte der Skulptur und Malerei gegenüber, die vor allem von der "grossen" männlichen Künstlerfigur dominiert ist. In der Kunsthalle präsentiert sie eine grosse Bodenarbeit aus Zement in seiner pulvrigen, trockenen Form und eine fragile hängende Arbeit aus hauchdünnem, transparentem Zellophan.


Der Basler Künstler Kilian Rüthemann (*1979) beschäftigt sich in seinen Arbeiten ebenfalls mit den skulpturalen Eigenschaften von rohen, alltäglichen Werkstoffen. Rüthemann zeigt eine ca. 4 m lange Eisenstange, die scheinbar schwerelos in den Raum hineinragt und eine Arbeit aus Dachteerbahnen, die Wellen am Boden werfen. Beide Arbeiten umkreisen das Interesse des Künstlers an der Überwindung der Schwerkraft sowie am Verhältnis von Zufall und künstlerischem Eingriff.


Die in Basel lebende deutsche Künstlerin Dagmar Heppner (*1977) hat ein installatives Setting mit architektonischen Elementen, Objekten und Fotografien entwickelt. Sie präsentiert unter anderem eine aus der Mauer hinauslaufende gekrümmte Wand aus gelochten Holzplatten, welche die gewohnte Raumflucht des ersten langen Saals aufbricht. Die Wand schafft mit der aufgesprühten, auslaufenden blauen Farbe einen Entmaterialisierungsprozess, der die visuelle und körperliche Erfahrung von Nähe und Distanz sowie eine Begrenzung und gleichzeitige Öffnung des Raumes thematisiert.


Der englische Künstler Ian Kiaer (*1971) arbeitet meist mit Installationen aus fragilen Materialien wie Papier, Zellophan oder Styropor, die er mit Referenzen zur utopischen Architekturgeschichte, Literatur oder Philosophie verbindet. In seiner aktuellen Arbeit hat sich der Künstler mit mehreren Objekten und Modellen mit der Geschichte des Kunsthallengebäudes auseinandergesetzt sowie mit den veränderten Vorstellungen hinsichtlich der Präsentation von Kunst seit der Moderne.


Der Basler Künstler Martin Heldstab (*1971) beschäftigt sich mit Gebrauchsgegenständen des Alltags wie Holzpaletten oder Glühbirnen, die er in seinen Arbeiten mit minimalen Verschiebungen hinsichtlich ihrer ursprünglichen Funktion verändert. Er präsentiert neben anderen Werken eine Wandarbeit aus Dachlatten, in welche bemalte Glühbirnen in bestimmten Sequenzen eingesetzt sind. An der Wand umfassen die Dachlatten und Glühbirnen eine rhythmische Variation gleicher Elemente, die auch an ein abstrahiertes Landschaftsbild erinnern.


Der amerikanische Künstler Robert Breer (*1926) ist mit seiner Werkgruppe der "Floats" (dt. gleitende, treibende Teile; "Flosse") in der Ausstellung vertreten. Der Künstler arbeitet seit den 1950er Jahren mit den Medien Malerei, animiertem Film und Skulptur, in welchen er intensiv die Erfahrung von abstrakten Formen in realer Zeit und im Raum untersucht. Die Floats, meist aus einfachem Styropor geschnittene geometrische Formen, bewegen sich subversiv mit nicht sichtbaren Motoren frei im Raum und verändern das vormals sichere Terrain des Ausstellungsraums.


Trotz der bescheidenen Gesten, mit denen die Künstlerinnen und Künstler im Raum arbeiten, schreiben sie sich selbstbewusst mit ihren Arbeiten in die Räume der Kunsthalle ein und aktivieren den Betrachter, der auf ungewohnte und überraschende Situationen trifft.


Kuratorin der Ausstellung: Simone Neuenschwander


Zur Ausstellung erscheint eine Broschüre mit Texten und Abbildungen zu den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern.


Die Ausstellung wird grosszügig unterstützt von: Martin Hatebur, nationale suisse, Office for Contemporary Art Norway


Ausstellungsdauer 10.6. - 2.9.2007

Oeffnungszeiten Di/Mi/Fr 11 - 18 Uhr, Do 11 - 20.30 Uhr,
Sa/So 11 - 17 Uhr


Kunsthalle Basel
Steinenberg 7
4051 Basel
Telefon +41 61 206 99 00
Fax + 41 61 206 99 19
Email info@kunsthallebasel.ch

www.kunsthallebasel.ch






Poor Thing

Karla Black
, Robert Breer, Martin Heldstab, Knut Henrik Henriksen, Dagmar Heppner, Karin Hueber, Ian Kiaer, Kilian Rüthemann


The exhibition "Poor Thing" brings together works by eight international artists in the historic architectural setting of the Kunsthalle Basel. After an extensive renovation, completed in 2004, the original architectural character of the five spacious halls in which the exhibition is being held has been modified, yet is still clearly visible in the details of friezes and pilasters, as well as in the skylight structures. With their impressive appearance, white walls and top light, the halls are consistent with the model of a contemporary art space that emerged over the course of the 19th century and has been challenged by many artists in the 20th century. Each of the artists featured in "Poor Thing" has reacted individually to this location: some have examined the existing architectural features or the historical context of the Kunsthalle, while others have transformed the space with large-scale interventions, objects or fragile, process-based sculptures that produce altered spatial perceptions.


