© Thomas Struth

Paradise 26 (Bougainville), Palpa, Peru, 2003
C-Print, 203,5 x 160,6 cm


Thomas Struth


Rätselhafte Botschaften - geheimnisvoller Landmarkierungen im Wüstengebiet südlich der peruanischen Stadt Nasca sowie die Einladung zur Teilnahme an der 26. Bienal de São Paulo inspirierten den Künstler Thomas Struth, im Herbst 2003 nach Südamerika zu reisen. Angeregt durch die bis heute wenig erforschte Genese und Funktion der so genannten Geoglyphen, den prähistorischen Zeichnungen der Nasca Kultur (200 v. Chr. - 600 n. Chr.) von Motiven aus Flora und Fauna, die auf eindrucksvolle Weise mit einfachsten technischen Mitteln ein kilometerweites Wüstenplateau übersähen und dem Motto der Biennale "Niemandsland" ist es zu verdanken, dass diese Werkauswahl erstmals in der Galerie Max Hetzler in Berlin zu sehen ist.


Thomas Struth, der obsessive Beobachter von urbanen und gesellschaftlichen Strukturen - wie sich besonders eindrucksvoll in seinen bekannten zentralperspektivischen Strassenschluchten oder den Familienportraits ablesen lässt - fokussiert mit den grossformatigen Fotografien von Peru die Bedeutung der Landschaft für das Entstehen von Kultur. Das Niemandsland ist wohl eher eine romantische Utopie, die uns nur noch bekannt ist aus Wildwest- und Abenteuerfilmen. Die Aneignung von Landschaft zählt zu den existentiellsten Aufgaben der Menschheit.


Der Mann am linken Bildrand des Werkes "Nasca Lines 1" lässt den Betrachter die Dimension der Landschaft spüren. Entgegen der meist stark belebten Strassenszenen von Thomas Struth, herrscht hier die endlose Weite der fast unangetasteten Natur. Es scheint, als ob Kants Erkenntnistheorie über das Erhabene der Natur einen visuellen, zeitgenössischen Ausdruck bekommen hat.


Das Staunen über die rätselhaften Botschaften der Landzeichnungen im dürren Sandboden der regenlosen Wüste zwischen Anden und Pazifik, transzendiert der Künstler zugunsten einer universellen Bildsprache. Vergleichbar mit den Landschaftsaufnahmen an der Staatengrenze von Kalifornien und Nevada, die 2001 in der Galerie Hetzler zu sehen waren, betont der Künstler im Ausstellungskatalog: "Die wenig besiedelten Landschaften Amerikas und eine unüberhörbare Stille an diesen Orten öffnen den Raum für eine zeitübergreifende Assoziation (...)". Angesichts der kolossal abstrakten, künstlerischen Leistung des Nasca Volkes, zeigen Thomas Struths Bilder auf fast demütige Weise die archaische Verbundenheit von Mensch und Natur.


Biblisch oder babylonisch, denkt man an Pieter Bruegels "Turm von Babel", thront sandig monochrom der Cerro Morro Solar stolz über die verschachtelten Favelas. Oder sollte man besser sagen, stolz thronen die Hütten auf dem Berg? Hier hat ungeplant und improvisiert die Aneignung der Natur stattgefunden. Die mikrokosmischen Lebenszellen bilden einen bunt gewebten Gürtel um die monotone Landschaft. Struth wertet nicht, sondern schafft durch den entrückten Standpunkt Distanz, wodurch die Bildhaftigkeit an Wahrheit gewinnt.


Diese Distanz ist programmatisch, wird allerdings, wie bei den kleinformatigen Strassenszenen ersichtlich, zurückgenommen. Die Struth eigene Neugier für Architektur und Dekor fordert das Eintauchen ins peruanische Leben und gipfelt im überquellenden, barocken Kircheninnenraum der Iglesia de San Francisco. Die an die Bildkante stossenden Kirchenbänke scheinen einen Platz für den Betrachter reserviert zu haben, um an der in einer Endlosschleife zelebrierten Messe teilzunehmen. Der aufmerksame Betrachter wird Analogien im Werk von Struth finden, wie z.B. das im Bildaufbau vergleichbare Interieur der venezianischen Kirche San Zaccaria, 1995. Mit dem Unterschied, dass anstelle der ehrwürdig thronenden Madonna mit Kind von Bellini im Bildzentrum eine blau leuchtende, fast Salsa tanzende Madonnenskulptur von leidenschaftlicher und gelebter Religiosität zeugt.


Die in Peru entstandenen Werke sind Indiz dafür, dass der Künstler kontinuierlich und konzeptuell an der Fortsetzung einer übergreifenden Werkidee arbeitet. Es stellt sich die Frage, ob das "Paradies 26" (Bougainville) Endpunkt oder Beginn für weitere Bilder aus dem Paradies ist?


Thomas Struth, 1954 in Geldern am Niederrhein geboren, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf Malerei bei Gerhard Richter und Photographie bei Bernd Becher. Von 1993 bis 1996 war er Professor an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Thomas Struth lebt und arbeitet in Düsseldorf.


Ausstellungsdauer: 29.1. - 12.3.2005
Oeffnungszeiten: Di-Sa 11 - 18 Uhr


Galerie Max Hetzler
Zimmerstrasse 90/91
D-10117 Berlin
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