Vittorio Santoro: "Landscape IV", 1999

Vittorio Santoro
HEUTE, MORGEN / TODAY, YESTERDAY

Anlässlich seiner ersten Einzelausstellung bei Brandstetter & Wyss zeigt Vittorio Santoro (1962) eine Videoprojektion, mehrere Fotografien und Objekte - neuste Arbeiten aus den Jahren 1999 und 2000.

Im Titel der Ausstellung HEUTE, MORGEN / TODAY, YESTERDAY scheinen zwei mal zwei Begriffe sich zu spiegeln. Doch wo scheinbare Entsprechung herrscht, springt allmählich der entscheidende Unterschied ins Aug. Hat man einmal Santoros (linguistische) Verschiebungsarbeit bemerkt, greifen Fragen nach den kleinen Unterschieden um sich: wie ich mich zeitlich verorte, auf welche Wirklichkeit ich mich beziehe, wenn ich die Trennung zwischen Gegenwart, Zukunft oder Vergangenheit als gegeben voraussetze...

Die Videoprojektion Waldstück (1999) bietet in zwei Ansichten ein Waldinneres. Die Kamera nähert sich langsam, gleichsam in Zeitlupe, einem Baumstamm. Das Blickfeld verengt sich. Dann fährt die Kamera zurück, und erneut dehnt sich der Raum. Zu Beginn noch in Einklang, werden die beiden Projektionen allmählich ungleichzeitig, so dass sich ein Gefühl von Schweben zwischen zwei Orten einstellt, wobei beiden der feste Grund abgeht. Unterschiedliches Licht auf den Stämmen, einmal dunkel, einmal hell, lässt zudem die Vermutung aufkommen, dass die Stämme einmal von vorn, einmal von hinten aufgenommen wurden. Aus einer zunächst idyllischen Wahrnehmungserfahrung wird ein mentales Rebus, das die Idylle von innen sprengt und zu einer Zone ohne eindeutige Orientierung macht.

Bei der Arbeit Plate (The Days are Wonderful) von 1999 wurde ein handelsübliches Schild verwendet. Wo, wie in Büros, üblicherweise Namen und Funktionen sind, steht überraschend: The days are wonderful, and the nights are wonderful, and the life is pleasant. Gleich einem Moment profaner Erleuchtung (Walter Benjamin) blitzt hier die Vorstellung von Glück, ja Glückseligkeit auf, die im nächsten Augenblick in der repetitiven Struktur des Satzes verebbt. Die Bedeutung wird so zur Brandung eines Meeres der Phänomene, das man beobachten, aber nicht ergründen kann. Bei File III von 1999 sind acht leere Hängemappen in eine Variobox eingelassen und mit Etiketten versehen, auf denen Begriffe wie enrapture, amnesia oder recreate zu lesen sind. Auf dem Boden davor liegen Postkarten, die einen Augenblick der Dreharbeiten zu Daryl Zanucks The longest day von 1964 zeigen. Das Bild und die Begriffe spiegeln sich nicht. Vielmehr durchstossen die Begriffe die Opazität, d.h. die von einer konventionellen Deutung verhärtete Oberfläche des Bildes.

Auf der Querseite der Arbeit Plate (In Memory of P.B.) wiederum ist folgender Text angebracht: And the past? I remember it as one remembers a landscape, an unchanging landscape. Das Schild rotiert über den Köpfen der Betrachter, so dass nur ein Teil des Textes sichtbar ist. Auch in der neusten fotografischen Werkgruppe, in der angeschnittene Projektionen von Filmen figurieren, scheint, wie überhaupt in der Arbeit von Santoro, Sehen zu heissen, den Entzug des Sicht- und Lesbaren zu akzeptieren. Dieser Entzug ist nicht ein Mangel. Ihn zu akzeptieren macht Sehen erst möglich, weil er das Begehren nicht tötet, das die Bedingung dafür ist, sehen zu wollen.

(Text: Daniel Kurjakovic)

Ausstellungsdauer: 25.3. - 21.5.2000
Oeffnungszeiten: Di-Fr 12-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr

Galerie Brandstetter & Wyss
Löwenbräu-Areal
Limmatstrasse 270
8005 Zürich
Telefon: 01 440 40 18
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E-Mail: galerie@brandstetter-wyss.com

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