© Silvia Kolbowski

Like Looking Away, 2000-2002


Silvia Kolbowski
inadequate...Like...Power



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Wo und wie kann heutzutage eine kritische künstlerische Praxis platziert werden? Welche Möglichkeiten bieten konzeptuelle Strategien und Methoden, um zu einer Kritikfähigkeit zurück zu finden? Silvia Kolbowski zählt zu den zentralen VertreterInnen einer Generation von KünstlerInnen, die in Anlehnung an konzeptuelle Methoden der 60er und 70er Jahre den Objektivitätsanspruch von Aussagen - seien es Bilder, Töne oder Gesten - zugunsten einer Politisierung derselben radikal in Frage stellen. Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Praxis war vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit Feminismus, feministischer Filmtheorie, Avantgardefilm und Überlegungen der Psychoanalyse, sowie in weiterer Folge der Konzeptkunst.


In ihren Installationen thematisiert Silvia Kolbowski paradigmatische Phänomene eines aktuellen Zeitgeistes: die Faszination von Shopping, die Historisierung der Konzeptkunst, die Symbolkraft von Macht. Sie stehen für Erfahrungsräume einer Massenkultur, die von Dominanz und nicht von Diskurs geprägt ist. Diesen dominanten, monologischen Stimmen setzt Silvia Kolbowski modifizierte Interviewsituationen entgegen, die sowohl eine Vielstimmigkeit als auch eine "Ethik des Scheiterns" (Jacqueline Rose) zeigen, ohne aber über eine Personalisierung und Ich-Erzählung zu individualisieren.


Im Hauptraum der Secession sind das erste Mal drei raumgreifende Installationen der Künstlerin zu sehen: "an inadequate history of conceptual art" (1998-1999), "Like Looking Away" (2000-2002) und "Proximity to Power: American Style" (2003-2004), ein Projekt, das die Künstlerin speziell für die Secession entwickelte.


Die Ton- und Videoinstallation "an inadequate history of conceptual art" entstand als Reaktion auf das Revival der Konzeptkunst Mitte der 90er Jahre. Das erneute Interesse an konzeptuellen Strömungen aus Europa, den USA, Asien und Lateinamerika führte zu einer abrupten Historisierung und Vermarktung. Ausgehend von dieser Beobachtung bat Silvia Kolbowski 22 KünstlerInnen, aus der Erinnerung ein Werk aus den Jahren 1965 bis 1975 zu beschreiben, dessen Zeuge sie waren. Die Erzählungen, die weder Namen der KünstlerInnen noch Titel der Arbeiten nennen, bieten einen Einblick in eine Vielzahl an Details und Nebenschauplätzen, die die Erfahrung und Erinnerung geformt haben. Wiederholungen, Verwechslungen, Lücken und divergente, subjektive Bewertungen vermitteln eine "unangemessene" (inadequate) Darstellung. Das hier vorgeführte Geschichtswissen ist von einer Vergangenheitsform, dem Unbewussten und Subjektiven, von Vielstimmigkeit, aber auch einem Scheitern in der sprachlichen Erfassung geprägt, was wiederum den offiziellen Fluss der Geschichtsschreibung stört. In der räumlichen Übersetzung trennt Silvia Kolbowski den Ton vom Bild. Während in einem Raum die Interviewstimmen zu hören sind, zeigt im anderen eine Videoprojektion nur die Hände der GesprächspartnerInnen. Die Bild- und Tonspur sind nicht synchronisiert, sondern verweisen auf die ethisch-politische Dimension der "Unangemessenheit".


