Teresa Chen: Suzie Wong Doesn't Live Here Anymore
Teresa Chen: Suzie Wong Doesn't Live Here Anymore


Teresa Chen
Suzie Wong Doesn't Live Here Anymore



Hinter den unablässigen, aufgeregten Diskussionen über "Globalisierung" und "Multikulturalismus" wird zuweilen eine viel tiefer reichende Beunruhigung spürbar, eine schleichende Angst, dass die Kategorien des Fremden und des Eigenen langsam ihre Trennschärfe zu verlieren beginnen, die Sicherheit klarer Verortung in ewigen Ursprüngen längst nicht mehr gegeben ist. Als in der Schweiz lebende Amerikanerin, deren Eltern aus China in die USA auswanderten, stand Teresa Chen immer schon jenseits der Sicherheiten einer sich verwurzelt wähnenden Identität. Ihre Photographien untersuchen die Grammatik der Nähe und des Intimen, jenes Bereichs, in dem der Bestand klarer Grenzen nie gewährleistet ist. Ihre Körper- und Erzählfragmente berichten von der zersplitterten Identität als Grundbedingung der Gegenwart, der sich keiner zu entziehen vermag.

Mit seismographischem Spürsinn seziert sie Photographien eines Weihnachtsfestes ihrer Familie: Eine Einwandererfamilie inszeniert sich als Ebenbild der idealen, heilen amerikanischen Familie und hält dies in Bildern fest, ein Versuch , Ikonen der Einheit der Familie mit sich selbst und ihrer Umwelt zu finden. Aus diesen Photographien wählt Teresa Chen Ausschnitte aus, in denen die Spannungen und Ambivalenzen, welche die inszenierte, rituelle Harmonie durchziehen, sichtbar werden. Sie findet Angst und Ekstase in Kindergesichtern, untersucht Gesten der Erwachsenen, die zwischen wohlmeinendem Schutz und strenger Kontrolle schwanken, misst die Spannung zwischen glimmerseligem Kitsch und der Brüchigkeit des Traumes familiären Einklangs.

Der Zwiespalt der Nähe zu unserem eigenen Körper zeichnet Chens Selbstbildnisse, stilisierte Körperfragmente zwischen Selbstverliebtheit und Selbstentfremdung. Die Nahaufnahmen von geschmeidig öligen Haare, grellroten Lippen, kaum auszumachenden Körperteilen in türkisfarbenem Wasser schwanken zwischen Sinnenrausch und Ekel, Anziehung und Widerwillen. Die Bilder erschöpfen sich jedoch nicht in blosser Bespiegelung unseres gebrochenen Körperbezugs. Chen arbeitet im Bewusstsein um die patriarchalen Mythen des asiatischen Frauenkörpers, des Zerrbilds der lieblichen, dienstfertigen, passiven Geisha. Ihre Selbstbildnisse sind ein Versuch, Bilder des weiblichen Körpers zu finden, die sich der Vereinnahmung durch ungebrochen (macht-) lüsterne Blicke entziehen. Im Schwanken der Bilder zwischen Verführung und Schrecken zeichnet sich ein neuer, freier Eigensinn des Körpers ab, der nicht länger blosser Schatten eines Idealbilds zu sein gehalten ist.


(Text: Martin Jaeggi)


Ausstellungsdauer: 20.4. - 20.5.2001
Oeffnungszeiten: Do, Fr 16 - 19 Uhr, Sa 13 - 16 Uhr und nach Vereinbarung


Kunstraum Aarau
Tellistrasse 118
5001 Aarau
Telefon 062 844 46 17

www.kunstraumaarau.ch