© Sabina Baumann


Sabina Baumann
Das Lied vom Du



Hände in den Zeichnungen von Sabina Baumann. Immer wieder Hände. Eine geöffnete Hand, aufgefaltet wie ein Blatt, wird mit ihren furchigen Linienbahnen zum anderen, zum intimen Portrait. Eine kleine Kinderhand tastet nach der Pranke des Vaters, die schmale Frauenhand sucht die grosse Hand des Partners.

Eine dunkelhäutige Hand umklammert ein Natel, auf dessen Display sich arabische Lettern abzeichnen. Die Finger von zwei Händen berühren sich an den Spitzen, als möchten sie ein Haus bilden mit einem Dach, das beschützt. Die Hände werden in Sabina Baumanns Zeichnungen zum bildnerischen Ausdruck der subtilen Suche nach einem Du, nach einem Gegenüber, nach Berührung. Nicht immer aber findet die eine Hand zur anderen. Manchmal reissen die Fäden, die vom Ich zum Du führen - auch das verbildlicht ein Blatt von Sabina Baumann - und die Hand tastet ins Leere. Ihren spröden Zeichnungen mit dem dezidierten Bleistiftduktus scheint ein tiefes Wissen um die möglichen Wege, die vom Ich zum Du führen, eingegeben.

Was sonst aus der bildenden Kunst ausgespart bleibt und eher in den Sparten der Literatur und vor allem der Musik zu finden ist, wird bei Sabina Baumann zum zentralen Thema: das Beziehungsgeflecht zwischen einem Ich und Du. Mit ihrer Arbeit für die Kunsthalle Winterthur, in der die verschiedensten Medien vereint sind, stimmt Sabina Baumann ein "Chanson" an, sie inszeniert das Lied vom Du. Es konzentriert sich nicht nur auf das klassische Paar von Mann und Frau und beschränkt sich keineswegs auf den sexuellen Aspekt. Begegnungen ergeben sich überall: das Kind hat sein Beziehungsfeld wie die Erwachsenen und auch die Tiere, ja sogar die Dinge sind in das feine Netz filligraner Beziehungsfäden eingebunden.

Sabina Baumann, die von der werkimmanenten Minimalkunst herkommt, sprengt mit ihrer jetzigen Arbeit deren Grenzen. Sie befreit die strengen Strukturen, indem sie diese als Gefäss für persönliche Mitteilungen nützt. Ohne je in Inhalten zu schwelgen und sich an die Fülle des Materials zu verlieren, stimmt sie ein Lied an, das durchaus melodramatische Züge hat, das in der bewussten Inszenierung auch theatralisch anmutet. Es erreicht uns nicht nur über die Kanäle des Optischen, es geht zu Herzen. In ihrem Chanson reimt sich Herz nicht auf Schmerz, das Ich findet sein Du nie endgültig, es bleibt auf der Suche. Es geht um den Weg zwischen den Beiden. Die aus den persönlichen Vorstellungen und Erfahrungen gewachsenen Bilder bekommen in der Uebersetzung ins raumbestimmende Szenario eine überpersönliche, allgemein verbindliche Komponente.

Knallbunt liegen Plastikgegenstände im Oberlichtsaal der Kunsthalle ausgelegt. In frechem Orange präsentiert sich das Gummiboot, dort liegen ein grauer Delphin und eine rote Luftmatratze, etwas abseits steht die gelbe Giraffe. Obschon aus vorgefertigtem Kunststoff hergestellt, nehmen sie in diesem künstlerischen Arrangement eine beinahe archetypische Dimension an. Denn, wer erinnert sich nicht an ein Spielzeug, das uns als eine frühe Du-Beziehung geprägt hat. Wem ist nicht schon der Ballon davongeflogen oder wessen Plastiktier ist nicht schon mal die Luft ausgegangen? Auch Sabina Baumanns Kunststoffobjekte sind keineswegs alle opulent mit Luft gefüllt. Manche liegen schlaff und ausgepumpt auf dem Boden. Andere sind lädiert, darauf verweisen nicht nur ihr erschlaffter Körper, sondern auch die kreuzförmigen Heftpflaster. Die in der Wand steckenden Messer signalisieren deutlich, dass das harmlose Bild der ausgelegten Plastikspielzeugs eine bedrohte Idylle meint. Farbige Rinnsale laufen auf den Boden. Die durchaus malerische Komponente der Farbspuren hat auch eine andere Seite, entsprechen doch die gewählten Töne des Blau, Orange oder Gelb den Farben der Plastikdinge. Etwas Bedrohliches liegt in der Luft. Asszoziationen an eine Schlacht, bei der Blut fliesst, sind nicht fern. Jedoch, es bleibt bei einer "indirekten" Schlacht, denn die Messer treffen keinen Gegenstand, sie stecken in der Wand, es handelt sich um virtuelle Verletzungen - und so mutet denn das Tragische in diesem Raumbild auch verwirrend komisch an.

Die Nähe des dramatischen Gegensatzpaares, das schon immer Sabina Baumanns Werk bestimmt hat, wird hier auf die Spitze getrieben. Man wähnt die Objekte und Zeichnungen voller unausgesprochener Geschichten und möchte sie befragen. Eine Antwort jedoch wird ausbleiben. Die einer Wolke gleich sich ausbreitende, rosafarbene Wandmalerei scheint sie als Atmosphäre, Empfindung und Erinnerung in den Raum zu tragen. Derart rätselvoll antwortet Sabina Baumann auf ihre Umgebung und bezieht auch ihr Publikum als ein mögliches Du in die Ausstellung ein.


(Angelika Affentranger-Kirchrath, Juni 2003)


Ausstellungsdauer: 25.5. - 12.7.2003
Oeffnungszeiten: Di-Fr 14 - 17 Uhr,
Sa 10 - 12 Uhr/14 - 16 Uhr, So 14 - 16 Uhr


Kunsthalle
Marktgasse 25
8400 Winterthur
Telefon 052 267 51 32