© Christian Gierath

series cosmetics - chanel, 2001 /2002
edition of 6 (both sizes)
c-print, 50 x 105 cm and 120 x 250 cm


Christian Gieraths
Sotchi royal



Christian Gieraths ist als Fotograf zu einer Reise nach Sotchi aufgebrochen, jenem Heil-, Kur- und Badeort am Schwarzem Meer in Russland, der, bedingt durch sein subtropisches Klima und seine Lage inmitten eines staatlichen Naturparks, schon im 19. Jahrhundert einer der grossen Heilbäder des russischen Zarenreiches war und sich mit seinen zahlreichen Nebenorten in einer Länge von etwa 150 Kilometern an der Küste erstreckt. Zu Zeiten der Sowjetherrschaft wurde der Ort, an dem auch Stalin eine Datscha hatte, als "Sphäre der sozialistischen Musse" in einem staatstotalitären Zugriff ideologisch aufgeladen zum "Architekturtheater des Sowjetsystems" und zur "Kulisse des irdischen Paradieses" (Kerstin Holm).


Heute ist der Ort, nun einbezogen in einen Raum nicht nur lokaler, sondern auch globaler Transformationsprozesse, mit der Schaffung einer modernen touristischen Infrastruktur mitsamt der Planung und Erstellung moderner Hotel-, Sport-, und Freizeitkomplexe befasst. Man kann sich vorstellen, wie diese Zukunftsplanungen, die durch den weltweiten Druck einer Massgabe nach Verkehrsformen, die dem Standart eines american way of life entsprechen, induziert sind, mit der Aufgabe einer Pflege und Erhaltung des überkommenen architektonischen Erbes kollidieren und den Ort in einen Prozess der Austauschung, der Anpassung und des Verschwindens hineinziehen müssen.


Christian Gieraths' Serie "Sotchi royal" thematisiert den Ort nicht in einem vordergründig touristischen oder spezifisch soziologischen oder "ethnologischen" Interesse. Auf der ersten Blick könnte sie wie ein Exempel für Architektur- oder Interieurfotografie erscheinen. Letztlich entziehen sich die Bilder aber solchen Zuordnungen. Sie lassen sich nicht festlegen auf irgendein Genre, und gegenüber der Festschreibung auf Bedeutung beharren sie auf Offenheit und Komplexität. Obwohl Teile einer Serie wahren sie eine Unterschiedlichkeit der Annäherungsweisen, einen Kern in sich ruhender Individualität. Sie sind nicht Vehikel im Prozess einer irgendwie gearteten systematischen Erschliessung zum Zwecke der Archivierung.


Christian Gieraths zeigt sich unbeeindruckt vom pittoresk Anekdotischen wie vom Aufdringlichen des Ortes, vom Lärm seiner (widersprüchlich-) ideologischen Präsentation wie von seiner Vulgarität und Banalität, die mit dem Touristischen unvermeidlich verbunden ist. So wie dieses radikal abgeblendet wird und Gieraths die Erwartungen eines touristischen Voyeurismus ins Leere laufen lässt, so wird geläufig Inhaltliches überhaupt zurückgedrängt. Eher interessieren ihn - immer im Medium des Ästhetischen - das Durcheinander des Ortes, das Replikenhafte, Brüche, Tendenzen der Auflösung, der Austauschbarkeit, Vielstimmigkeiten, Balancen und Nicht- Balancen, Zeichen des Prekären, der Nicht- Integration, Spuren von Zerreissproben und verdeckten Erschütterungen. Sein Blick - statisch, in sich konstruiert, aber kein "monolithischer" Blick, er bleibt durchlässig, will nicht erfassen und beurteilen - tastet sich vielmehr vor gemäss dem Gegebenen eines Ortes, der auf seine Weise in ein Spiel oder einen Widerstreit von Identität und Nicht- Identität, von Zerstörung und Neuzusammensetzung, von Ort und Nicht- Ort verwickelt ist, ohne Wahrnehmung der unbekannten Dimensionen seiner selbst. Dieser Hintergrund ist als Folie hinter dem Visuellen präsent.


Die Fotografien sind konzeptuell klar und entfalten ihre Wirkung im Rahmen einer coolen Ästhetik, die raffiniert ihre Bildstrategien kalkuliert. In ihrer Reaktion auf Gegenständliches zeigen sie einen Sinn für Reduktion und ein konstruktives Gespür für eine Aufhebung oder Verkehrung ins Abstrakte.


Das Dokumentarische ist nicht das vorherrschende Interesse, auch nicht Reportage, Bildästhetik, Autonomisierung des photographischen Bildes durch die Mittel der Fragmentierung, Formalisierung und einer sensiblen Verwendung der Ausdrucks- und Intensitätswerte von Licht und Farbe stehen im Vordergrund, aber die Referenz auf eine spezifische Wirklichkeit, d.h. spezifisch geschichtete, spezifisch organisierte und ausgerichtete (Historie, Ideologie, Architektur, Licht etc.), wird in der Regel nicht gekappt.


Gieraths geht nicht systematisch vor, er sammelt keine Belege für Bildmodelle, er geht herum und probiert in jeweiligen Versuchsanordnungen seine Blicke aus, er ist nicht naiv, sondern reflektiert vor Ort die formalen Bedingungen, die er der Darstellung seiner Gegenstände auferlegt. Er hat eine Vorliebe für öffentliche Orte wie Schwimmbäder, Spielhallen, Sportstätten, Bowlingbahnen, stärker noch für scheinbar unbedeutende, anonyme Orte, Durchgangsorte, er blickt in Foyerecken, Hotelflure, leere Zimmer, auf Wände, Treppen, Säulen, Mobiliar etc., der Blick folgt keinem vorgegebenen Szenario. Er ist eigensinnig, tastend, geduldig, durchaus ablenkbar, dabei kontrolliert.


Die Suite der Bildfindungen entfaltet die Flüchtigkeit/ Beiläufigkeit, die Zufälligkeit und die Kalkuliertheit einer Suche nach Klarheit, Eindringlichkeit, Freiheit. Die Bilder haben tatsächlich etwas Befreiendes. Sie vertrauen der unspektakulären Ästhetik einer erregend- nüchternen Bildnerei des Lichtes.


Text: Karl H. Delschen


Ausstellungsdauer: 3.9. - 16.10.2004
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10 - 13 Uhr, 14 - 18 Uhr,
Sa 10 - 14 Uhr


Galerie Poller
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