In "Like Looking Away" befragt Silvia Kolbowski junge Frauen zwischen 18 und 34 nach ihrer Beziehung zu Shopping. Auch hier beinhaltet die Installation nur die Antworten der Interviewten, nicht aber die Fragen der Künstlerin. Darüber hinaus wurden alle sprachlichen Verweise auf "Shopping" weggelassen. Die auf diese Weise bearbeiteten Aussagen der jungen Frauen liess Silvia Kolbowski von einer Schauspielerin sprechen. Diese imitiert die spezifischen stimmlichen Eigenschaften und Intonationen der Protagonistinnen, während ihr Einsatz gleichzeitig eine Spannung zwischen Stimme und Ich-Erzählung erzeugt. Parallel zur Tonebene zeigt Silvia Kolbowski 31 Fotografien: es sind Portraits der 30 Frauen, die aufgenommen wurden, während die Frauen sich das Playback ihrer Tonaufnahmen anhörten; die 31. Fotografie zeigt die Schauspielerin im Tonstudio. Räumlich, aber nicht akustisch getrennt sind in einem Videoloop Auszüge aus einem Hollywood Blockbuster zu sehen, der nur die gewalttätigsten Szenen des Films herausgreift. "Like Looking Away" thematisiert die Sublimierung persönlicher und öffentlicher Erfahrung und hebt so die Rolle des Unbewussten als treibende kulturelle Kraft hervor.


Die dritte Installation, "Proximity to Power: American Style", die speziell für die Ausstellung in der Secession entstand, befragt Männer aus dem Bereich der Wirtschaft, Politik, Religion sowie der Medien- und Unterhaltungsindustrie, die in einer engen beruflichen Beziehung zu "Männern mit Macht" stehen. Diese Personen haben eine Stellvertreter- bzw. Mediatorenposition und tragen wesentlich zur Organisation der Macht bei. Für Silvia Kolbowski sind die relationalen Aspekte von Macht hinsichtlich amerikanischer und anderer weltweiter Tendenzen des Diktierens und Auferlegens von Macht und Kultur relevant. Die bearbeiteten Interviewsequenzen wurden ebenfalls von Schauspielern gesprochen. Sie sind mit einer Filmmusik gemischt, die auf dem Soundtrack eines bekannten Films über den Vietnamkrieg basiert, und bilden das Voiceover für zwei Diaserien. Die erste Serie zeigt ausschliesslich Details jener bekannten Radierung "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" (1796-1797) von Francisco Goya. Die Vergrösserung überführt die metaphorische und kulturkritische Bildsprache in eine Abstraktion. Im Dialog dazu findet sich eine zweite Serie, die eine konträre Bildsprache inszeniert: es sind Abbildungen, die Aussagen von ca. 40 Jungen zwischen 7 und 11 Jahren (laut Freud die Latenzzeit) illustrieren, denen Silvia Kolbowski die Frage stellte: "Wodurch wird für Dich Macht repräsentiert?".


Silvia Kolbowski war Mitherausgeberin der Zeitschrift "October" (1993-2000), kooperierte in den 90ern mit Architekten wie Peter Eisenman, lehrte u.a. am Whitney Independent Study Program (1988-1996) sowie der derzeit am CCC Programm der Ecole Supérieure d'Art Visuel, Genf und im Architekturdepartement der Parsons School of Design, NY. Die Architektur der Ausstellung entwickelte Silvia Kolbowski gemeinsam mit dem Architekten Ali Tayar (parallel design, NY). Die Musik zu "Proximity to Power: American Style" wurde von Maxim Kolbowski-Frampton arrangiert.


Zur Ausstellung erscheint ein zweisprachiger Katalog mit Beiträgen von Rosalyn Deutsche, Mignon Nixon und Stephan Schmidt-Wulffen, einem Interview von Hal Foster mit Silvia Kolbowski sowie einer ausführlichen Dokumentation der ausgestellten Arbeiten.


Ausstellungsdauer: 17.9. - 11.11.2004
Oeffnungszeiten: Di-So 10 - 18 Uhr, Do 10 - 20 Uhr


Wiener Secession (Hauptraum)
Vereinigung bildender KünstlerInnen
Friedrichstrasse 12
A-1010 Wien
Telefon +43 1 587 53 07
Fax +43 1 587 53 07 34
Email office@secession.at

www.secession.at





Silvia Kolbowski
inadequate...Like...Power



Where and how can we position critical artistic practice today? What possibilities do conceptual strategies and methods offer in reestablishing a capacity for critique? Silvia Kolbowski is a key representative of those contemporary artists who take their cue from the conceptual methods of the 1960s and '70s, radically questioning claims to objectivity in projects - including pictures, sounds, or gestures - that recognize the political nature of art. Her artistic practice began with an engagement with feminism, feminist film theory, avant-garde film, and psychoanalysis, and subsequently Conceptual Art. In her installations, she focuses on paradigmatic phenomena of a current zeitgeist: the fascination with shopping, the historicization of Conceptual Art, and the symbolic force of power all represent realms of experience underexamined by mass culture. Silvia Kolbowski counters dominant, monological voices with altered interview situations that showcase both a multiplicity of voices and an "ethic of failure" (Jacqueline Rose), but without individualizing through personalization or first-person narrative.


