© Tris Vonna-Michell

Leipzig Calendar Works (2005)
Performance at Witte de With, May 19, 2007
Courtesy of the artist
Photo Belinda Hak


Tris Vonna-Michell
Auto-Tracking



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In zwei parallelen Einzelausstellungen stellen Tris Vonna-Michell (geb. 1982, lebt und arbeitet in London und Berlin) und Mario Garcia Torres (geb. 1975, lebt und arbeitet in Los Angeles) Arbeiten vor, die in ihrer jeweiligen Art und Weise um Erzählungen, Geschichte und Geschichten und das Verhältnis von Fiktion und Realität kreisen. Die Werke beider Künstler reflektieren die Möglichkeiten, wie Geschichte überliefert wird, welche Fakten und Artefakte dem Wahrheitsgehalt von Geschichte dienen und welche Rolle das Individuum mit seinen Emotionen und seinem Intellekt in der Produktion und Rezeption von Geschichte einnimmt.


Tris Vonna-Michells Sprechperformances und heterogene Bildmaterialien sind Beschleunigungen eines andauernden Prozesses von Geschichtsschreibung; sie geben vielleicht gerade in ihrer obsessiven Absurdität einen Anhaltspunkt, wie Geschichte verborgene Geheimnisse entlockt werden können. Mario Garcia Torres strapaziert in bewussten Wiederholungen die Bedeutung der Produktion von Realität und historischen Fakten in der Kunst. Seine Arbeit nimmt ihren Ausgangspunkt in den so genannten subjektiven künstlerischen Setzungen und diskutiert in poetischen Figuren um das geschichtliche Kunstwerk das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität und gesellschaftlicher Produktivität und faktischer Nicht-Produktion für eine kollektive Geschichte.


Tris Vonna-Michell erzählt Geschichten und Geschichte von Orten, Personen und möglichen Konstellationen, die ihn persönlich betreffen, seine Aufmerksamkeit oder eine Frage bei ihm erweckt haben. Alles, Teile oder Nichts können in seinen Geschichten faktisch wahr sein - sicherlich aber kreiert er in atemberaubend schnellen Sprechperformances, umgeben von Diaprojektoren, Aufnahmegeräten, Fotografien, Fotokopien, Artefakten und Ephemera eine Realität, die historische Fakten und Fiktionen in eine Vielzahl möglicher Geschichten verwebt. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichten jedoch liegt einzig in der prozessualen Offenlegung der Produktion von Sprache und der aktuellen Realisierung durch die Person des Künstlers. Die Tradition der mündlichen Überlieferung (Oral History) aufgreifend, erweitert Tris Vonna-Michell diese zugleich mit permanent sich ändernden Erzählweisen und der literarischen Tradition des spontanen Redeflusses der Erzählfigur (Stream of Consciousness) - sie sind also Performance und mentaler Prozess zugleich.


Ein weiterer wichtiger Aspekt in den Aktionen von Tris Vonna-Michell ist der der Intimität: Er spricht nur zu einer begrenzten Anzahl von Menschen - den Besuchern seiner Ausstellung oder den Empfängern von Telefonanrufen, die der Künstler an bestimmte Orte sendet. Seine Geschichten und Mitteilungen sind dabei sowohl strukturiert als auch spontan, da er Erzählfluss, Dauer und Verlauf von seinem Publikum direkt beeinflussen lässt. In "Seizure" (2003-2007) sucht Tris Vonna-Michell nach Zusammenhängen in den Biographien und Geschichten von drei Personen - Reinhold Hahn, Reinhold Huhn und Otto Hahn - im Nachkriegs-Berlin. In langen Recherchen, die ihn in Museen, zu Monumenten und Gebäuden führten, findet der Künstler Verbindungen, die er in seine eigene Geschichte einbaut und auf dem Weg der Erzählung immer wieder in die Absurdität entführt. Ausgestattet mit einem Eierkocher bat er das Publikum anfangs um dessen Aufmerksamkeit. In der nun in Ausstellungen gezeigten Installation führen Dias, Artefakte, Tonaufzeichnungen und diverse Gegenstände in die Geschichte selbst, aber immer wieder auch auf Holzwege und Abweichungen ihrer logischen Entwicklung.


Die Arbeit "Puzzlers" (2005-2007) beruht auf einer zweijährigen Recherche, die ihren Ausgangspunkt in einer Zeitungsmeldung über die umfassende Vernichtung von Stasiakten in Deutschland im Herbst 1989 nimmt. Tris Vonna-Michell reiste mit dem Archiv seiner eigenen Kindheitsfotos nach Leipzig, zog, ausgestattet mit Schere und Kleber, in eine Plattenbauwohnung und demontierte seine eigenen Fotografien, um in der Art der "Puzzler", wie Geheimdienstagenten nicht nur in der DDR genannt wurden, mit den Fragmenten seiner realen Vergangenheit eine fiktionale neue Identität in Bildern und Worten zu kollagieren.


