© Charline von Heyl

I Am Monkeys, 2003
Courtesy Friedrich Petzel Gallery, New York


Charline von Heyl


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Gäbe es eine allgemeine Theorie der Gesten, eine semiologische Disziplin, welche gestatten würde, Gesten zu entziffern, dann wäre Kunstkritik nicht, wie heute, eine Sache der Empirie oder der "Intuition" oder ein kausales Wegerklären der ästhetischen Phänomene, sondern eine exakte Analyse der zu Gemälden erstarrten Gesten. In Ermangelung einer solchen "Choreographologie" ist es vielleicht die bessere Strategie, die Geste selbst zu beobachten, so wie sie sich konkret vor uns und daher in uns ereignet: als ein Exempel der Freiheit (Vilem Flusser).


Ausgangspunkt der Bildproduktion Charline von Heyls ist der malerische Schaffensprozess und die Frage nach den Mitteln der Malerei. Charakteristisch für ihre aus Gesten und Bewegungen entwickelte Bildsprache ist dabei, dass sich ihre Aktionen - im Gegensatz zum europäischen und amerikanischen abstrakten Expressionismus - weder als Zeichen oder Schrift formulieren, noch der Pinselstrich selbst zum Motiv erhoben wird. Nicht die Materialität des Werkzeugs oder sein Einsatz als Verlängerung des Körpers, sondern die dahinterstehende Bewegung, die Bewegung der Entscheidungen, ist das eigentliche Thema ihrer Bilder. Die vielfältigen, oftmals widersprüchlichen Schritte zur Bildfindung und Bildwerdung sind in jedem Werk präsent.


Für ihre Ausstellung in der Secession kombiniert Charline von Heyl Gemälde und Zeichnungen des letzten Jahres. Die Zeichnungen - schwarz-weisse Collagen, in denen Fragmente gefundener Zeichnungen und Fotos ausgewählt, kopiert, zusammengeklebt und mit Tuschzeichnungen kombiniert zu rhythmisierten Strukturen verarbeitet werden - sprechen eine schnellere und direktere Sprache, verbinden in ihrer Vitalität und Dramatik jedoch ebenso wie die Malerei grosse Spontaneität mit einer kalkulierten Ausarbeitung.


Die Bilder Charline von Heyls beziehen ihre Spannung aus dem Zusammenspiel von positivem und negativem Raum, dem Wechsel von Hell und Dunkel und den unzähligen Schichten, die kontrastierend aus Grund und Gegenstand aufgebaut sind. Im Nachvollzug des Bildraums als Handlungsraum stösst der/die BetrachterIn dabei häufig auf unerwartete, ihn/sie herausfordernde Ambivalenzen: bewegungsfördernde und retardierende Momente werden gegeneinander ausgespielt und oft bis ins Paradoxe gesteigert; ein dunkles, dreckiges Farbschema verkehrt sich ins Grelle oder Zarte; vor und zurückspringende Farbflächen wirbeln durch den Raum, dynamisieren die Bildtiefe und kommen plötzlich zum Stillstand. Solcherlei Umkehrpunkte zeugen von einer Haltung, die die Malerei den Entscheidungen und Ereignissen des Tuns ausliefert, immer bereit ist, Widersprüche ins Werk zu setzen und das Erreichte aufzugeben, um neu zu beginnen.


Diese Dialektik bestimmt mitunter auch die Präsentationsform der Arbeiten. So werden zum Beispiel die farbigen Zeichnungen im Grafischen Kabinett wie Poster gehängt, so dass die edle Materialität der Ölfarbe und die Unverfrorenheit der Installation miteinander in einen spannungsreichen Dialog treten.


Im Bestreben, jedweder Form einer begrifflichen Darstellung zu entkommen, entwickelt Charline von Heyl eine Komplexität, die Zweifel und Euphorie, Rauschzustände und nüchternes Erkennen miteinander verbindet. Von den Bildern geht ein Geheimnis aus, das trotz intensiver Wahrnehmungsarbeit nie ganz gelüftet werden kann.


Charline von Heyl, geboren 1960, lebt und arbeitet in New York.


Die Ausstellung wird unterstützt von: IFA. Institut für Auslandsbeziehungen e.V.


Ausstellungsdauer: 2.7. - 5.9.2004
Oeffnungszeiten: Di-So 10 - 18 Uhr, Do 10 - 20 Uhr


Wiener Secession (Grafisches Kabinett)
Vereinigung bildender KünstlerInnen
Friedrichstrasse 12
A-1010 Wien
Telefon +43 1 587 53 07
Fax +43 1 587 53 07 34
Email office@secession.at

www.secession.at





Charline von Heyl


If there were a general theory of gestures, a semiological discipline that would allow us to decipher gestures, then art criticism would not be, as it is today, a matter of empiricism or "intuition" or causally explaining away aesthetic phenomena, but would instead be an exact analysis of gestures frozen into paintings. Lacking this kind of "choreographology", perhaps it is a better strategy to observe the gesture itself, as though it took place concretely before us and thus in us: as an example of freedom (Vilem Flusser).


The point of departure for Charline von Heyl's image production is the painterly process of creation and the question of the means of painting. What is characteristic for her image language developed from gestures and movements is that the actions - unlike European and American Abstract Expressionism - are formulated neither as signs nor writing, nor is the brush stroke itself elevated to a motif. It is not the materiality of the tool nor its use as an extension of the body, but rather the movement behind this, the movement of deciding, which is the actual theme of her pictures. The multifaceted, often contradictory steps to determining and developing the image are present in each work.


For her exhibition at the Secession, Charline von Heyl combines paintings and drawings from the past year. The drawings - black and white collages, in which fragments of found drawings and photos are chosen, copied, glued together and combined with ink drawings into rhythmized structures - speak a more rapid and direct language; in their vitality and drama, though, they conjoin great spontaneity with a calculated development, just like the paintings.


Charline von Heyl's pictures derive their tension from the interplay of positive and negative space, the alternation of light and dark and the countless layers that are built up from foundation and object in contrast. In comprehending the picture space as a space of action, the viewer frequently stumbles into unexpected, challenging ambivalences: moments that foster and retard movement are played out against one another and often are intensified to the point of the paradoxical; a dark, dirty color scheme turns into one that is glaring or delicate, planes of color leaping back and forth whirl through the space, dynamizing the picture's depths and coming abruptly to a halt. These kinds of points of reversal bear witness to an attitude that surrenders painting to the decisions and events of action, that is always ready to employ contradictions and abandon what has been achieved, in order to start again.


Sometimes the form of the presentation of the works is also determined by this dialectic. The color drawings in the Grafisches Kabinett, for example, are hung like posters, so that the fine materiality of the oil paint and the audacity of the installation enter into a fascinating dialogue.


In seeking to avoid every form of conceptual representation, Charline von Heyl develops a complexity that conjoins doubt and euphoria, states of intoxication and sober insight. The pictures exude a mystery that can never be entirely resolved, despite the most intensive endeavors of perception.


Charline von Heyl, born 1960, lives and works in New York.


The exhibition is supported by: IFA. Institut für Auslandsbeziehungen e.V.


July 2 - September 5, 2004