![]() Passion Cycle XI, 2002 Dia / Leuchtkasten, 18,3 x 21 cm (inkl. Rahmen) Courtesy the artist and Jay Jopling/White Cube (London) Sam Taylor-Wood Die Bawag Foundation präsentiert ausgewählte Arbeiten der britischen Künstlerin Sam Taylor-Wood. Zu sehen sind die Farbfotographien "Five Revolutionary Seconds III" (1996) und "Soliloquy II" (1998), die Videos "Sustaining the Crisis" (1997) und "Hysteria" (1997), die beiden 35 mm-Filme "Still Life" (2001) und "A little Death" (2003) sowie "Passion Cycle I-XXV" (2002). Die Serie "Five Revolutionary Seconsd III" (1996) zählt zu Sam Taylor-Woods frühen Arbeiten. Die Künstlerin arbeitet bei dieser Fotoserie mit einer historischen Kamera der Royal Air Force, die ursprünglich für Luftaufnahmen entwickelt und verwendet wurde. Jede mit dieser Technik produzierte Aufnahme lässt ein 360°-Panoramabild entstehen, das sie an einer geraden Wand mit Tonspur präsentiert und nicht, wie es der Rezeption der Aufnahme adäquat wäre, in einem Rund als klassisches Panorama. Die in der Bawag Foundation präsentierte Farbfotografie "Five Revolutionary Seconds III" (1996) zeigt völlig unterschiedliche Personen in einem schicken Salon einer prächtigen Villa: eine elegant gekleidete Frau, die es sich auf einer Couch gemütlich macht während sie sich erschrocken eine Hand vor den Mund hält, einen Mann, der nach etwas zu suchen scheint, und ein nacktes Paar, das es auf einem Stuhl treibt. Da der Betrachter die abgebildeten Personen nicht auf einen Blick erfassen kann, unterläuft Taylor-Wood damit eine grundsätzliche Eigenschaft der Fotografie und führt die Zeit - eine filmische Eigenschaft - als wesentliches Element in den Betrachtungsprozess ein. Während im Film die Zeit parallel zum Gang der Ereignisse verstreicht, existiert in "Five Revolutionary Seconds III" keine Konstruktion dieser Art. Jede der Figuren lebt in ihrer eigenen Welt, selbst das liebetreibende Paar bleibt ganz für sich. Die abgebildeten Personen postulieren zwar möglicherweise eine Einheit, agieren aber völlig heterogen. Eine im Hintergrund laufende Tonspur verstärkt dieses Bild - eine Tonspur, die weder Musik noch Text enthält, welche dem Betrachter helfen würden, mögliche Bedeutungen der Szenen zu konstruieren. Im Gegenteil, der Betrachter wird durch unverständliches Geplapper, Stöhnen und Anweisungen der hinter der Fotokamera stehenden Künstlerin der Möglichkeit endgültig beraubt, sich mit der Wirklichkeit des Bildes zu identifzieren. In der Farbfotografie "Soliloquy II" (1998) bedient sich Sam Taylor-Wood ausschliesslich visueller Mittel. Formell erinnert diese Serie mit ihren stark erotisch aufgeladenen Szenen an Altarbilder der Frührenaissance mit Hauptthema und Predella. "Meine ikonische Form der Darstellung rührt von Werken alter Meister wie Simone Martini, Fra Angelico, Paolo Uccello oder Andrea Mantegna her, bei denen die Tafeln Triyptychen oder als grosse architektonische Räume angelegte Einheiten bilden, in denen Figuren als Trennung zwischen Himmel und Erde fungieren. Oben, im Empyreum, finden sich die Gottheiten und Heiligen, unterhalb die irdischen Ereignisse. In der "Soliloquy"-Serie wollte ich die gleiche Trennung darstellen, das unterschiedliche Formempfinden zwischen oben und unten, erhaben und körperlich, immateriell und materiell, und ich habe versucht, diese Seiten in einem Ganzen in Einklang zu bringen, das eine Art Brennpunkt auf dem Terrain erzeugt, das zwischen Bewusstem und Unbewusstem liegt. Oben ist das Individuum, das denkt oder nachdenkt, unten finden sich seine traumhaften und angstvollen Reflexionen." (Sam Taylor-Wood) Die Fotografie, die Sam Taylor-Wood von Henry Wallis' "Der Tod Chattertons" (1854) ableitet, stellt innerhalb der Serie eine Ausnahme dar. Im Gegensatz zu den anderen