The artists' works reference the minimal and conceptual art of the 1960s and 70s, but in the indirect manner of a reformulation: they borrow motifs and appropriation strategies from minimal and conceptual art in order to find ways of articulating their response to the changed conditions of today's society. The artists in this exhibition work with preference with simple, untreated and unstable materials, similar to those used, for example, by Robert Morris (felt) or Eva Hesse (string, rubber and latex) since the mid-1960s in their rejection of the permanent materials and industrial coolness of minimal art. For the artists featured in "Poor Thing", these commonplace, crude materials enable them to address personal themes and present their own observations on everyday life. They examine the sculptural qualities of the materials in a playful manner or work with everyday objects, which they remove from their familiar context by means of unusual presentations. Varying between abstraction and the representation of inanimate objects and anthropomorphic forms, as well as found objects, the works set up associative narratives and create new layers of meaning. In this way they are in a productive sense both "pure" and "poor".


The approach of Norwegian artist Knut Henrik Henriksen (*1970) is that of an improvising architect who underscores or alters existing spatial situations by means of sculptural interventions. At the Kunsthalle, Henriksen has made a construction of simple wooden slats that changes the shape of the large square room by covering its entire area at a height of 2.4 m - the standard ceiling height in Norway. Henriksen has mounted the uncut slats in their varying standard lengths together so that they form a narrow, jagged opening in the centre, through which the skylight of the existing room remains visible.


For her object, Swiss artist Karin Hueber (*1977) has carefully studied the ground plans of the Kunsthalle. These reappear on a smaller scale and in a tilted form in her sculptural object. Precariously positioned, the iron bars outline immaterial volumes in the space; the object is stabilised by a wall made of found wooden panels that have been varnished with glossy paint. Shaped like an impossible spatial solution, the elegant sculpture is attractive and at the same time awkward, prompting the viewer to think about the function and perception of familiar spatial structures.


Scottish artist Karla Black (*1972) works with raw materials such as powdered plaster and petroleum jelly, which she combines with materials that have clear female connotations, for example face powder, lipstick or skin cream. These materials not only reveal their cultural use and psychological significance, in Black's fragile, process-oriented works they also confront a history of sculpture and painting dominated by the "great" male artist and his epic battles with the material. At the Kunsthalle she is showing two new pieces: a floor piece made of plaster in powdered form and a fragile, suspended work made of transparent, gossamer-like cellophane.


Basel artist Kilian Rüthemann (*1979) explores the sculptural quality of everyday raw materials. Here he presents an approximately 4 m-long iron bar that seems to extend weightlessly into the space, along with a work made of asphaltic felt that folds like waves over the floor. Both works reveal Rüthemann's interest in overcoming gravity and the relation between coincidence and artistic intervention.


German artist Dagmar Heppner (*1977), who lives in Basel, has created a spatial arrangement involving various media for the first elongated gallery space in the Kunsthalle. Besides drawings and photographs, it contains a curved wall made of perforated wooden panels that extends from an existing wall. The wall distorts the usual perspective of the space and plays with varying degrees of visibility between closeness and distance, front and back view, spatial opening and restriction.


English artist Ian Kiaer (*1971) works with fragile materials such as cardboard, paper, cellophane and polystyrene. His multi-part installations of objects, drawings and watercolours are connected with complex narratives relating to the history of utopian architecture, literature and philosophy. Kiaer's work for this exhibition focuses among other things on the initial period of the Kunsthalle building and on the changing agendas concerning the presentation of art since modernism.


Basel artist Martin Heldstab (*1971) deals with everyday objects such as wooden pallets or light bulbs, which he reworks by means of subtle shifts from their original functions. Here he presents among other works an installation of roof battens into which light bulbs have been inserted in a particular sequence. On the wall they create a rhythmic variation and at the same time evoke an abstract landscape.


American artist Robert Breer (*1926) is represented in the exhibition by his group of works entitled "Floats". Since the 1950s, he has used the media of painting, animated film and sculpture to explore the experience of abstract forms in real time and space. The Floats - often abstract objects made of simple polystyrene - move subversively and freely around the space with the aid of unseen motors, disturbing the formerly secure territory of the exhibition space.


Despite the modest gestures with which the artists modify the space, they confidently inscribe themselves in the spatial context of the Kunsthalle and activate the viewer's imagination by confronting him or her with new and surprising situations.


Curated by Simone Neuenschwander


An exhibition brochure will be available containing texts and illustrations of the individual artists' works.


The exhibition is generously supported by: Martin Hatebur, nationale suisse, Office for Contemporary Art Norway


Exhibition 10 June - 2 September 2007

Opening hours Tues/Wed/Fri 11 am - 6 pm,
Thu 11 am - 8.30 pm, Sat/Sun 11 am - 5 pm