© Christian Vetter

Christian Vetter: Installationsansicht


Homecoming
Ana Axpe
, Clare Goodwin, Daniel Robert Hunziker und Christian Vetter


Die eigenen vier Wände gehören in unserer Gesellschaft zu einem elementar wichtigen Lebensbestandteil. Zwar entstand im Zuge der Globalisierung eine Art modernes Nomadentum, doch bereits ist dieses auch schon wieder überflüssig geworden, da man mithilfe der neuen Informationstechnologien unglaublich viele Entscheidungen und organisatorische Massnahmen von jedem Punkt der Erde aus einleiten kann. Berufsbedingte Aspekte sind das eine, das andere sind die mit dem Zuhause verbundenen und im Daheim institutionalisierten Sphären des Privaten und Intimen. Der Fernsehsender RTL wirbt mittlerweile mit dem Slogan "Willkommen zu Hause" und Florian Illies stellt fest: "Weil um uns herum alles unsicher und unklar wird, konzentrieren wir uns auf das, was gestaltbar erscheint (...). So wird das heimische Sofa, am besten in warmen Erdtönen, zum Schutzraum vor der Wirklichkeit." (Generation Golf zwei)


Unglücklicherweise funktioniert das Zuhause immer weniger im Sinne einer Entlastung vom beschwerlichen Leben: Die Scheidungsraten sind höher denn je, Wohnraum immer teurer, Kinder und Familie beinahe ein Luxus. Freundschaften werden heute ebenso wie familiäre Beziehungen knallhart auf ihren Mehrwert hin untersucht und sind bisweilen kaum mehr von der Lancierung eines neuen Produktes zu unterscheiden. Auch Partnerschaften sind immer weniger ein Fundament, mit dem man rechnen kann, denn sie sind jederzeit und mit guten Gründen aufkündbar. Die Infiltration leistungsorientierter Massstäbe in die Bereiche des Privaten und Intimen entspricht einem Rationalisierungsschub in bisher emotional organisierte Lebensbereiche. Das "Cocooning" der 1980er Jahre ist überholt und wird ersetzt durch das "Homing" (Matthias Horx), in dem die eigenen vier Wände nicht mehr nur als Rückzugsort von Bedeutung sind, sondern vor allem als Rahmen gesellschaftlichen Lebens. Die ehemalige Insel des Rückzuges ist zu einem Feld geworden, auf dem man sich bewähren muss - und auf dem man versagen kann: Das zeitgenössische Zuhause ist kritisch, anspruchsvoll und schwierig.


Die zu "Homecoming" eingeladenen Künstlerinnen und Künstler setzen sich mit den heutigen Formen des Zuhauses auf verschiedene Art und Weise auseinander. Christian Vetter und Daniel Robert Hunziker spielen beide mit formalen Aspekten und räumlichen Versatzstücken des schöner Wohnens, insbesondere mit der damit verbundenen Schäbigkeit von seriell hergestellten und dennoch als individuell angepriesenen Wohn- und Möblierungslösungen.


Christian Vetter orchestriert mit einer zweiteiligen Wand den Ausstellungsraum in eine Innen/Aussen-Situation: Die eine Seite ist als Wohnzimmerwand mit einem grossen Feuerkamin, einer Uhr, kleinen Gemälden und einem Fenster gestaltet, die andere zeigt eine Holztäfelung, wie sie für Aussenfassaden amerikanischer Kleinstadthäuser typisch ist. Daniel Robert Hunziker erweist mit seinem oktogonalen Holzpavillon dem Gartenhäuschen die Ehre, doch scheint dieses wie von einem Sturm davongeweht zu sein. Buchstäblich auf dem Kopf liegend offenbart es unverhoffte plastische Qualitäten, gleichzeitig bietet es in seinem Innern Platz für ein Arrangement aus Zimmerpflanzen.


Von Clare Goodwins Installation "One point of view" sieht man durch eine Türöffnung eine fröhlich-bunte Wohnlandschaft, bestehend aus einem (übergrossen) Fernseher auf einem Regal, einer Tapete sowie einem Teppich. Beim Näherkommen gibt sich das gesamte Arrangement als gefertigt aus schäbigem Pappkarton und Malfarbe zu erkennen, und befindet man sich schliesslich im Raum selber, so wird die anfängliche Illusion ganz zur unvollständigen Bricollage: nachlässig hingeworfen liegen in einer Ecke die für die Installation benötigten Werkzeuge.


Ana Axpe arbeitet seit 1996 an ihrem Langzeitprojekt "No Firmo!", einer fiktiven Telenovela, in der die erfolglose Schauspielerin Adela das mondäne Leben ihrer Schwester Olga zu übernehmen versucht, einer erfolgreichen Künstlerin, die in einer Heilanstalt interniert ist. Die zwei Videoarbeiten zeigen den Kampf zwischen den beiden Schwestern, der anlässlich der Unterschrift entbrennt (Adela and Olga Fight, 2000), sowie Adela, wie sie das Büro ihres Ehemannes Maximiliano zertrümmert (The Last Dynasty, 2002). In beiden Arbeiten sind die schauspielerischen Leistungen der Darstellerinnen beinahe unerträglich schlecht: gekünstelt, prätentiös und übertrieben. Die neurotische und pathetische Art der zwei fiktiven Serienstars wirkt symptomatisch für den autistischen Kollaps eines Mediums, das einst als Fenster zur Welt gepriesen wurde.


Text: Oliver Kielmayer


Anlässlich der Ausstellung erscheint eine Publikation. Darin enthalten ist ein Gespräch mit Matthias Horx, dem deutschen Trend- und Zukunftsforscher, über den "Megatrend Homing".


Ausstellungsdauer: 1. - 25.10.2003
Oeffnungszeiten: Mi-Sa 14 - 18 Uhr


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