Die Jungfrau über dem Nebelmeer, 1908 Öl auf Leinwand, 92 x 67,5 cm © Musée d'art et d'histoire, Genf Ferdinand Hodler Landschaften Das Kunsthaus Zürich zeigt eine umfassende Ausstellung zum Landschaftswerk von Ferdinand Hodler (1853-1918): Zu sehen sind im grossen Ausstellungssaal rund 70 seiner schönsten Landschaftsbilder - von den berühmten Darstellungen der Gipfel, Täler und Seen des Berner Oberlands und des Genfersees bis hin zu den subtilen Detailstudien von Bäumen, Bächen und Steinen. Landschaften prägen Ferdinand Hodlers gesamte Karriere. An ihnen lässt sich nachvollziehen, wie Hodler immer wieder die eigenen künstlerischen Voraussetzungen seiner Malerei überprüft und revidiert. Die von Kurator Tobia Bezzola konzipierte Ausstellung im Kunsthaus Zürich richtet den Blick daher besonders auf Hodlers Verfahren, die Elemente vorgefundener Naturerscheinung zur Einheit seines Bildes zusammenzufassen. Denn Hodlers Landschaften sind keine zufälligen Schnappschüsse. Auf der Suche nach einer bildnerischen Form für das Naturvorbild entwickelt er strenge, von Symmetrien und geometrischen Konstanten bestimmte Kompositionsmuster. Diese erprobt er systematisch. Während zeitgenössische symbolistische Maler die Landschaft oft völlig frei imaginieren, bleibt Hodler, was Ausschnitt und Wiedergabe des Motivs betrifft, dem Naturvorbild weitgehend treu. Der Landschaftsausschnitt wird zuerst vom Standort bestimmt. Er spielt für die Darstellung die entscheidende Rolle. Das Motiv selbst akzentuiert Hodler einerseits mit den von der Natur selbst vorgegebenen Mitteln des Atmosphärischen - Lichtführung, Farbe, Nebel, Wolken -, andererseits durch Betonung des linearen Gerüsts und den Verzicht auf nebensächliche Details. Das ständige Bemühen um ein Verfahren, wie Natur zu Landschaft und wie ein Landschaftsbild zu einer Hodler-Landschaft wird, erzeugt eine Spannung zwischen der künstlerischen Vereinfachung und der nie verleugneten Vielfalt der Erscheinungsweisen von Natur. Diese Spannung ist es, die Hodlers Landschaftsbilder einzigartig macht. Die Ausstellung ist eine Koproduktion des Kunsthauses mit dem Musée d'art et d'histoire in Genf und dem Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK), das zurzeit den Gesamtkatalog der Gemälde Ferdinand Hodlers erarbeitet. Sie erstreckt sich über die 1300 qm des grossen Ausstellungssaales und gliedert sich gemäss dem motivischen und formalen Repertoire von Hodlers Landschaftsmalerei. Frühzeit und Reifung Die frühe Zeit mit ihren wechselnden Stilfolgen lässt Hodlers Suche nach künstlerischer Eigenständigkeit erkennen. Vorbilder der Genfer Schule sind ebenso zu finden wie des französischen Realismus und der Pleinair-Malerei der École de Barbizon. Um 1890 beginnt Hodlers Landschaftsmalerei zu reifen. Die Farbe, die Gliederung in horizontale Parallelen und Spiegelungen werden zu wichtigen Gestaltungsmitteln. Im Unterschied zu den tonigen, weichen Farben der früheren "paysages intimes" ist seine Farbpalette nun kräftig und klar. Vorder- und Hintergrund lässt er durch satte Tonwerte gleichwertig erscheinen und vernachlässigt damit die Luftperspektive. Bäume und Bäche In dieser Zeit sind Bäume ein bevorzugtes Motiv - Fliederbäume, Weiden, Obst-, Nuss- und Kastanienbäume oder Koniferen - mal einzeln, mal in Gruppen oder in die Landschaft eingebunden. Charakteristisch für die Bachlandschaften, mit denen sich Hodler erstmals 1904 eingehend beschäftigt, sind ihr zweidimensionales Erscheinungsbild und ihre extreme Nahsicht, die jede konkrete topo-graphische Einordnung verunmöglichen. Gipfel und Täler Hodler macht sich technische Innovationen zunutze. Die Standorte, von denen aus er seine Gemäldestudien von Berggipfeln und von Tälern anfertigt, sind oft an Bahnstationen festzumachen. Bilder entstehen, die die Berge nicht mehr nur als Teil eines Panoramas zeigen, sondern diese in Nahaufnahme und in fast totaler Reduktion zu individuellen Porträts werden lassen. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts bemüht sich Hodler, inspiriert von der Jugendstilmalerei, um einen Abbau der perspektivischen Raumillusion zugunsten einer dekorativen Bildauffassung mit klar abgegrenzten Farbflächen und betonten Konturen. Im Gegensatz zu den unverrückbaren topographischen Begebenheiten des Gebirges kann Hodler die Wolken in ihrer offenen Form als Gestaltungsmittel frei einsetzen, sei es als trennendes Element oder als "Manövriermasse", um die optisch heiklen Schnittstellen von Schrägen und Geraden zu kaschieren. Seen Als Grundschema für die Genfersee-Ansichten wählt er eine Art "Weltoval", das von einer seitlich angeschnittenen "Erdschale und einem Himmelsdeckel" gebildet wird, welche die breit angelegte Seefläche umschliessen. Dem Gefühl der Ergriffenheit, das der Künstler beim Anblick der Weite des Genferseepanoramas empfindet, äussert sich vermehrt durch "Entmaterialisierung". Bei den zwischen 1904 und 1909 gemalten Thunerseelandschaften ist das Mittel der doppelaxialen Symmetrie - der horizontalen Entsprechung der Berghänge beziehungsweise deren vertikale Spiegelung im Wasser, entscheidend. Der illusionistische Tiefenraum, wie er noch die Werke der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts kennzeichnet, ist zugunsten eines neuen Bildraums aufgegeben. Spätwerk In den letzten Lebensjahren werden Motive vom Genfersee mit Mont Blanc in panoramaartigen Formaten für Ferdinand Hodler immer wichtiger. Ab 1915 - mit dem Tod von Valentine Godé-Darel, seiner Geliebten und Mutter der gemeinsamen Tochter Paulette - wird eine Periode eingeleitet, die einen grundlegenden Wandel im Umgang mit der Farbe sichtbar werden lässt. Die Palette wird reduzierter, die Anwendung der Farbe immer freier. Der Katalog zur Ausstellung (Scheidegger & Spiess / Scalo) enthält Beiträge von Prof. Oskar Bätschmann (Universität Bern), dem führenden Hodler Experten, Paul Müller (SIK) und Tobia Bezzola. Er analysiert die Bedeutung von Hodlers Landschaften sowohl im werkimmanenten Kontext als auch in ihrem internationalen Zusammenhang. Mit Unterstützung der Vontobel-Stiftung und der Baugarten Stiftung, Zürich. Ausstellungsdauer: 5.3. - 20.6.2004 (verlängert) Öffnungszeiten: Di-Do 10 - 21 Uhr, Fr-So 10 - 17 Uhr Kunsthaus Zürich Heimplatz 1 8001 Zürich Telefon +41 (0)1 253 84 84 Fax +41 (0)1 253 84 33 Email info@kunsthaus.ch www.kunsthaus.ch |