For the first time, three of the artist's large-scale installations are on view in the Secession's Main Room: "an inadequate history of conceptual art" (1998-1999), "Like Looking Away" (2000-2002) and "Proximity to Power: American Style" (2003-2004), a project developed especially for the Secession.


The sound and video installation "an inadequate history of conceptual art" was a reaction to the revival of concept art in the mid-1990s. The resurgent interest in Conceptual Art in Europe, the United States, Asia, and Latin America led to its abrupt historicization and marketing. With this observation as her starting point, Kolbowski invited 22 artists to describe from memory an artwork of the period between 1965 and 1975, which they had personally witnessed at the time. The stories, which include neither the names of the artists nor the titles of the works, offer insights into a multitude of details and peripheral locations, as molded by experience and memory. Repetitions, mix-ups, gaps, and diverging subjective assessments render an "inadequate" picture. The historical knowledge presented here is characterized by the past tense, the unconscious and the subjective, a lack of unanimity, and a failure to put into words, which, in turn, disturbs the official flow of historiography. When transferring the work to the gallery, Kolbowski separated the sound from the pictures: the interviews are heard in one room, while a video projection in a second room shows only the hands of the interviewees. The picture and sound elements are not synchronized, but instead point to the ethical-political dimension of "inadequacy".


In "Like Looking Away" Silvia Kolbowski asks young women ages 18-34 about their reflections on shopping. Here too, the installation features only the interviewers' answers and not the artist's questions. In addition, all linguistic references to "shopping" are edited out. Kolbowski then had an actress record the edited version of the young women's statements. Although she approximates the specific qualities and intonations of the women's voices, the use of an actress creates a tension between the accounts and their first-person voices. The installation also includes 31 photographs, portraits of the 30 women taken while they listened to the playback of their sound recordings. The 31st photograph shows the actress in the sound studio. In a related space is a projected video loop containing excerpts from a Hollywood blockbuster, with all images except the most violent edited out. "Like Looking Away" is about the sublimation of personal and public experience, highlighting the role of the unconscious as a driving cultural force.


The third installation, "Proximity to Power: American Style", which was created especially for the Secession, questions men from the spheres of business, politics and media/entertainment, who work in close relation to powerful men. For Silvia Kolbowski, the relational aspects of power are illuminating with regard to American and other global impositions of force and culture. The edited interview sequences were spoken by actors and interspersed with music based on the soundtrack of a well-known movie about the Vietnam War to form the voiceover for two series of slides. One series consists entirely of details from the famous etching "The Dream/Sleep of Reason Produces Monsters" (1796-1797) by Francisco Goya, with the picture's metaphorical and culturally critical idiom turned to abstraction. Juxtaposed with this, as a form of dialogue, the second series presents a contrasting visual idiom: images illustrating the responses of about 40 young boys between the ages of seven and eleven (in Freudian terms, the period of latency), to a question Kolbowski posed: "What most represents power to you?".


Silvia Kolbowski was a co-editor of "October" journal between 1993 and 2000; she collaborated in the 1990s with architects such as Peter Eisenman; taught at The Whitney Independent Study Program (1988-1996); and now teaches in the CCC program at the Ecole Superieure d'Art Visuel, Geneva, and in the architecture department of Parsons School of Design, NY. Silvia Kolbowski produced the architecture for this exhibition together with the architect Ali Tayar (parallel design, New York). The score of "Proximity to Power: American Style" has been digitally composed by Maxim Kolbowski-Frampton.


There will be published a bilingual catalogue with essays by Rosalyn Deutsche, Mignon Nixon, and Stephan Schmidt-Wulffen, an interview with Hal Foster and Silvia Kolbowski, and a documentation of the exhibited works.


September 17 - November 11, 2004