Fotografien steht ein völlig medienbestimmter zeitgenössischer Archetyp von Männlichkeit mit allen Konnotationen der Macht, Gefahr und Sexualität im Mittelpunkt und keine malerische Darstellung. "Sustaining the Crisis" (1997) besteht aus zwei gegenüberliegend angeordneten Projektionen, die einen Alptraum darstellen. Auf einer Projektionsfläche sieht man eine Frau mit nackten Brüsten, die zehn Minuten lang auf einer Strasse eine endlose Ziegelwand entlangläuft, und zwar auf den Betrachter zu, ihn ansehend, doch ohne ihn zu sehen. Auf der zweiten Projektionsfläche sieht man einen Mann, der überrascht, ja vor Schock erstarrt wirkt. Die auf der Tonspur zu hörenden Atemgeräusche des Mannes und der Frau sind die einzige logische Verbindung zwischen den beiden Formen von Nichtkommunikation und schlagen eine Brücke zwischen den beiden Projektionen. Das reine Gefühl ist das Thema des 8-Minuten-DVD-Videos "Hysteria" (1997). Durch nächtliche Gespräche mit einer Freundin angeregt, deren Schwester einer schweren Krankheit zum Opfer gefallen war und die in ihrer emotionalen Verwirrung abwechselnd lachte und weinte, zeigt Sam Taylor-Wood die Nahaufnahme eines Fraugesichtes. Ihre Gesichtszüge sind verzerrt, ihr Kopf bewegt sich hektisch hin und her, ihr Mund steht offen. Welches Gefühl von der Frau Besitz ergreift - ekstatische Freude oder verzweifelter Gram - lässt sich nur schwer erahnen. Aufgrund der Abwesenheit des Tons und der Zeitlupe bleibt der Grund der Störung unklar. Auch hier ist der Betrachter wieder Zeuge eines Schauspiels ohne Schlüssel, Zusammenhang oder Wahrheit. Vorherrschend ist in diesem Fall das Gefühl, dass dem Betrachter der Ton vorenthalten wird - eine seltsame, bedrückende Erfahrung, die der Ohnmacht nicht unähnlich ist, die man manchmal in Alpträumen empfindet. In dem 35mm-Film "Still Life" (2001), einem Memento mori, das durch die Schleifenform immer wieder zum Leben erweckt wird und den man auf einem LCD-Schirm sieht, dokumentiert Taylor-Wood in nicht ganz vier Minuten im Zeitraffer den Verfallsprozess von Obst in einer Schüssel. Es handelt sich um ein Vanitasbild, und doch ist es gleichzeitig eine Arbeit, welche durch die sich wiederholende Rückkehr zum Anfang ebenso die Schönheit des Vollkommenen wie den Verfall zum Gegenstand haben könnte. "A little Death" (2003) - ebenfalls als 35mm-Film gedreht - ist ein Pendant zu dieser Arbeit: Der Hase, der diesmal zu Staub wird, ist ein Bild durch und durch morbider Schönheit Zu "Passion Cycle I-XXV" (2002) angeregt haben Sam Taylor-Wood sogenannte Shunga oder Frühlingsbilder, japanische Holzschnitte von Meistern des 19. Jahrhunderts, die Kabukischauspieler, Geishas, Sumoringer und Szenen aus dem Alltag darstellen und sich auch offen und ungeschminkt mit Sexualität beschäftigen. Die Serie besteht aus 25 edlen beleuchteten Kästchen mit äusserst expliziten Aufnahmen eines Paars, das es in verschiedenen Stellungen treibt. Das kleine Format der Bilder Sam Taylor-Woods nimmt auf die voyeuristische Haltung von Sammlern von Shungadrucken Bezug, die man mit der von Sammlern erotischer Fotografien im späten 19. Jahrhundert vergleichen könnte. Im Ausstellungsraum wird diese Intimität allerdings öffentlich, wodurch die boshafte Künstlerin dem Gefühl des Liebhabers Gewalt antut und auch diese Provokation auf ironische Weise mit der Projektion des Betrachters verschwimmen lässt. Kuratorin: Hripsimé Visser Organisation: Dr. Christine Kintisch Assistenz: Gabriela Gutmann Technischer Aufbau: Werkstätte Zwölfergasse Ausstellungsdauer: 19.9. - 30.11.2003 Oeffnungszeiten: Mo-Sa 10 - 18 Uhr Führungen jeweils Sa 15 Uhr Bawag Foundation Tuchlauben 7a A-1010 Wien Telefon +43 1 534 53-222 96 Fax +43 1 534 53-230 96 E-Mail: foundation@bawag.com www.bawag-foundation.at |