© Taiyo Onorato & Nico Krebs

Homedepot, 2006
C-Print, 95 x 120 cm


Taiyo Onorato & Nico Krebs
Factoiden



Unter dem Titel "Factoiden" präsentieren Taiyo Onorato und Nico Krebs ihre erste Soloshow in Zürich. Nachdem man die Gemeinschaftsarbeit der Fotografen bereits im Ausland bewundern durfte (unter anderem im renommierten P.S.1 in New York), gewähren sie uns endlich ein Heimspiel.


Das Fernbleiben von der Heimat der jungen Künstler (beide *1979) liegt allerdings in der Natur ihrer Arbeitsweise: auf mehrmonatigen Wanderschaften in den Baltischen Staaten und den USA haben sie fotografische Eindrücke von Orten zusammengetragen, die man gemeinhin zu kennen meint, uns insgesamt aber eher durch Klischees denn als Destinationen bekannt sind. Denn mal ehrlich: wie viele von uns sind schon einmal weiter als dem Greektown von Chicago in den amerikanischen Midwest vorgedrungen?


Taiyo Onorato und Nico Krebs, die seit rund fünf Jahren zusammen arbeiten, sind im Oktober 2006 anlässlich ihres Atelieraufenthaltes in New York mehrere Wochen automobilisiert zum zweiten Mal durch die USA Richtung Westen gefahren, um sowohl dem wahren wie auch dem Amerika ihrer Vorstellungen zu begegnen. Ihren Schilderungen zu Folge muss es ihnen manchmal so ergangen sein wie dem Protagonisten in J.G. Ballards "Concrete Island" (1974, Dt. "Die Betoninsel"), der sich nach einem Autounfall mit seinem Jaguar im Niemandsland einer Autobahninsel in den Fussstapfen und im Überlebenskampf eines modernen Robinson Crusoe geworfen sah. Onorato und Krebs sassen zum Glück nicht in einer Autopanne fest und waren demzufolge auch nicht dazu gezwungen, im Zivilisationsschutt von Autoschrott, Betonwüste, Billboards, Exkrementen und Fastfood-Leftovers um ihr Leben zu ringen.


Es ist vorstellbar, dass wenn man täglich durchschnittlich 600 Meilen fährt, anfängt Fata Morganas zu sehen - ob das nun aus Dehydrierung oder andersartigem Mangel wie beispielsweise fehlender visueller Abwechslung ausgelöst wird. Den ästhetischen Reiz dieser Skandierung einförmiger Raststätten, Motels, Billboards und Skylines thematisierte Dan Graham (*1942) als einer der Ersten in seiner Serie "View Interior, New Highway Restaurant" von 1967. Mit immer gleichen Barhockern wird der Ausblick auf wechselnde Autobahnen gezeigt, und kann dabei nicht seinen Augen über die Authentizität solcher Auswechselbarkeit trauen.


Während Graham das Konstrukt aber aufdecken will, gehen Onorato und Krebs genau umgekehrt vor, und lassen dabei skurrile wie subtile Spiele mit der perspektivischen Ebene einschleichen. In beiden Fällen ist jedoch das, was wir gemeinhin unter Realität verstehen, eine gestaltete, was der amerikanische Schriftsteller, Esquire-Autor und The Village Voice-Mitbegründer Norman Mailer (*1923) in seiner Marilyn Monroe-Biografie unter dem Begriff "Factoid" geprägt und wie folgt umschrieben hat: "Angesichts einer Karriere wie der der Monroe, wo niemand mit Sicherheit sagen kann, ob sie eine alte Rolle spielte, eine neue ausprobierte oder nichts Geringeres als ihre wahres Ich war (hinter das zu kommen sie sich ein Leben lang bemüht hatte), geht die Darstellung der biografischen Fakten in den tieferen Rätsel auf, wie ein wahrhaft begabter Schauspieler wohl überhaupt Wirklichkeit als solche wahrnimmt. Da der psychologischen Bedeutung einer Rolle mehr existentielle Gegenwärtigkeit innewohnt als dem alltäglichen Leben (ja, wo doch die Rolle in jedem, der sie erlebt, wirkliche Reaktionen hervorruft), muss das Schattenreich zwischen Realität und Phantasie für einen grossen Schauspieler notwendigerweise noch bedeutungsvoller sein als für andere Menschen" (1973, S. 18).


Die Vereinigten Staaten, wie wir sie als Star unter den Nationen wahrnehmen, haben sowohl Dan Graham wie auch Norman Mailer (unter anderem mit "The Deer Park", 1955, "An American Dream", 1965, "The Spooky Art", 2003) auf ihre ihnen gemeinsame, zunächst mal wertefrei objektivierende Art entmystifiziert.


Bewusst gewählte Referenzgrössen für Onorato und Krebs sind auch Ansel Adams (1902-1984) in Bezug auf die endlosen, so typisch amerikanischen Landschaften, Joel Sternfeld (*1944) hinsichtlich der Motive von Aushub und Abgrund, und allgemein beide in Bezug auf das Land der (Un-) Möglichkeiten und der (verlebten) Träume... Entmystifizierung scheint auch Onorato und Krebs zu interessieren, jedoch mehr in konstruktiv eingreifender als in abbildender Weise. Es sind Fotografien, bei welchen sich die Realität und ihre Erfindung reiben. Eines ihrer technischen Merkmale reizen die Künstler hier über das Gewohnte hinaus: Nicht nur, dass die multi-dimensionale Realität in eine flächige, eindimensionale Realität eines Augenblicks verwandelt würde.


Des Weiteren haben Onorato und Krebs unterschiedliche Modelle gebaut, die mit dem Wechselspiel der Dimensionen und Massstäbe arbeiten: Vor dem Objektiv ihrer Grossformatkamera wird ein mit Schraubzwingen in der Landschaft positioniertes Papierdreieck zum endlosen Highway-Streifen, ein aus Schutt und Bauschaumstoff zusammen-getragenes Materialchaos zum Abgrund eines Aushubs einer bereits fertig gestellten Villa, ein auf Stativen in perspektivischer Verkürzung gedrehter Stacheldraht zu einer unlokalisierbaren Grenze im Southwest...


Wie real ist denn die Wirklichkeit? Sind auf visueller Ebene Realität und Wirklichkeit überhaupt gleichsetzbar? Insofern beim Begriff Wirklichkeit der Aspekt der "Wirkung" der Dinge in die Erklärung einfliesst, ist sie für uns als Moment der Reaktion auf Visuelles bedeutsamer und interessanter. Bezeichnenderweise ist es auch hier wieder die Ikone von Super-America und Tabloids-Liebling Marilyn Monroe gewesen, die einmal verlautete, das Wort "Image" gefiele ihr deshalb so sehr, weil es aus denselben Buchstaben wie "Magie" bestehen würde.


Cathérine Hug, Zürich im April 2007


Ausstellungsdauer 29.4. - 13.5.2007

Öffnungszeiten So 29.4.2007: 14 - 18 Uhr
Mi-Sa 14 - 18 Uhr
So 13.5.2007; ab 14 Uhr Finissage


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