Die neue, während der Ausstellung sich noch weiter entwickelnde Arbeit "Auto-Tracking" (2008), entstand in Detroit, der ikonischen Ruine der modernen Industrialisierung. Der Künstler hat Bildmaterialien zu einer mehrere Erzählstränge verknüpfenden Geschichte zusammen getragen. Über eine Telefonstation wird Tris Vonna-Michell regelmässig mit dem Publikum Kontakt aufnehmen und mündlich aus Berlin nicht nur die Geschichten entwickeln, sondern auch zwei Ausstellungsorte, die Kunsthalle Zürich und die Berlin Biennale, verbinden. In einer archivähnlichen Aufnahmestation in der Ausstellung sammeln sich die parallelen und in diverse Richtungen führenden Erzählungen und bilden den Grundstock für ein gross angelegtes Projekt, das 2009 in einer einmaligen Performance in der Kunsthalle Zürich Gestalt annehmen wird.


Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Luma Stiftung, Stanley Thomas Johnson Stiftung


Unser Vermittlungsprogramm wird unterstützt von Swiss Re.


Ausstellungsdauer 12.4. - 18.5.2008

Oeffnungszeiten Di/Mi/Fr 12 - 18 Uhr, Do 12 - 20 Uhr
Sa/So 11 - 17 Uhr, Mo geschlossen


Kunsthalle Zürich
Limmatstrasse 270
8005 Zürich
Telefon +41 (0)44 272 15 15
Fax +41 (0)44 272 18 88
Email info@kunsthallezurich.ch

www.kunsthallezurich.ch




Tris Vonna-Michell
Auto-Tracking



In two parallel solo shows, Tris Vonna-Michell (born 1982, lives and works in London and Berlin) and Mario Garcia Torres (born 1975, lives and works in Los Angeles) present art works that all circle in their specific idiosyncratic manner around issues like story-telling, narratives and history including also the interface between fiction and reality. Both artists' works thus consider avenues how histories are transmitted, what facts and artefacts serve the validity of specific narratives and above all what role the individual - with emotions and intellect - takes up in the reproduction and absorption of history.


Tris Vonna-Michell's speech performances and his heterogeneous visual materials are accelerations of an ongoing process of historiography; probably it is precisely their obsessive absurdities that point to how hidden secrets can be elicited from history. By contrast Mario Garcia Torres, by means of deliberate repetition, tests the essence of the production of reality and historical facts in art. His work originates in so-called subjective artistic positing; by means of poetic figures, it debates the relation between objectivity and subjectivity as well as social productivity and factual non-productivity in the creation of a collective history.


In Tris Vonna-Michel's activities, however, the aspect of intimacy is a further crucial facet: He only speaks to a limited number of people - such as to visitors coming to see his exhibition, or to recipients of phonecalls that the artist directs to specific locations. His stories and his notifications are pre-structured as well as spontaneous, since he also lets the audience directly control the flow of the narrative as well as its duration and progression. In "Seizure" (2003-2007) Tris Vonna-Michell searches for coherence in the biographies and histories of three persons in post-war Berlin: Reinhold Hahn, Reinhold Huhn and Otto Hahn. Through his extensive research - which led him into museums, to monuments and buildings - the artist uncovers correlations which he incorporates into his own story and yet in the course of the narration ever and again derails into absurdity. Using an egg boiler he initially requested the public's attention. In the installation created specifically for the exhibition, slides, artefacts, sound recordings and manifold objects guide the visitor into the narration itself, but also into blind alleys and deviations from their logical development.


The piece "Puzzlers" (2005-2007) is based on a two-year investigation that originated in a newspaper announcement about the comprehensive obliteration of Stasi files in Germany in the autumn of 1989. With the archive of his own childhood photographs and additionally equipped with scissors and glue, Tris Vonna-Michell travelled to Leipzig, moved into a typical prefabricated concrete-slab apartment building, and dissected his own personal photographs in order to re-collage them together again and thus fabricate a new fictional identity by using the visual and verbal fragments of his own actual past - a procedure reminiscent of the "Puzzlers" themselves, as the secret service operators had been called not only in the GDR.


The new work "Auto-Tracking" (2008), which is to be further developed over the period of the exhibition, originally evolved in Detroit, the iconic ruin of modern industrialization. Interweaving several threads, the artist assembled visual material into a new overall narrative. Via a telephone station Tris Vonna-Michell will seek to establish contact with the public on a regular basis and will not only evolve his stories viva voce directly from Berlin, but also interconnect two exhibition spaces, the Kunsthalle Zurich and the Berlin Biennale. The parallel stories leading into diverse plot lines are to cumulate in an archival-like recording station within the exhibition and are eventually meant to form the foundation for a large-scale project that will take shape in a unique performance at the Kunsthalle Zurich in 2009.


Kunsthalle Zurich thanks: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Luma Stiftung, Stanley Thomas Johnson Stiftung


Our education and tour program is supported by Swiss Re.


Exhibition 12 April - 18 May 2008

Opening hours Tues/Wed/Fri noon - 6 pm, Thu noon - 8 pm, Sat/Sun 11 am - 5 pm, closed on Mondays